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OLG Hamm – Beschluss vom 17.06.04

Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Das Meßverfahren Traffipax speedophot gilt als standardisiertes Meßverfahren.

2. Das Meßgerät Traffipax „speedophot“ gilt wegen seiner hohen Sendefrequenz gegen Reflektionen des Radarstrahls an Reflektoren als anfällig. Bei der Wahl des Aufstellortes wird deshalb empfohlen darauf zu achten, dass sich im wirksamen Strahlungsbereich der Antenne kein großflächiger Reflektor befindet. Wenn sich in unmittelbarer Nähe des gemessenen Fahrzeugs großflächige Betonwände befinden, kann dies eine Beweiserhebung (durch Zeugenbeweis oder Sachverständigengutachten) erforderlich machen.

3. Die Ablehnung eines Beweisantrages nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG setzt voraus, dass das Gericht zu Recht davon ausgehen kann, dass der Sachverhalt hinreichend geklärt ist.

4. Die Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 34 km/h rechtfertigt für sich alleine noch nicht den Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns des Betroffenen. Zur Annahme eines vorsätzlichen Handelns des Betroffenen genügt auch nicht die Begründung, es sei davon auszugehen, dass der Betroffene allein schon visuell bemerkt habe, dass er erheblich schneller als 100 km/h fuhr.

 

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom 17.06.2004

3 Ss OWi 315/04

 

Aus den Gründen:

I.

Das Amtsgericht Gütersloh hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Begehung einer Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 41 Abs. 2 (Zeichen 274), 49 StVO, § 24 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 350,- € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten verhängt. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen befuhr der Betroffene am 19.09.2003 gegen 16.13 Uhr als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen (…) in (…) die Bielefelder Straße (L 791) in Fahrtrichtung (…). In Höhe der Autobahnbrücke hielt er außerorts eine Geschwindigkeit von 134 km/h ein, obwohl an dieser Stelle die Geschwindigkeit durch Zeichen 274 des § 41 Abs. 2 StVO auf 70 km/h begrenzt war.

Der Betroffene hatte sich zur Sache nicht eingelassen. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht u.a. Folgendes ausgeführt:

„Die Höhe der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit steht fest aufgrund des Messergebnisses der mobilen Überwachungsanlage des Typs Traffipax „speedophot“ im Radareinsatzcontainer Typ „Speedoguard“, wie es im Datenfeld des Lichtbildes Blatt 12 unten der Akte, auf dessen Einzelheiten gem. §§ 46 OWiG, 273 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen wird, dokumentiert ist. Angesichts der im Messprotokoll niedergelegten Bemerkungen und der eichamtlichen Bescheinigung des Eichamtes Düsseldorf vom 04.09.2003 über die zum Vorfallszeitpunkt gültige Eichung des Geschwindigkeitsmessgerätes hat das Gericht keine Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Messung. Deshalb brauchte auch den Beweisanträgen der Verteidigung nicht mehr nachgegangen zu werden. Dass keine Anullierungen vorhanden waren, ergibt sich bereits aus dem Messprotokoll, wo unter der Rubrik „Bemerkungen/Störungen im Einsatzverlauf“ „keine“ eingetragen ist. Weiterhin handelt es sich hier um ein standardisiertes Messverfahren. Sachverständigengutachten sind bei derartigen Messungen nur erforderlich, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung ergeben. Solche sind jedoch hier nicht ersichtlich. Zudem sind die Beweisanträge verspätet gestellt. Es ist nicht ersichtlich, warum sie nicht bereits im Vorverfahren angekündigt worden sind, so dass im Falle ihrer Berücksichtigung eine Aussetzung der Hauptverhandlung nicht erforderlich gewesen wäre (vgl. § 77 Abs. 2 Ziff. 2 OWiG).

Von dem im Datenfeld des Lichtbildes vom Vorfall ausgewiesenen Messwert von 139 km/h wurde ein Toleranzabzug in Höhe von 5 km/h zugunsten des Betroffenen vorgenommen.“

Das Amtsgericht hat es nach dem festgestellten Sachverhalt als erwiesen angesehen, dass der Betroffene vorsätzlich eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 41 Abs. 2 (Zeichen 274), 49 StVO, § 24 StVG begangen hat. In den Urteilsgründen heißt es hierzu:

„Er hat nämlich nicht nur die Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h nicht beachtet, sondern darüber hinaus die gem. § 3 Abs. 3 Ziff. 2 c StVO auf Bundesstrassen allenfalls zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 34 km/h überschritten. Eine derart hohe Differenz kann einem auch nur einigermaßen geübten Autofahrer nicht verborgen geblieben sein. Es ist davon auszugehen, dass der Betroffene allein schon visuell bemerkt hat, dass er erheblich schneller als 100 km/h fuhr.“

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt mit näheren Ausführungen die Verletzung formellen Rechts, nämlich die rechtsfehlerhafte Ablehnung in der Hauptverhandlung gestellter Beweisanträge und die Verletzung der dem Amtsgericht obliegenden Amtsaufklärungspflicht. Ferner hat der Betroffene die Sachrüge erhoben, durch die er u.a. die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit beanstandet.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat in der Sache einen zumindest vorläufig Erfolg und führt auf die erhobene Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Gütersloh.

Mit Erfolg rügt die Revision die Ablehnung der im Hauptverhandlungstermin gestellten Beweisanträge der Verteidigung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG. Die Anträge zum Beweis des Vorliegens einer fehlerhaften Messung durch Ladung und Vernehmung des Messbeamten (…) und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sind durch das Amtsgericht zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt worden, dass sie zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich seien. Diese Rügen sind auch ordnungsgemäß ausgeführt worden i.S.d. § 340 Abs. 2 StPO. Für den vorliegenden Fall kann es dahingestellt bleiben, ob die Ablehnung eines Beweisantrages im Rechtsbeschwerdeverfahren praktisch nur mit der Aufklärungsrüge geltend gemacht werden kann bzw. die Verfahrensrüge der Ablehnung eines Beweisantrages inhaltlich mit der Aufklärungsrüge übereinstimmt (so Göhler, OWiG, 13. Aufl., Rdnr. 10 zu § 77; OLG Köln, VRS 78, 467, 77, 472; Bay.VRS 87, 367) oder ob die Ablehnung des Beweisantrages selbstständig gerügt werden kann (so Senge in KK, OWiG, 2. Aufl., Rdnr. 52 zu § 77 m.w.N.). Neben der insoweit erhobenen Verfahrensrüge der unzulässigen Ablehnung der Beweisanträge hat der Betroffene die Aufklärungsrüge gemäß §§ 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ordnungsgemäß erhoben.

Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung ausschließlich auf die durch Bezugnahme in den Urteilsgründen einbezogenen Fotos Bl. 8 – 12 d.A. von der Radarmessung gestützt sowie auf den Inhalt des Messprotokolls und die eichamtliche Bescheinigung des Eichamtes Düsseldorf vom 04.09.2003. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Das Amtsgericht konnte nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht ohne Rechtsfehler zu der Überzeugung gelangen, dass der Betroffene sich der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 64 km/h schuldig gemacht hat, denn das erzielte Beweisergebnis war zur Bildung dieser richterlichen Überzeugung nicht ausreichend.

Zwar handelt es sich bei dem durchgeführten Geschwindigkeitsmessverfahren mit der mobilen Überwachungsanlage des Typs Traffipax „speedophot“ um ein standardisiertes Messverfahren, so dass lediglich bei konkreten Anhaltspunkten für eine Fehlmessung eine nähere Überprüfung des dokumentierten Messergebnisses erforderlich ist (BGHSt 39, 291, 300 f.). Solche Anhaltspunkte für einen eventuellen Messfehler, der die Messung zu Lasten des Betroffenen beeinflusst haben kann, lagen hier deshalb vor, weil auf dem Beweisfoto Bl. 12 d.A. ersichtlich ist, dass sich in unmittelbarer Nähe des gemessenen Fahrzeugs großflächige Betonwände befanden. Bei dem Verkehrsradargerät Traffipax „speedophot“ besteht wie bei allen Radarmessverfahren das Risiko von Reflektions-Fehlmessungen, wenn die Radarstrahlen von Flächen, insbesondere Metall und z.T. auch von Betonflächen, reflektiert werden (vgl. Klaus-Peter Becker, Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr, 2. Aufl., 2.1.1.2. (Seite 60)). Auch besteht das Risiko von Reflektionsmöglichkeiten, wenn gegenüber dem Aufstellungsort des Radargerätes sich ein Gegenstand, z.B. eine Gebäudemauer oder eine Mauerpartie befindet, welche senkrecht zu der vom Fahrzeug reflektierten Strahlung verläuft (Becker, a.a.O.). Das Radargerät Traffipax „speedophot“ gilt wegen seiner hohen Sendefrequenz gegen Reflektionen des Radarstrahls an Reflektoren als anfällig. Bei der Wahl des Aufstellortes wird deshalb empfohlen darauf zu achten, dass sich im wirksamen Strahlungsbereich der Antenne kein großflächiger Reflektor befindet (Becker, a.a.O., 2.1.2.6. (Seite 90); Beck-Löhle, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 6. Aufl., 2.4.4., Seite 30 zu Traffipax-speedophot; Ludovisy (Hrsg.), Praxis des Straßenverkehrsrechts, 2. überarb. Aufl., Teil 8 Randnummern 29 ff., 116).

Aufgrund dieser für den Tatrichter auf dem Foto ohne weiteres ersichtlichen Besonderheit der nahegelegenen Betonflächen war die Ablehnung der gestellten Beweisanträge wie geschehen unzulässig und stellt einen Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht dar. Die für die Ablehnung der Beweisanträge gegebene Begründung beinhaltet eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Eine solche ist ohne Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nur dann zulässig, wenn das Gericht bereits eine Überzeugung gewonnen hat und die Grundlagen dafür so verlässlich und unproblematisch sind, dass die Möglichkeit, das Gericht könne in seiner Überzeugung durch eine weitere Beweisaufnahme erschüttert werden, vernünftigerweise auszuschließen ist (vgl. Entscheidung des erkennenden Senats vom 02.04.1984 – 3 Ss OWi 1795/83 veröffentl. in NStZ 1984, 462 m.w.N.). Entscheidend ist, welche Erwartungen bei vernünftiger Betrachtung an die beantragte Beweiserhebung geknüpft werden können. Erscheint der angebotene Beweis im Hinblick auf die damit erstrebte Entkräftung des erreichten Beweisergebnisses von vornherein als aussichtslos, so wird die Aufklärungspflicht kaum dazu drängen, diesen Beweis zu erheben. So liegt es indes vorliegend nicht, da aufgrund der auf dem Radarfoto ersichtlichen Örtlichkeiten die Gefahr einer Fehlmessung aufgrund von Reflektionen vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden konnte. Das Gericht hätte mithin den gestellten Beweisanträgen weiter nachgehen müssen, wobei – wegen des nicht absehbaren Beweisergebnisses für das Rechtsbeschwerdegericht – offen bleibt, ob der Tatrichter den Beweis durch beide genannten Beweismittel zu erheben hat oder ggf. ein Beweismittel die nötige Aufklärung erbringt.

Die Ablehnung der genannten Beweisanträge als verspätet gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG ist ebenfalls zu Unrecht erfolgt. Nach dieser Vorschrift kann ein Beweisantrag unter dem Gesichtspunkt der Prozessverschleppung abgelehnt werden, um dem Missbrauch prozessualer Rechte in Gestalt des bewussten Zurückhaltens von Beweismitteln zu begegnen. Die Beweisaufnahme darf sich jedoch nicht aufdrängen oder nahe liegen, da die Aufklärungspflicht auch in diesen Fällen gilt (vgl. Göhler, a.a.O. Rdnr. 20 zu § 77). Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 77 Abs. 2 OWiG, wonach das Gericht dann, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält, unter den weiter genannten Voraussetzungen einen Beweisantrag ablehnen kann. Nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme durfte das Amtsgericht, wie dargelegt, den Sachverhalt jedoch gerade nicht als geklärt ansehen. Bei dieser Sachlage durfte der Betroffene aus Sicht eines verständigen Dritten damit rechnen, dass seine beabsichtigten Einwendungen in der Hauptverhandlung ohnehin zur Sprache kommen würden, so dass es deren vorheriger Benennung nicht zwingend bedurfte. Zu Unrecht ist das Amtsgericht mithin von einem verspäteten Vorbringen des Betroffenen bei Stellung der Beweisanträge ausgegangen.

Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern kann das Urteil auch beruhen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil bei Durchführung der gebotenen Beweiserhebung für den Betroffenen günstiger ausgefallen wäre.

Das Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Gütersloh zurückzuverweisen.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass gegen die Verurteilung wegen vorsätzlicher Ordnungswidrigkeit aufgrund der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung Bedenken bestehen. Die von dem Amtsgericht festgestellte Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 34 km/h rechtfertigt für sich alleine noch nicht den Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns des Betroffenen. Eine Geschwindigkeit, mit der der Fahrer eines Kraftfahrzeuges derart erheblich von der ihm bekannten zulässigen Höchstgeschwindigkeit abweicht, dass deren Überschreitung einem durchschnittlichen Kraftfahrer nicht hätte verborgen bleiben können, kann zwar ein gewichtiges Indiz für ein vorsätzliches Handeln darstellen (vgl. Senatsentscheidung vom 24.09.1998 – 3 Ss OWi 978/98 -). Eine Geschwindigkeitsüberschreitung im hier festgestellten Umfang von 34 km/h lässt für sich allein einen solchen Rückschluss allerdings noch nicht zu. Zur Annahme eines vorsätzlichen Handelns des Betroffenen genügt auch nicht die Begründung des Amtsgerichts, es sei davon auszugehen, dass der Betroffene allein schon visuell bemerkt habe, dass er erheblich schneller als 100 km/h fuhr. Diese Schlussfolgerung würde zumindest voraussetzen, dass dargelegt wird, aufgrund welcher konkreter Umstände, etwa an den Örtlichkeiten oder der Straßenführung für den Betroffenen nahe lag, seine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung zur Kenntnis zu nehmen. Feststellungen hierzu enthält das angefochtene Urteil jedoch nicht. Der Schuldspruch könnte daher, soweit dem Betroffenen vorsätzliches Handeln zur Last gelegt wird, aufgrund der bisherigen Feststellungen des Urteils keinen Bestand haben.

(…)