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OLG Hamm – Beschluss vom 17.09.15

Zum Inhalt der Entscheidung: Eine beharrliche Pflichtverletzung i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG liegt vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer durch die wiederholte Verletzung von Rechtsvorschriften erkennen lässt, dass es ihm an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt (hier: fünf Verkehrsverstöße innerhalb eines Zeitraums von deutlich weniger als drei Jahren, die jeweils Verhaltensweisen mit einem gewissen Gefährdungspotential für Dritte betreffen).

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom 17.09.2015

III-1 RBs 138/15

 

Aus den Gründen:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der sog. „Viermonatsfrist“ festgesetzt. Die Festsetzung des Fahrverbots hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:

„Zudem war gegen den Betroffenen gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 1 StVG ein Fahrverbot zu verhängen, da bei ihm eine beharrliche Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers vorliegt. Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Gerichts ist bei sogenannten Handyverstößen eine beharrliche Pflichtverletzung im vorbezeichneten Sinne gegeben, wenn drei oder mehr einschlägige Vorbelastungen vorliegen oder zwei einschlägige Vorbelastungen vorliegen und die verfahrensgegenständliche Tat binnen Jahresfrist nach der letzten einschlägigen Vorbelastung begangen worden ist. Letzteres ist vorliegend der Fall, da der Betroffene durch den Bußgeldbescheid des Kreises V vom 16.01.2012 wegen eines sogenannten Handyverstoßes mit einer Geldbuße belegt worden war und er trotz der erneuten Verhängung einer Geldbuße durch den Bußgeldbescheid des Kreises V vom 11.03.2014 – bestandskräftig seit dem 27.03.2014 – die verfahrensgegenständliche Tat am 16.09.2014 beging.“

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, die er auf eine nicht näher begründete „Sach- und Verfahrensrüge“ stützt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

1. Hinsichtlich des Schuldspruchs und der verhängten Geldbuße hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO). Der Senat schließt sich insoweit den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft an.

2. Hinsichtlich der Festsetzung des Fahrverbots ist zwar die Begründung des Amtsgerichts, dass bereits bei zwei einschlägigen Vorbelastungen und Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat binnen Jahresfrist eine beharrliche Verletzung der Pflichten als Kraftfahrzeugführer vorliege, im Hinblick auf die hier relevanten sog. „Handyverstöße“ rechtlich bedenklich.

Beharrliche Pflichtverletzungen liegen vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer durch die wiederholte Verletzung von Rechtsvorschriften erkennen lässt, dass es ihm an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt (vgl. nur: BGH NJW 1992, 1398; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.04.2014 – IV – 2 RBs 37/14 = BeckRS 2014, 16347). Bei der Beurteilung, ob ein Verstoß beharrlich ist, kommt es auf die Zahl der Vorverstöße, ihren zeitlichen Abstand (OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Hamm NStZ-RR 2015, aber auch auf ihren Schweregrad an (vgl. insoweit: BayObLGSt 2003, 132, 133; OLG Hamm NStZ-RR 2014, 59). Mangelnde Rechtstreue wird sich daher eher bei gravierenden Rechtsverstößen zeigen, kommt aber auch bei einer Vielzahl kleiner Rechtsverstöße in Betracht. Bei den sog. „Handyverstößen“ handelt es sich – gemessen an ihrer Einordnung im Bußgeldkatalog (Nr. 246) mit einer vergleichsweise geringen Geldbuße – um solche eher leichteren Rechtsverstöße, wobei sie aber in der Bandbreite der leichteren Rechtsverstöße eher im oberen Bereich anzusiedeln sind, was sich aus der Bewertung (nach neuem Recht) mit einem Punkt und damit der gesetzgeberischen Einordnung als „verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit“ (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. s StVG) ergibt. Hier schon grundsätzlich bei zwei einschlägigen Vorverstößen, der letzten Vorbelastung innerhalb eines Jahres vor der neuen Tat, von einer Beharrlichkeit auszugehen, völlig ungeachtet dessen, aus welcher Zeit die erste einschlägige Vorbelastung stammt, erscheint dem Senat gleichwohl nicht überzeugend. Erforderlich ist nämlich auch, dass ein innerer Zusammenhang i. S. einer auf mangelnder Verkehrsdisziplin beruhenden Unrechtskontinuität zwischen den Zuwiderhandlungen besteht (OLG Hamm a.a.O. m.w.N.). Das kann bei diesen vom Amtsgericht aufgestellten Rechtssätzen der Fall sein, muss es aber nicht. Konkret war es hier so, dass der erste der beiden „Handyvorverstöße“ am 10.01.2012 begangen und am 16.01.2012 mit Bußgeldbescheid geahndet worden ist. Der zweite einschlägige Vorverstoß wurde am 04.03.2014 begangen und mit Bußgeldbescheid vom 11.03.2014 geahndet. Es folgte dann der jetzige Verstoß am 16.09.2014. Hier bestehen wegen des langen Zeitraums zwischen der Ahndung des ersten einschlägigen Vorverstoßes und der Begehung des zweiten einschlägigen Vorverstoßes (immerhin mehr als zwei Jahre) Zweifel an einer solchen Unrechtskontinuität, wenn man allein die „Handyverstöße“ in den Blick nimmt.

Der Senat hält gleichwohl eine beharrliche Pflichtverletzung für gegeben, wenn man alle im angefochtenen Urteil aufgeführten Vorverstöße seit dem ersten „Handyverstoß“ berücksichtigt. Denn zwischen den beiden einschlägigen Vorverstößen hat der Betroffene zwei nicht unerhebliche Geschwindigkeitsverstöße (jeweils um 22 km/h) begangen, die mit Bußgeldbescheiden vom 29.05.2013 bzw. 09.01.2014 mit Geldbußen geahndet worden sind.

Sämtliche Vorverstöße sind auch unter Zugrundelegung des neuen, seit 01.05.2014 geltenden Registerrechts verwertbar und unterliegen nicht dem Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 StVG. Mit dem Bußgeldbescheid vom 11.03.2014 wurde zwar für den Handyverstoß vom 04.03.2014 eine Geldbuße von nur 45 Euro festgesetzt. Die Eintragung hierüber war aber nicht nach § 65 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 StVG zu löschen, weil die Höhe der Geldbuße für die Frage, ob die Eintragung zu löschen ist, außer Betracht bleibt (§ 65 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 StVG). Damit gilt für diese und auch alle übrigen Voreintragungen nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG, dass sie bis zum Ablauf des 30.04.2019 „nach den Bestimmungen des § 29 in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung getilgt und gelöscht“ werden. Eine Tilgung und Löschung war hier bzgl. der Eintragungen aus den Jahren 2013 und 2014 schon wegen § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StVG a.F. ausgeschlossen, bzgl. der früheren Eintragungen wegen § 29 Abs. 6 StVG a.F.

Angesichts der Begehung von insgesamt fünf Verkehrsverstößen innerhalb eines Zeitraums von deutlich weniger als drei Jahren, die jeweils Verhaltensweisen mit einem gewissen Gefährdungspotential für Dritte betreffen, was sich aus der Einordnung als „verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit“ ergibt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. s StVG i.V.m. Tabelle 1 Nr. 11.3.4. BKatV und Nr. 246.1 BKatV), ist die erforderliche Unrechtskontinuität vorhanden. Die genannten Umstände lassen nur die Bewertung zu, dass es dem Betroffenen an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt.

Da dem Amtsgericht nur in diesem Punkt und nur ein Begründungsfehler unterlaufen ist, bedurfte es der Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht. Der Senat hält aufgrund der o.g. Umstände das verhängte Fahrverbot für angemessen. In einem solchen Fall kann das Rechtsbeschwerdegericht selbst entscheiden, auch ohne das angefochtene Urteil aufzuheben (BayObLG NZV 1997, 489; OLG Düsseldorf NJW 1981, 2478; OLG Hamm NZV 2002, 142; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Auflage, § 79 Rdn. 45c). Es würde einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn das Rechtsbeschwerdegericht bei einer auch im Ergebnis falschen amtsgerichtlichen Entscheidung in der Sache selbst entscheiden dürfte, bei einer im Ergebnis richtigen und nur falsch begründeten Entscheidung hingegen zur Aufhebung gezwungen wäre. Das würde auch der gesetzgeberischen Wertung des Vorrangs der Sachentscheidung zuwiderlaufen.