Rechtsprechung zur Nachbesichtigung des Unfallfahrzeugs durch einen von dem unfallgegnerischen Kraftfahrthaftpflichtversicherer beauftragten Sachverständigen.
- OLG Celle – Urteil vom 01.12.21: 1. Einem Kfz-Haftpflichtversicherer steht kein genereller Anspruch auf eigene Fahrzeugbesichtigung des Unfallgeschädigten zu. Ein solcher ergibt sich nicht aus § 119 Abs. 3 VVG. Etwas anderes kann sich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles aus dem zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 VVG zustande gekommenen gesetzlichen Schuldverhältnis ergeben. Dem Geschädigten sind in Grenzen Pflichten zur Rücksichtnahme auf den Haftpflichtversicherer bei der Schadenfeststellung auferlegt, aus denen sich ausnahmsweise ein Recht des Haftpflichtversicherers auf eigene Fahrzeugnachbesichtigung ergeben kann (Anschluss an BGH, Urt. v. 11.10.1983 – VI ZR 251/81). 2. Steht dem beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer weder generell noch ausnahmsweise im konkreten Fall ein Anspruch gegen den Geschädigten auf Fahrzeugnachbesichtigung zu und hat er zudem nicht einmal eine eigene Besichtigung begehrt, kann ihm nicht umgekehrt eine Obliegenheit zur Erteilung einer vom Geschädigten begehrten Reparaturfreigabe mit der Folge auferlegt werden, dass ihm bis zur Erteilung einer solchen Reparaturfreigabe ein verzögerter Zeitraum bis zum tatsächlichen Reparaturauftrag angelastet wird. Vielmehr hat der Geschädigte etwaige Schäden, die ihm in einem solchen Fall durch Verzögerungen wegen Abwartens der Reparaturfreigabe des gegnerischen Haftpflichtversicherers entstanden sind, selbst zu tragen. 3. Etwas anders kann nur dann gelten, wenn der Haftpflichtversicherer gegenüber dem Geschädigten seinen Wunsch auf Nachbesichtigung kundtut, dem Geschädigten das Einräumen der Nachbesichtigung tatsächlich (noch) möglich und zumutbar ist und er dem Versicherer diese Möglichkeit – ob nun kraft gesetzlichen Schuldverhältnisses verpflichtet oder freiwillig – auch einräumt. Denn erst dann erwächst ein Vertrauenstatbestand für den Geschädigten dahingehend, dass er keine Nachteile dadurch erleiden soll, dass er dem Versicherer die Nachbesichtigung ermöglicht und aus diesem Grund auf dessen Reparaturfreigabe wartet.
- LG Lübeck – Beschluss v. 19.04.13: Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, dem unfallgegnerischen Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer eine Nachbesichtigung des Unfallfahrzeugs zu ermöglichen.
- AG Solingen – Urteil v. 14.12.07: Gemäß § 158d Abs. 3 VVG (heute § 119 Abs. 2 VVG) kann der unfallgegnerische Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer nur die Vorlage von Belegen, nicht jedoch die Vorstellung des Unfallwagens zwecks Nachbesichtigung durch einen Haussachverständigen verlangen.
- Amtsgericht Heilbronn – Urteil vom 24.10.07: Der Geschädigte ist verpflichtet, auf das Interesse des unfallgegnerischen Kraftfahrthaftpflichtversicherers an einer zuverlässigen Schadensfeststellung in zumutbarem Umfang Rücksicht zu nehmen. Diese Pflicht zur Rücksichtnahme ist auch in § 158 d Abs. 3 VVG (heute § 119 Abs. 3 VVG) festgeschrieben, wonach der Versicherer von dem Dritten Auskunft verlangen kann, sowie sie zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich ist. Der Geschädigte muss somit eine Nachbesichtigung des Unfallfahrzeugs ermöglichen.
- LG Kleve – Urteil vom 29.12.1998: 1. Der Geschädigte bei einem Kraftfahrzeugunfall darf sich grundsätzlich auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten zur Schadensermittlung verlassen und darf seinen Schaden allein auf der Grundlage eines derartigen Gutachtens abrechnen, das auch als Basis für die Schätzung des Reparaturschadens durch ein Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO in der Regel ausreicht. 2. Der Schädiger hat daher grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Nachbesichtigung eines verunfallten Fahrzeuges.