Zum Inhalt der Entscheidung: Dem Schild „Ende der Autobahn“ kommt keine geschwindigkeitsregelnde Bedeutung zu.
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss vom 24.11.2015
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen und dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Entscheidung des mitentscheidenden Einzelrichters).
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückverwiesen.
Aus den Gründen
I.
Das Amtsgericht Essen hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 26. November 2014 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft eine Geldbuße in Höhe von 120,- € verhängt.
In der Sache hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
„Der Betroffene führte am 31.05.2014 gegen 11.40 Uhr den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen (…) von der Bundesautobahn (BAB) 52 kommend auf der Norbertstr. in Essen in Fahrtrichtung Essen-Haarzopf, und zwar in Fahrtrichtung gesehen auf der linken äußeren Fahrspur. Diese Stelle befindet sich im Zuständigkeitsbereich der Bußgeldbehörde der Stadt Essen innerhalb der geschlossenen „Ortschaft Essen“. In Höhe des bei der dortigen Laterne Nr. 28 befindlichen Fußwegs wurde durch die Polizeibeamten T und M eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Senor-Messsystem ES 3.0 der eso GmbH durchgeführt, welches durch den Landesbetrieb Mess- und Eichwesen Nordrhein-Westfalen bis zum 31.05.2015 gültig geeicht war. Die damit durchgeführte Geschwindigkeitsmessung ergab zum angegebenen Zeitpunkt eine von dem Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit von 79 km/h. Abzüglich einer Toleranz von 3 km/h ist bei dem Betroffenen daher eine Geschwindigkeit von 76 km/h festgestellt worden. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug dort zu diesem Zeitpunkt 50 km/h. Der Betroffene hätte dies erkennen können und müssen und hätte seine Geschwindigkeit daran ausrichten können und müssen.“
Die Feststellung, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb einer geschlossenen Ortschaft erfolgt sei, hat das Amtsgericht auf der Grundlage getroffen, dass der Betroffene eingeräumt habe, nach Verlassen der BAB 52 ein Verkehrsschild mit dem Zeichen 330.2 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO („Ende der Autobahn“) wahrgenommen und passiert zu haben. Angesichts dieses Schildes habe sich der Betroffene – so das Amtsgericht – „an der allgemeinen Regel aus § 3 Abs. 3 StVO orientieren und mithin eine Geschwindigkeitsobergrenze von 50 km/h einhalten“ müssen. Das Amtsgericht hat angenommen, dass vor diesem Hintergrund das Vorhandensein eines weiteren, die Geschwindigkeit regelnden Schildes bzw. eines Ortseingangsschildes irrelevant sei.
Der Betroffene hat die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil beantragt. Zur Begründung des Zulassungsantrages und der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene ausgeführt, das Amtsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die ihm zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb einer geschlossenen Ortschaft erfolgt sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen. Sie hat in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg.
1.
Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 80 a Abs. 3 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.
2.
Die amtsgerichtlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft nicht.
Das Amtsgericht hat die Feststellungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts und zum dazugehörigen Fahrlässigkeitsvorwurf allein darauf gestützt, dass der Betroffene eingeräumt habe, nach Verlassen der BAB 52 ein Verkehrsschild mit dem Zeichen 330.2 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO („Ende der Autobahn“) wahrgenommen und passiert zu haben. Jedoch zeigt dieses Zeichen lediglich an, dass die besonderen Regelungen für die Autobahn fortan nicht mehr gelten. Die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung kommt dem Zeichen 330.2 hingegen nicht zu (vgl. bereits OLG Düsseldorf, VRS 64, 460, 461). Vor diesem Hintergrund hätte das Amtsgericht aufklären müssen, ob entweder tatsächlich ein Ortseingangsschild aufgestellt war (und ggfs. wo genau) oder aber der Charakter einer geschlossenen Ortschaft offensichtlich und eindeutig gewesen ist. Denn wenn eine Ortstafel fehlt, beginnt die geschlossene Ortschaft da, wo die eindeutig geschlossene Bauweise erkennbar anfängt (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 1996, 247; OLG Düsseldorf, a.a.O.; Burmann, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 3 StVO Rdnr. 61). Feststellungen hierzu, die eine Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts tragen könnten (s. etwa OLG Schleswig, NZV 1993, 39), sind nicht ausgeschlossen.
Wegen des aufgezeigten Mangels ist das angefochtene Urteil nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache nach § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückzuverweisen.