Zum Inhalt der Entscheidung: Eine Verfahrensverzögerung von einem Jahr führt nicht zu einer Einstellung des Verfahrens wegen überlanger Verfahrensdauer.
Oberlandesgericht Rostock
Beschluss vom 27.01.2016
21 Ss OWi 2/16 [B]
Tenor
I. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Parchim vom 22.05.2014 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Aus den Gründen:
I.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
Zur Begründung wird auf die – auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung der Verteidigung vom 18.01.2016 – zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Rostock in ihrer Antragsschrift vom 05.01.2016 Bezug genommen.
II.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1.
Soweit der Verteidiger im Schriftsatz vom 18.01.2016 die Auffassung vertritt, das Verfahren sei aufgrund „absoluter Verjährung“ einzustellen, geht dies fehl, da durch den Erlass des Urteils 1. Instanz – auch im Falle der Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG, vgl. Göhler-Gürtler, OWiG, 16. Auflage § 32 Rz. 10 – die Verjährung bis zum Ablauf des Verfahrens gehemmt wird, § 32 Abs. 2 OWiG. Dass bereits vor Erlass des Urteils Verjährung eingetreten sein könnte, ist nicht ersichtlich und wird nicht einmal von der Verteidigung behauptet.
2.
Die im Schriftsatz vom 18.01.2016 beantragte Verfahrenseinstellung aufgrund des von der Verteidigung vertretenen Verfahrenshindernisses der überlangen Verfahrensdauer kam nicht in Betracht.
a.
Die Verletzung des Beschleunigungsgebots führt – sowohl in Straf- wie in Bußgeldsachen – grundsätzlich nicht zu einem Verfahrenshindernis. Dies hat seinen Grund darin, dass die Tatsache und das Gewicht des Verstoßes nur in einer Gesamtabwägung und mit Blick auf die dem Verfahren zugrundeliegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens bestimmt werden können; diese Feststellung entzieht sich einer allein formellen Betrachtung. Das Bundesverfassungsgericht hat aber schon in seinem grundlegendem Beschluss vom 24. November 1983 (NJW 1984, 967) darauf hingewiesen, die Auffassung, aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebots könne in keinem Fall ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden, begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Zugleich hat es klargestellt, dass ein unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleitendes Verfahrenshindernis allein dann in Betracht komme, wenn in extrem gelagerten Fällen, in welchen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und die Dauer des Verfahrens zudem mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten einhergegangen ist, das Strafverfahrensrecht keine angemessene Möglichkeit zur Verfahrensbeendigung, z. B. durch Anwendung des § 153 StPO, zur Verfügung stellt. Im Beschluss vom 19. April 1993 (NJW 1993, 3254 ff.; vgl. auch BVerfG NJW 1995, 1277, 1278;2003, 2225 ff.; 2003, 2897, 2898 f.; NStZ 2003, 2228 f.; NStZ-RR 2005, 346, 347, jeweils m. w. N.) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich, da die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zu dem Verschulden des Täters stehen müsse, bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht im Extrembereich zur Einstellung oder zum Vorliegen eines Verfahrenshindernisses führe (vgl. auch Krehl/Eidam NStZ 2006, 1, 9 f.).
Aus rechtsstaatlichen Gründen kann die Verfahrenseinstellung wegen überlanger Verfahrensdauer dann unabweisbar werden, wenn einer außergewöhnlichen, vom Beschuldigten nicht zu vertretenden und auf Versäumnisse der Justiz zurückzuführenden Verfahrensverzögerung, die den Beschuldigten im Lichte der Gesamtdauer des Verfahrens unter Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls, namentlich des Tatvorwurfs, des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes, des festgestellten oder voraussichtlich feststellbaren Schuldumfangs sowie möglicher Belastungen durch das Verfahren, in unverhältnismäßiger Weise belastet, im Rahmen einer Sachentscheidung keinesfalls mehr hinreichend Rechnung getragen werden kann (so etwa bei BGHSt 35, 137 ff.; vgl. auch BGHSt 46, 159, 169 f.; aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte vgl. etwa OLG Düsseldorf StV 1995, 400, 401 f.; OLG Schleswig StV 2003, 379 ff.; OLG Stuttgart NStZ 1993, 450; OLG Zweibrücken NStZ 1989, 134; 1995, 49 f.).
Dieselben Grundsätze wie zuvor ausgeführt haben auch dann zu gelten, wenn nach Erlass des tatrichterlichen Urteils das Beschleunigungsgebot in erheblicher Weise verletzt worden ist. Das Revisionsgericht hat den – möglichen – Verstoß auf eine zulässige Revision hin von Amts wegen zu beachten (vgl. zu alledem Beschluss des 1. Strafsenats des OLG Rostock vom 24.03.2010 – 1 Ss 08/10 I 11/10 – juris -; Meyer-Goßner-Schmitt, StPO, 58. Aufl. Art. 6 MRK Rn. 9 ff. m. w. N.; BGH NStZ-RR 2005, 320).
b.
Eine danach nötige außergewöhnliche, besonders schwer wiegende Verfahrensverzögerung, die die Betroffene in unverhältnismäßiger Weise belastet hätte und auf die nunmehr nur noch durch Verfahrenseinstellung reagiert werden könnte, vermag der Senat indes nicht anzunehmen. Auch wenn der Großteil der Verfahrenschritte von der zeitlichen Abfolge her nicht zu beanstanden ist, ist der Verteidigung aber zuzugestehen, dass die Sache in der Zeit von August 2014 bis August 2015, mithin 1 Jahr lang, beim Amtsgericht nicht gefördert worden ist, ohne dass hierfür ein Anlass ersichtlich wäre. Andererseits sind auch von Seiten der Betroffenen keinerlei Schritte unternommen worden, die Sache voranzubringen, denn sie ist nicht nur unentschuldigt der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung vom 22.05.2014 fern geblieben, sondern hat ausweislich des Schriftsatzes vom 28.05.2014 offenbar ihren Verteidiger nicht in die Lage versetzt, einen entschuldigenden Sachverhalt wenigstens vortragen zu können, und diese Einstellung auch nach der richterlichen Bitte in der Verfügung vom 16.07.2014 um nähere Ausführungen zum Wiedereinsetzungsgesuch augenscheinlich nicht geändert. Überdies wäre zu erwarten gewesen, dass die – von April 2010 bis August 2013 in wenigstens weiteren 8 Fällen straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getretene – Betroffene von sich aus gelegentlich bei Gericht nach dem Stand der Dinge fragt, wenn der offene Ausgang der Sache für sie eine „emotionale Belastung“ dargestellt hätte. Auch dies hat sie bezeichnenderweise über 1 Jahr hinweg nicht getan bzw. vornehmen lassen.
3.
Eine etwaige Kompensation der Verfahrensverzögerung auf der Rechtsfolgenseite (vgl. Beschluss des Senats vom 12.06.2008 – 2 Ss(OWi) 271/06 I 169/06 – juris -; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 06.05.2014 – Ss (B) 82/12 (59/12 OWi) – juris -) kam vorliegend nicht in Betracht.
Da es sich bei einem – wie vorliegend – Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG um ein reines Prozessurteil handelt, welches keine Feststellungen zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage enthält, hat sich die rechtliche Überprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts im Rahmen der Sachrüge auf das Vorliegen von Verfahrensvoraussetzungen bzw. Verfahrenshindernissen zu beschränken (BGHSt 21, 242; 46, 230), für die vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. Es ist dem Senat verwehrt, eine inhaltliche Überprüfung der sich aus dem Bußgeldbescheid ergebenden Rechtsfolgen etwa unter dem Aspekt des Absehens von der Verhängung eines Fahrverbotes wegen überlanger Verfahrensdauer vorzunehmen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 14.01.2009 – 2 Ss OWi 1538/08 – juris -).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
Dieser Beschluss ist endgültig, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.