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OLG Hamm – Beschluss vom 06.10.04

Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Zur Frage möglicher Meßfehler bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Gerät Riegl FG 21-P.

2. Stützt der Tatrichter den Schuldspruch auf ein Sachverständigengutachten, so ist in den Urteilsgründen eine verständliche in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich.

 

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom 06.10.2004

2 Ss OWi 555/04

Aus den Gründen:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft zu einer Geldbuße in Höhe von 250,- € verurteilt. Zudem hat es gegen ihn ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts überschritt der Betroffene am (…) um (…) Uhr in C auf der in seiner Fahrtrichtung zweispurigen F-Straße die auf 50 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit um zurechenbare 57 km/h. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit dem Lasermessgerät Riegl FG 21-P. Das Fahrzeug des Betroffenen befand sich zum Zeitpunkt der Messung in einer Entfernung von 806 m zum Messgerät. Der Betroffene hat die Genauigkeit der Geschwindigkeitsmessung bezweifelt. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung auf die Ausführungen des Sachverständigen D sowie die Bekundungen des Messbeamten, des Zeugen L, gestützt und insoweit Folgendes ausgeführt:

„(…) Im Termin erläuterte der Sachverständige glaubhaft und nachvollziehbar, dass es bei der Riegl-Messung grundsätzlich nur in einer Konstellation zu Meßungenauigkeiten kommen könne. Eine derartige Konstellation sei auf Bild 17 und auf Bild 20 der Gerichtsakte abgebildet. Eine Meßungenauigkeit könne technisch nur dann in Betracht kommen, wenn sich noch ein weiteres Fahrzeug im zweiten Kreis befinde. Solange der Kreis leer ist, käme es zu keiner Meßungenauigkeit. Andere Meßungenauigkeiten seien aufgrund der Konstruktion des Riegl-Meßgerätes ausgeschlossen. (…)

Bezüglich der Frage, ob sich noch ein weiteres Fahrzeug im zweiten Kreis befunden habe, hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen L. Dieser konnte sich zwar an den konkreten Vorfall nicht mehr erinnern. Er konnte ihn nur aufgrund seiner eigenen Notizen rekonstruieren. Der Zeuge sagte jedoch nachvollziehbar und glaubhaft aus, dass der Betroffene mit sehr hoher Geschwindigkeit ein weiteres Fahrzeug überholt habe. Aufgrund dessen könne davon ausgegangen werden, dass sich im zweiten Kreis noch ein Fahrzeug befunden habe. (…)“

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er unter näheren Ausführungen die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg.

Die Überprüfung des Urteils auf die von dem Betroffenen erhobene Sachrüge hin lässt einen Rechtsfehler zu seinem Nachteil erkennen.

Die Gründe des angefochtenen Urteils sind lückenhaft (§ 267 StPO). Sie ermöglichen dem Senat nicht die Prüfung, ob die vom Amtsgericht getroffene Feststellung, Ungenauigkeiten des Messvorganges könnten ausgeschlossen werden, ohne Rechtsfehler getroffen worden ist. Es ist zwar ausschließlich Sache des Tatrichters, das Ergebnis der Beweisaufnahme im Urteil festzustellen und zu würdigen. Er braucht die Umstände der Überzeugungsbildung nicht lückenlos in den Urteilsgründen darzulegen. Er hat aber den festgestellten Sachverhalt, soweit er bestimmte Schlüsse zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten nahe legt, in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen; diese erschöpfende Würdigung hat er in den Urteilsgründen darzulegen (BGH NJW 1980, 2433). Eine Beweiswürdigung ist nicht nur dann fehlerhaft, wenn sie in sich widerspruchsvoll oder unklar ist, gegen Denkgesetze verstößt oder gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse oder Erfahrungssätze unbeachtet lässt, sondern auch, wenn sie sich nur lückenhaft mit den Feststellungen auseinandersetzt, aus denen Schlüsse zu Gunsten des Angeklagten gezogen werden können (BGH bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1984, 209, 212).

Die Beweiswürdigung ist vorliegend schon deshalb lückenhaft und daher mit einem revisionsrechtlich beachtlichen Fehler behaftet, weil der Tatrichter die Ausführungen des Sachverständigen nur unzureichend wiedergegeben hat.

Stützt der Tatrichter den Schuldspruch auf ein Sachverständigengutachten, so ist in den Urteilsgründen eine verständliche in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich (BGHR StPO, § 267 Abs. 1 S. 1, Beweisergebnis 2 [= StV 1987, 516]; § 261 Sachverständiger 2 [= StV 1990, 339]; OLG Hamm, Beschluss vom 10. September 1998 in 3 Ss 820/98; Beschluss vom 30. April 1999 in 3 Ss 385/99). Eine solche geschlossene Darstellung des Gutachtens, die den Senat in die Lage versetzen würde, die Schlüssigkeit Gutachtens zu prüfen, enthält das Urteil jedoch nicht. Soweit ausgeführt wird, dass Messungenauigkeiten lediglich in der Konstellation, wie sie auf Bild 17 und Bild 20 der Gerichtsakte abgebildet seien, auftreten könnten, sind die Urteilsausführungen aus sich heraus nicht verständlich.

Die alleinige Mitteilung des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens kann zwar u.U. dann ausreichen, wenn der Sachverständige bei der Begutachtung ein weithin standardisiertes Verfahren angewendet hat, es sich um einen renommierten Sachverständigen handelt und wenn von keiner Seite Einwände gegen die der Begutachtung zugrunde liegende Tatsachengrundlage und die Zuverlässigkeit der Begutachtung selbst erhoben werden (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4; Urteil vom 29. September 1992; OLG Hamm, a.a.O.). Diese Voraussetzungen, unter denen die Mitteilung des Ergebnisses ausnahmsweise zur Beweisführung ausreicht, liegen ersichtlich nicht vor.

Soweit der Tatrichter sich außerdem mit der Aussage des Messbeamten befasst, ist die Beweiswürdigung ebenfalls unklar und widersprüchlich. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Zeuge zunächst bekundet, dass er sich an den Vorfall nicht erinnern und diesen nur anhand seiner eigenen Notizen rekonstruieren könne, wonach der Betroffene ein Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit überholt habe. Unter Bezugnahme hierauf führt der Tatrichter sodann aus:

„Aufgrund dessen könne davon ausgegangen werden, dass sich im zweiten Kreis noch ein Fahrzeug befunden habe.“

Im Gegensatz dazu heißt es sodann im Folgenden:

„Insofern sagte der Zeuge glaubhaft aus, dass er auf diese Konstellation geachtet habe und er es ausschließen könne, dass bei der konkreten Messung ein weiteres Fahrzeug im zweiten Kreis befindlich sei.“

Diesen sich widersprechenden Ausführungen lässt sich nicht hinreichend deutlich entnehmen, wie der Zeuge zu der betreffenden Frage ausgesagt hat. Insbesondere bleibt offen, ob sich nach der Erinnerung des Zeugen innerhalb des äußeren Kreises der Visieroptik des Messgerätes ein weiteres Fahrzeug befunden hat.

Auch die folgende Begründung des Urteils gibt hierüber keinen hinreichenden Aufschluss. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage des Verteidigers an den Zeugen, ob er es ausschließen könne, dass er eventuell die Messung durchgeführt habe, weil er nicht bemerkt habe, dass sich noch ein weiteres Fahrzeug im „inneren Ring“ befunden habe. Das Urteil führt dazu zunächst aus, der Zeuge habe erklärt, dass er eine derartige Handlung nicht ausschließen könne. Demgegenüber wird weiter dargelegt, der Zeuge habe gleichzeitig ausgesagt, dass er im konkreten Fall sicher sei, dass sich kein Fahrzeug im Kreis befunden habe, da er aufgrund des Überholmanövers ein entsprechendes Problembewusstsein besessen hätte und entsprechend darauf geachtet hätte. Auch insoweit lassen die Urteilsdarlegungen den Inhalt der Aussage nicht hinreichend klar erkennen. Insbesondere bleibt offen, ob der Zeuge aufgrund einer Erinnerung an den konkreten Verkehrsvorgang die beschriebene Messsituation, dass sich ein weiteres Fahrzeug innerhalb des äußeren Ringes der Visieroptik befunden hat, ausschließen konnte.

Zwar steht der Umstand, dass ein Zeuge sich an den konkreten Verkehrsvorgang nicht mehr erinnern konnte, der Verwertbarkeit seiner Aussage nicht grundsätzlich entgegen (BGHSt 23, 213, 218; OLG Hamm, VRS 57, 291, 292; VRS 55, 134; VRS 55, 208, 209; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 77 Rdnr. 15 m.w.N.). Allerdings muss in einem solchen Fall der Tatrichter klären, ob der Zeuge bereit und in der Lage ist, die Verantwortung für die Richtigkeit des Inhaltes der Anzeige zu übernehmen und muss ggf. erfragen, ob der Zeuge einen Irrtum ausschließen kann (BGH, a.a.O.; OLG Hamm, VRS 57, 292). Dabei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob der Vorgang, den der Zeuge bekunden soll, von ihm selbst wahrgenommen worden ist und ob der Zeuge dem Gericht als zuverlässig bekannt ist (BGH, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsfeststellungen vorliegend nicht gerecht.

Zumeist wird es geboten sein, die näheren Umstände zu klären, unter denen der Verkehrsvorgang beobachtet und zur Anzeige gebracht worden ist. Regelmäßig wird der Tatrichter nur dann in der Lage sein, sich das erforderliche eigene Urteil darüber zu bilden, ob und in welcher Weise bei der Beobachtung und dem weiteren Verfahren bis zur Anzeige ein Irrtum unterlaufen sein kann (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Vorliegend wird der Tatrichter insbesondere der Frage genauer nachzugehen haben, ob es letztlich ausgeschlossen werden kann, dass sich das überholte Fahrzeug noch innerhalb des äußeren Ringes der Visieroptik des Messgerätes befunden hat.

Dabei bedarf, wenn eine konkrete Erinnerung des Zeugen an den Messvorgang nicht eintritt, eine dahingehende Überzeugung des Gerichtes regelmäßig einer eingehenden Begründung.

III.

Auch der Rechtsfolgenausspruch ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Die Regelbuße beträgt bei der festgestellten Überschreitung um 57 km/h innerhalb geschlossener Ortschaft lediglich 175,- €, nicht jedoch, wie verhängt, 250,- €. Soweit der Bußgeldbescheid ausführt, dass die Voreintragungen bußgelderhöhend berücksichtigt worden sind, hat es der Tatrichter demgegenüber unterlassen, etwaige Voreintragungen des Betroffenen festzustellen.

Das Amtsgericht hat sich außerdem nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob bei Absehen von dem Fahrverbot eine gleichzeitige Erhöhung der Geldbuße als Besinnungs- und Denkzettelmaßnahme ausgereicht hätte. Zwar ist das Gericht bei Vorliegen eines Regelfalls nach der Bußgeldkatalogverordnung, wenn keine durchgreifenden Anhaltspunkte für ein Abweichen erkennbar sind, der Verpflichtung enthoben, die grundsätzliche Angemessenheit der Verhängung eines Fahrverbotes besonders zu begründen. Mit der Möglichkeit, den angestrebten Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße zu erreichen, muss sich der Amtsrichter nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte aber grundsätzlich auseinandersetzen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 06.02.2002 in DAR 2002, 276 m.w.N.). Die Urteilsgründe lassen indes nicht erkennen, dass sich der Tatrichter dieser Möglichkeit bewusst gewesen ist.

Ob vorliegend ein ausdrückliches Ansprechen der Möglichkeit, von der Verhängung eines Fahrverbotes gegen Erhöhung der Geldbuße abzusehen, ausnahmsweise entbehrlich war, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Soweit ein ausdrückliches Ansprechen dieser Möglichkeit in dem Falle als entbehrlich angesehen wurde, dass einschlägige Vorbelastungen vorlagen (Senatsbeschluss vom 29. November 1996 in 2 Ss OWi 1314/96 = DAR 1997, 117 = VRS 93, 217), fehlt es gegenwärtig an jeglichen Feststellungen zu etwaigen Voreintragungen.

Ebenso bedarf es keiner Entscheidung, ob ein ausdrückliches Ansprechen der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot mit Rücksicht auf die festgestellte erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung entbehrlich war (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2001 in 2 Ss OWi 916/01 = NZV 2002, 140 = VRS 102, 64). Ob die vorliegende Fallgestaltung mit der dieser Entscheidung zugrunde liegenden letztlich vergleichbar ist, kann gegenwärtig nicht festgestellt werden. So hat der Tatrichter vorliegend lediglich eine fahrlässige Begehungsweise festzustellen vermocht, obwohl die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit sowie die Einlassung des Betroffenen Anlass dazu gibt, eine vorsätzliche Begehungsweise zu prüfen (vgl. Senatsbeschluss vom 24.10.2001 in 2 Ss OWi 916/01 a.a.O.). Andererseits wird der Tatrichter auch zu berücksichtigen haben, dass die Messstrecke über einen längeren Streckenabschnitt in Fahrtrichtung des Betroffenen zweispurig ausgebaut war und geradlinig verlief.

IV.

Nach allem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Bochum zurückzuverweisen.