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OLG Jena – Beschluss vom 12.01.11

Zum Inhalt der Entscheidung: Ist der Betroffene vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und erscheint auch der Verteidiger nicht, darf der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nicht ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil verworfen werden. Das Gericht muß in Abwesenheit des Betroffenen zur Sache verhandeln.

Thüringer Oberlandesgericht

Beschluss vom 12.01.2011

1 Ss Rs 72/11 (165/11)


Aus den Gründen:

Dem Betroffenen wird vorgeworfen, am 13.06.2010 gegen 20.49 Uhr auf der Bundesautobahn 71 in Richtung Erfurt bei (…) als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen (…) die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 14 km/h überschritten sowie verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon benutzt zu haben. Wegen dieser Verkehrsordnungswidrigkeiten wurden mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle der Thüringer Polizei vom 07.09.2010 gegen den Betroffenen Geldbußen von 20 € bzw. 50 € verhängt.

Auf den hiergegen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch des Betroffenen bestimmte das Amtsgericht Arnstadt am 29.11.2010 Termin zur Hauptverhandlung auf den 12.01.2011. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 09.12.2010 räumte der Betroffene seine Fahrereigenschaft ein, kündigte an, keine weiteren Angaben machen zu wollen und beantragte seine Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung. Mit Verfügung vom 15.12.2010 entsprach das Amtsgericht diesem Antrag.

Nachdem zum Hauptverhandlungstermin am 12.01.2011 weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren, verwarf der zuständige Tatrichter den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG.

Gegen dieses Verwerfungsurteil, das seinem Verteidiger am 24.01.2011 zugestellt worden ist, wendet sich der Betroffene mit seinem am selben Tage eingegangenen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den er am 09.02.2011 mit der Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs begründet hat. Er beantragt, nach Zulassung der Rechtsbeschwerde das angefochtene Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Arnstadt vom 12.01.2011 aufzuheben.

In ihrer Stellungnahme vom 12.05.2011 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt, auf die zulässig ausgeführte Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs die Rechtsbeschwerde zuzulassen und das angefochtene Urteil — nach Übertragung der Sache auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern — aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Arnstadt zurückzuverweisen.

Das angefochtene Verwerfungsurteil ist auf die wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zugelassene Rechtsbeschwerde aufzuheben.

Der Tatrichter hat — ohne zur Sache zu verhandeln und zu entscheiden — ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG erlassen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren. Durch diesen Verfahrensfehler hat er zugleich den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt.

Nach § 74 Abs. 2 OWiG hat das Gericht, wenn ein Betroffener ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen. Diese Voraussetzungen lagen ersichtlich nicht vor, da der Betroffene mit Verfügung vom 15.12.2010 von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden war. Der Tatrichter hätte daher nach § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen zur Sache verhandeln müssen. Der Umstand, dass vorliegend auch der Verteidiger des Betroffenen der Hauptverhandlung ferngeblieben war, rechtfertigte den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht. Im Übrigen verpflichtet § 73 Abs. 3 OWiG den vom Erscheinen entbundenen Betroffenen nicht, sich durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten zu lassen, er kann dies lediglich tun (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Senatsbeschluss vom 04.03.2011, 1 Ss Rs 6/11).

Der Erlass eines Verwerfungsurteils unter Missachtung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG stellt zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar, da dem Betroffenen durch den unzulässigen Erlass eines solchen Prozessurteils eine Sachverhandlung in Gänze verwehrt wird (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.10.2009, 1 Ss Rs 34/09, 1 Ws 181/09, bei juris m.w.N.; Senatsbeschluss vom 13.12.2010, 1 Ss Rs 112/10).