Zum Inhalt der Entscheidung: Wenn ein Beweisantrag in der Hauptverhandlung mit der Kurzbegründung des § 77 Abs. 2 Nr.1 OWiG („nach pflichtgemäßem Ermessen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“) abgelehnt wird, muss das Gericht in den Urteilsgründen erläutern, aus welchen Gründen es den Antrag abgelehnt hat.
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss vom 15.12.2015
Tenor:
Auf den Antrag des Betroffenen vom 24, August 2015 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 ff OWiG gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübbecke vom 17. August 2015 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 15. Dezember 2015 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG beschlossen:
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübbecke vom 17. August 2015 wird zugelassen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Lübbecke vom 17. August 2015 aufgehoben.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Lübbecke zurückverwiesen.
Aus den Gründen:
I.
Durch Urteil vorn 17. August 2015 hat das Amtsgericht Lübbecke gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h eine Geldbuße in Höhe von 160,- € verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene durch seinen Verteidiger mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 24. August 2015, der am selben Tage per Telefax bei dem Amtsgericht Lübbecke eingegangen ist.
Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 21. September 2015 hat der Betroffene seinen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde durch seinen Verteidiger mit zwei Schriftsätzen vom 21. Oktober 2015, jeweils eingegangen am selben Tage bei dem Amtsgericht Lübbecke, näher begründet und die Verletzung formellen und materiellen Rechts unter näheren Ausführungen gerügt und die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs erhoben.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II:
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und insgesamt zulässig. In der Sache hat er zumindest vorläufigen Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil es gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geboten war, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
Der Betroffene hat die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ausdrücklich erhoben und sie unter näheren Ausführungen darauf gestützt, dass ein von ihm in der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag fehlerhaft abgelehnt worden sei, weil das Gericht sein Antragsvorbringen nicht zur Kenntnis genommen habe. Der Betroffene hat dargetan, dass er in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Vernehmung des Zeugen N. zum Beweis der Tatsache gestellt habe, dass die Person, die am 16.01.2015 den Messfilm der hier in Rede stehenden Messung ausgewertet habe, nicht gemäß der Bedienungsanleitung in diese Aufgabe eingewiesen worden war. Zwar habe das Gericht den Beweisantrag in der Hauptverhandlung durch Beschluss dahin beschieden, dass die beantragte Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nr, 1 OWiG abgelehnt werde, weil sie nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich erscheine, das Urteil verhalte sich jedoch in keiner Weise zu dem gestellten Beweisantrag, sondern lediglich dazu, dass der Messbeamte ordnungsgemäß geschult sei, was jedoch „unstreitig“ gewesen sei; zur Auswerteperson verhalte sich das Urteil jedoch nicht. Offensichtlich sei der Tatrichter von falschen Voraussetzungen ausgegangen; dies komme der Nichtzurkenntnisnahme gleich und verletze den Betroffenen in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Die Rüge ist in zulässiger Form erhoben worden. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist wie eine Verfahrensrüge, also gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO zu begründen. Es müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden, so dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Rechtsbeschwerde zutrifft (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 344 Rdnr. 21 f). Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Zulassungsantrags.
Durch die Ablehnung des Beweisantrages ist das Recht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet, dass Beweisanträge, auf die es für die Entscheidung ankommt, vom Gericht berücksichtigt werden müssen, sofern nicht Gründe des Prozessrechts es gestatten oder dazu zwingen, sie unbeachtet zu lassen (vgl. BVerfG, NJW 1996, 2785 f. m.w.N.). Die Ablehnung eines Beweisantrages ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung, die unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist, verletzt deshalb das rechtliche Gehör (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811; Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rdnr. 16 b m.w.N.; OLG Hamm, NZV 2006, 217; NZV 2008, 417; Thür. OLG, Beschluss vom 27. Juni 2011 — 1 Ss Rs 90/11 — juris). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt dann vor, wenn die erlassene Entscheidung des Tatrichters auf einem Verfahrensmangel beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei hat (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811). Auch die unterlassene Verbescheidung eines in der Hauptverhandlung gestellten — nicht offensichtlich unzulässigen -Beweisantrages verletzt das Verfahrensgrundrecht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Thür. OLG, a.a.O.).
Das Grundrecht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG ist hier verletzt, weil die Zurückweisung des Beweisantrages des Betroffenen rechtsfehlerhaft erfolgt ist und dazu geführt hat, dass ein verfahrensrelevanter Beweisantrag und das diesem zugrunde liegende Vorbringen des Betroffenen unberücksichtigt geblieben ist.
Der Amtsrichter hat vorliegend die Ablehnung des Beweisantrages auf die Kurzbegründung gem. § 77 Abs. 2 Ziffer 1 OWiG gestützt. In den Urteilsgründen geht das Gericht allerdings nicht auf den Inhalt des Beweisantrages ein, sondern befasst sich mit einer anderen — von dem Beweisantrag nicht erfassten — Problematik, die — auch aus Sicht des Verteidigers – nicht aufklärungsbedürftig war. Mit dem Vorbringen des Betroffenen — Eingewiesensein des Auswertebeamten in seine Aufgabe — hat sich das Amtsgericht damit ersichtlich nicht befasst. Dies kommt der Nichtbehandlung eines Beweisantrages gleich; die unterlassene Verbescheidung eines in der Hauptverhandlung gestellten — nicht offensichtlich unzulässigen -Beweisantrages verletzt jedoch das Verfahrensgrundrecht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Da sich das Amtsgericht mit dem in dem Beweisantrag liegenden Verteidigungsvorbringen des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht auseinandergesetzt hat, ist das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt worden. Der Betroffene hatte nämlich so nicht die Möglichkeit, sein Prozessverhalten auf die Ablehnung seines Beweisbegehrens durch das Gericht einzustellen und ggf. weitere Anträge zu stellen.
Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Behandlung des Beweisantrages in der Hauptverhandlung beruht. Davon ist nach dem Rügevorbringen des Betroffenen, der die Anforderungen an die Annahme eines standardisierten Messverfahrens als erschüttert ansieht, auszugehen. Im Übrigen kann ein Urteil selbst dann auf der fehlerhaften Behandlung des Beweisantrages beruhen, wenn der Beweisantrag nach der gegebenen Sachlage mit einer rechtsfehlerfreien Begründung hätte abgelehnt werden können, der Antragsteller aber durch die unterbliebene Mitteilung der Ablehnungsgründe in seiner Prozessführung behindert worden ist (vgl. OLG Frankfurt, StV 1981, 172; Thür. OLG, a.a.O.).
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Lübbecke, das auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu entscheiden haben wird, zurückzuverweisen.