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OLG Jena – Beschluss vom 25.04.25

Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Wird in einem Bußgeldverfahren ein Sachverständigengutachten eingeholt, obwohl ein standardisiertes Messverfahren verwendet wurde, so muss das Urteil erkennen lassen, aus welchem konkreten Anlass und zu welchem Beweisthema die Begutachtung erfolgte. Andernfalls fehlt es an der für eine Überprüfung erforderlichen Darstellungsdichte.

2. Die erstmalige Anordnung eines Fahrverbots durch das Gericht setzt zwingend einen rechtzeitigen Hinweis auf diese mögliche Nebenfolge voraus. Unterbleibt ein solcher Hinweis, ist die Entscheidung insoweit verfahrensfehlerhaft – auch dann, wenn der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht anwesend war

Oberlandesgericht Jena

Beschluss vom 25.04.2025

3 ORbs 401 SsBs 156/24

Tenor:

1. Dem Betroffenen wird auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amts-gerichts Jena vom 27.09.2024 (Az.: 5 Owi 220 Js 37367/23) gewährt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Jena vom 27.09.2024 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Jena zurückverwiesen.

Gründe:

Durch Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle Artern vom 24.07.2023 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h eine Geldbuße in Höhe von 150 EUR festgesetzt.

Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen am 28.07.2023 zugestellt. Hiergegen legte er mit Schreiben seines damaligen Verteidigers, Rechtsanwalt (…), vom 05.08.2023, der Bußgeldstelle am 07.08.2023 zugegangen, Einspruch ein, gleichzeitig beantragte er eine gerichtliche Entscheidung zum Umfang der Akteneinsicht. Die Bußgeldstelle half mit Bescheid vom 27.09.2023 diesem Antrag nicht ab.

Nachdem die Verfahrensakte am 07.12.2023 beim Amtsgericht Jena eingegangen war, beschloss das Amtsgericht Jena am 16.01.2024 nach vorherigem Hinweis an den Betroffenen die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ordnungsmäßigkeit der Geschwindigkeitsmessung.

Der bereits mit Schreiben vom 06.07.2023 gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wegen unterbliebener Zurückverweisung wegen Missachtung von Verfassungsrechten und verfassungs-gerichtlichen Urteilen nach § 69 Abs. 5 OWiG und wegen unvollständiger Beweismittelüberlassung wurde mit Beschluss vom 22.12.2023 zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 04.01.2024 legte der damalige Verteidiger gegen diese Entscheidung „Rechtsmittel“ mit der Begründung ein, der Antrag nach § 69 Abs. 5 OWiG sei bei Gericht gestellt worden, Akteneinsicht und Gehörsgewährung seien unterlassen worden.

Mit richterlicher Verfügung vom 24.05.2024 wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 27.09.2024 bestimmt und mit Verfügung vom 06.06.2024 der Betroffene antragsgemäß von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden. Mit dem Entbindungsantrag wurde durch den damaligen Verteidiger wiederum Beiziehung und Verlesung der Akte mit Antrag nach § 62 OWiG beantragt.

Durch das in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete Urteil des Amtsgerichts Jena vom 27.09.2024, Az.: 5 OWi 220 Js 37367/23, wurde gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h eine Geldbuße in Höhe von 150 EUR sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat unter Berücksichtigung des § 25 Abs. 2a StVG verhängt.

Das Urteil wurde dem Betroffenen am 05.10.2024 zugestellt, nachdem das Sitzungsprotokoll am 27.09.2024 fertiggestellt worden war.

Gegen das Urteil legte der Betroffene mit Schriftsatz seines jetzigen Verteidigers vom 11.10.2024, dem Gericht am selben Tag zugegangen, Rechtsbeschwerde ein.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 18.11.2024, gleichfalls eingegangen am selben Tag, wurde die Rechtsbeschwerde begründet.

Mit Beschluss vom 02.12.2024 verwarf das Amtsgericht Jena die Rechtsbeschwerde als unzulässig, da die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde bereits mit Ablauf des 13.11.2024 geendet habe. Dieser Beschluss wurde dem Betroffenen am 04.12.2024 zugestellt.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 09.12.2024 wurde Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts beantragt sowie dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

In ihrer Stellungnahme vom 15.01.2025 beantragte die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft zunächst, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Mit Stellungnahme vom 05.02.2025 beantrage die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und bezüglich des Schuldspruchs die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Die Verteidigung erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme zu den jeweiligen Anträgen der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft und replizierte mit Schreiben vom 06.03.2025.

II.

1. Dem Betroffenen war auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das ihm am 05.10.2024 mit Gründen zugestellte Urteil des Amtsgerichts Jena vom 27.09.2024 (Az.: 5 Owi 220 Js 37367/23) zu gewähren (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 1 StPO, § 44 Satz 1 StPO). Der Betroffene war, wie sich aus der Begründung zum Wiedereinsetzungsantrag und der darin glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gehindert. Die Begründung der Rechtsbeschwerde wurde bereits am 18.11.2024 und der Wiedereinsetzungsantrag wurde am 09.12.2024 und damit rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist nach Wegfall des Hindernisses (am 09.12.2024), nachgeholt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 StPO, § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO).

2. Die nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist offensichtlich begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Das Urteil leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.

a) In Bußgeldsachen sind an die schriftlichen Urteilsgründe zwar keine zu hohen Anforderungen zu stellen, für ihren Inhalt kann aber grundsätzlich nichts anderes als für das Strafverfahren gelten. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass das Rechtsmittelgericht auf ihrer Grundlage die Entscheidung auf Rechtsfehler überprüfen kann (vgl. u. a. Entscheidung des Senats vom 20.06.2023, Az. 1 ORbs 331 SsBs 73/23). Dabei wird nicht verkannt, dass die Beweiswürdigung allein Sache des Tatrichters und seine Entscheidung vom Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich hinzunehmen ist. §§ 261 und 267 StPO verpflichten den Tatrichter jedoch, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht (vgl. u. a. Entscheidung des Senats vom 26.07.2024, Az. 1 ORbs 331 SsBs 43/24).

Dem werden die Urteilsausführungen vorliegend nicht gerecht.

Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass das Gericht seine Feststellungen u.a. auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) (…) stütze. Aus den Urteilsgründen lässt sich indes schon nicht nachvollziehbar entnehmen, weshalb es nach Auffassung des Amtsgerichts bei vorliegen eines standardisierten Messverfahrens überhaupt einer Begutachtung durch einen messtechnischen Sachverständigen bedurfte. Es lässt sich aus den Urteilsgründen in keiner Weise entnehmen, zu welchen Beweisthema der Sachverständige gehört wurde. Darüber hinaus werden lediglich die Ausführungen des Sachverständigen wiedergegeben und ausgeführt, dass die Ausführungen nachvollziehbar seien. Eine Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen, ist indes den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

Hinsichtlich der Hinzuziehung eines Sachverständigen bei einem standardisierten Messerverfahren führte der 1, Bußgeldsenat des Thüringer Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 04.11.2021, Az.: 1 Orbs 331 Ssßs 123/24 folgendes aus:

„Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier verwendeten Messgerät PoliScan Speed handelt es sich um ein · standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2019 – 2 Ss OWi 67/19 -, · OLG Hamm, Beschluss vom 13.01.2020 – III-1 RBs 255/19 -, jeweils in juris), so dass sich das Tatgericht in seinen Feststellungen grundsätzlich auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz beschränken kann. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie auch die daran anknüpfende der Oberlandesgerichte zum standardisierten Messverfahren setzt eine datenbasierte jederzeitige nachträgliche Überprüfbarkeit der damit gewonnenen Messergebnisse als Bedingung für eine nachträgliche Beweisverwertung nicht voraus. Sie verlangt lediglich, dass sich der Tatrichter von dem ordnungsgemäßen Einsatz eines solchen Messgeräts überzeugt; eine Überprüfung, der Zuverlässigkeit des Messergebnisses ist nur erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.08.1993 – 4 StR 627/92 -, in juris). Das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen in die Verlässlichkeit amtlicher Messungen mit standardisierten Messverfahren findet seine Rechtfertigung im gesetzlichen Messwesen, das die Messrichtigkeit und -beständigkeit gerade dann gewährleisten soll, wenn eine Messung nicht wiederholbar ist (vgl. Märtens/Wynands NZV 2019, 338). Die zu Geschwindigkeitsmessungen eingesetzten Messgerätetypen werden danach vor ihrem Inverkehrbringen auf verschiedenen qualitätssichernden Kontrollebenen, insbesondere aber durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) bzw. deren Konformitätsbewertungsstelle mittels eines gerätespezifischen Prüfprogramms unter Einbeziehung patent- und urheberrechtlich geschützter Herstellerinformationen eingehend unter anderem darauf geprüft, ob sie stets zuverlässige, die gesetzlichen Fehlergrenzen einhaltende Messergebnisse liefern (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.12.2014 – 2 Ss-OWi 1041/14 -, in juris). Mit diesem mehrstufigen, aufwändigen Kontroll- und Überwachungssystem wird die Überprüfung – und damit die Gewährleistung eines richtigen Messergebnisses – von der Einzelfallmessung auf das Messgerät selbst . vorverlagert (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19 -, in juris). Hält das Messgerät bei dieser Überprüfung unter Berücksichtigung der Verwendungssituationen- alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, kann davon ausgegangen werden, dass es dies auch beim Einsatz unter gleichen Bedingungen leistet (vgl. · KG Berlin, Beschluss vom 05.04.2020 – 3 Ws (B) 64/20 -, juris). Die vorweggenommene Prüfung durch die PTB bietet in hohem Maß die Gewähr, dass es nur in einem Ausnahmefall zu einer Fehlmessung kommen kann. Das rechtfertigt eine geringere Kontrollmöglichkeit im jeweiligen Einzelfall einer Messung, ohne dass der Betroffene damit „auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert“ wäre (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 05.04.2020 – 3 Ws (8) 64/20 -, in juris).

Diesen Ausführungen schließt sich der 2. Senat für Bußgeldsachen vollumfänglich an, wobei es sich auch bei dem verwendeten Messgerät Traffipax TraffiStar S 330 um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 28.06.2023, Az.: 1 ORbs 351 SsRs 81/23).

Insoweit leidet das Urteil an einem durchgreifenden Darstellungsmangel , weil schon nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Gründen sich das Amtsgericht Jena trotz des Vorliegens eines standardisiertes Messverfahrens überhaupt bemüßigt fühlte, die Messung einer sachverständigen Überprüfung zu unterziehen. Es wäre die Mitteilung erforderlich gewesen, aus welchem Grund und zu welchem konkreten Beweisthema überhaupt ein Sachverständigengutachten erholt wurde.

Nur in diesem Fall kann verlässlich beurteilt werden, ob der Tatrichter Anhaltspunkte für eine Fehlmessung hatte und ob diese durch die Beweisaufnahme in ausreichender Weise ausgeräumt werden konnten (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 06.10 .2017, Az. 3 Ss OWi 1420/17, juris, m.w.N.). Das angegriffene Urteil verhält sich weder zu etwaigen Zweifeln an einer ordnungsgemäßen Messung und deren Ausräumung in der Beweisaufnahme noch teilt es mit, zu welchem konkreten Beweisthema das Gutachten eingeholt wurde.

Darüber hinaus durfte sich das Amtsgericht nicht damit begnügen, lediglich die Ergebnisse der sachverständigen Begutachtung mitzuteilen, weil dem Rechtsbeschwerdegericht allein mit diesen Angaben ohne zusätzliche Ausführungen wenigstens zu den wesentlichen Anknüpfungstat-sachen des Gutachtens eine Beurteilung seiner Schlüssigkeit und damit die rechtliche Nachprüfung des Urteils als Ergebnis einer gegenüber der sachverständigen Wertung selbständigen Urteilsfindung schon im Ansatz verwehrt ist.

b) Des Weiteren beanstandet der Betroffene mit der entsprechend den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführten Verfahrensrüge zur Recht, dass das Amtsgericht gegen ihn ein Fahrverbot nach § 25 StVG ausgesprochen hat, obwohl der Bußgeldbescheid eine solche Maßnahme nicht vorgesehen und das Amtsgericht ihn oder seinen Verteidiger weder in noch vor der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit der Verhängung einer solchen Maßnahme hingewiesen hat.

Ist im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot nach § 25 StVG nicht angeordnet worden, so darf das Gericht im Einspruchsverfahren nur dann auf diese Nebenfolge erkennen, wenn es in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO den Betroffenen zuvor auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 26.02.2010 – 1 Ss 270/09).

Weder die Bußgeldbehörde noch das Amtsgericht haben vor der Hauptverhandlung das Fahrverbot als Nebenfolge erörtert. Der Betroffene konnte vor diesem Hintergrund nicht mit der Verhängung eines Fahrverbotes rechnen. Soweit der Betroffene aufgrund der Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht persönlich in der Hauptverhandlung erschien und auch sein Verteidiger nicht anwesend war, hätte das Gericht die Verhandlung unterbrechen müssen, um diesem über seinen Verteidiger Gelegenheit zur Äußerung innerhalb angemessener Frist einzuräumen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03. 09. 2013, Az.: 111-1 RBs 255/13).

c) Bereits wegen des wegen des aufgezeigten Darstellungsmangels konnte das Urteil keinen Bestand haben. Es war auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Jena zurückzuverweisen.

Auf die weitergehend erhobenen Rügen kommt es daher nicht an.