Zum Inhalt der Entscheidung: Das Weiterreichen eines klingelndes Mobiltelefons an den Beifahrer ist kein „Benutzen“ im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO.
Oberlandesgericht Köln
Beschluss vom 07.11.2014
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Köln zurückverwiesen.
Aus den Gründen:
I.
Gegen die Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 24. Juli 2014 wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons eine Geldbuße von 40,– € verhängt worden. Dagegen hat sie mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 24. Juli 2014 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde angetragen und diese mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.
Durch Beschluss vom 7. November 2014 hat der Einzelrichter des Senats die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen und die Sache dem Senat zur Entscheidung in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG).
II.
Die nach ihrer Zulassung gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde begegnet hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen Bedenken. Sie hat auch in der Sache (vorläufigen) Erfolg, indem sie gemäß §§ 353 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG) führt.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen belegen – wie die Rechtsbeschwerde mit Recht rügt – nicht, dass die Betroffene verbotswidrig ein Mobiltelefon benutzt hat. Sie lauten wie folgt:
„Die Betroffene befuhr am 22.8.2013 um 11:30 Uhr als Führerin eines PKW T, amtliches Kennzeichen (…), die Lstraße in L2 in Fahrtrichtung L3straße. Auf dem Beifahrersitz saß ihr 10 Jahre alter Sohn, der Zeuge L4. Die Betroffenen hatte ein eingeschaltetes Mobilfunkgerät in ihrer Handtasche. Als das Handy klingelte, versuchte der Zeuge L4, das Handy in der Handtasche zu finden und herauszunehmen. Da ihm dies nicht gelang, reichte er die Tasche mit dem Handy an die Betroffene. Diese suchte – während sie die Fahrt als Führerin des Fahrzeugs fortsetzte – in der Tasche nach dem Handy, ergriff es und reichte es – während sie an der Kreuzung L3straße nach rechts in Richtung I abbog – an ihren Sohn. Entsprechend der Einlassung der Betroffenen unterstellt das Gericht, dass die Betroffene vor der Weitergabe des Handys nicht auf das Display schaute. Der Sohn nahm das Gespräch entgegen. (…)“
Gemäß § 23 Abs. 1a StVO ist dem Fahrzeugführer die Benutzung eines Mobiltelefons untersagt, wenn er hierfür das Gerät aufnimmt oder hält. Verboten ist danach das Telefonieren während der Fahrt einschließlich „Vor- und Nachbereitungshandlungen“ (so die Formulierung bei Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage 2013, § 23 StVO Rz. 30). Die Verordnungsbegründung verweist insoweit auf „sämtliche Bedienfunktionen wie das Anwählen, (…).“ (BR-Drs.599/00, 18). Erforderlich ist nach dem Wortlaut der Bestimmung und dem Willen des Verordnungsgebers somit stets, dass die vorgenommene Handlung einen Bezug zur Funktionalität des Geräts aufweist.
Entsprechend ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass – soweit die auch hier in Rede stehende Nutzung spezifisch als Mobiltelefon (s. zu anderen Funktionalitäten der in Frage kommenden Geräte Hermann NStZ-RR 2011, 65 [70 ff.]) angesprochen ist – etwa folgende Verhaltensweisen dem Benutzungsverbot unterfallen: das Aufnehmen des Mobiltelefons, Ablesen der Nummer und anschließendes Ausschalten des Geräts (SenE v. 01.09.2009 – 81 Ss OWi 82/09 -); das „Wegdrücken“ eines eingehenden Anrufs (Senat DAR 2012, 220 = NZV 2012, 450 = NStZ-RR 2012, 219); das Aufnehmen des Mobiltelefons, um ein eingehendes Gespräch entgegenzunehmen, auch wenn die Verbindung letztlich nicht zustande kommt (OLG Hamm BeckRS 2006 01391); das Abhören eines Signaltons, um dadurch zu kontrollieren, ob das Handy ausgeschaltet ist (OLG Hamm NZV 2008, 49 = BeckRS 2008 08267; s. a. AG Lüdinghausen NZV 2014, 332 = VRS 126, 119; vgl. jüngst zusammenfassend Hufnagel NJW 2014, 3265).
Der mögliche Wortsinn des gesetzlichen Tatbestands bildet auch im Ordnungswidrigkeitenrecht die nicht hintergehbare Grenze der Auslegung (s. allgemein KK-OWiG-Rogall, 4. Auflage 2014, § 3 Rz. 51 mit zahlr. weit. Nachw.; vgl. zur Renaissance des Art. 103 Abs. 2 GG Frister StV 2014, 584). Vom möglichen Wortsinn des Terminus „Benutzen“ ist – was die obergerichtliche Rechtsprechung gleichfalls anerkennt – die bloße Ortsveränderung des Mobiltelefons nicht mehr gedeckt, weil eine solche Handlung keinen Bezug zur Funktionalität des Geräts aufweist. Es kann dann nicht mehr die Rede davon sein, dass es bestimmungsgemäß nutzbar gemacht wird. Daher erfüllt den Tatbestand nicht, wer das Mobiltelefon lediglich aufnimmt, um es andernorts wieder abzulegen (Senat NJW 2005, 3366 = NZV 2005, 547 = VRS 109, 287 = DAR 2005, 695; OLG Düsseldorf NZV 2007, 95; OLG Bamberg VM 2007 Nr. 62 sowie [nicht tragend] OLG Zweibrücken vom 27.01.2014 – 1 SsRs 1/14 – Juris).
Hiervon ausgehend ließe sich im Streitfall zwar argumentieren, dass im Aufnehmen des Geräts nach Erklingen des Signaltons regelmäßig der erste Schritt zur Kommunikation zu erblicken ist und hierin ein Bezug zur Funktionalität des Mobiltelefons liegt. Indessen bereitet die Betroffene durch die Weitergabe des Mobiltelefons ohne vorheriges Ablesen des Displays keinen eigenen Kommunikationsvorgang in ihrer Eigenschaft als Fahrerin vor. Ihre Handlung hat daher hier gerade keinen Bezug zu einer von ihr in Anspruch genommenen Funktionalitäten des Mobiltelefons, sie macht sich keine der von dem Gerät angebotenen Funktionen „zu Nutze“ und bereitet dies – im Unterschied zu der der vom Amtsgericht herangezogenen Entscheidung des OLG Hamm vom 20.04.2007 (VRS 113, 317 = NZV 2007, 483; vgl. a. Senat NZV 2009, 304) zugrundeliegenden Sachgestaltung – auch nicht vor. Von den Fällen des „Wegdrückens“ eines eingehenden Anrufs oder des Ausschaltens des Geräts unterscheidet sich der hier vorliegende dadurch, dass der Betroffene dort gerade eine der Funktionsmöglichkeiten des Mobiltelefons nutzt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der hier zu entscheidende Fall daher in allen wesentliche Punkten demjenigen vergleichbar, in welchem der Fahrer das Mobiltelefon wegen von diesem ausgehender störender Geräusche verlegt. Der Fall ist letztlich nicht anders zu beurteilen als derjenige der Ortsveränderung eines beliebigen Gegenstands im Fahrzeug.
Das angefochtene Urteil kann somit keine Bestand haben. Der Senat vermag angesichts der darin mitgeteilten Angaben des Zeugen X andererseits nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine rechtsfehlerfreie Verurteilung der Betroffenen wegen des dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Tatvorwurfs zu tragen vermögen.