Zum Inhalt der Entscheidung: Die mit dem Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung kann in manchen Fällen auch mit einer empfindlicheren Geldbuße erreicht werden.
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss vom 03.07.2006
2 Ss OWi 324/06
Aus den Gründen:
I.
Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 4, 49 StVO, 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt, von der Verhängung eines Fahrverbotes jedoch abgesehen. Hiergegen richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt worden ist.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.
Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung der Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung.
Der Rechtsfolgenausspruch ist allerdings aus Rechtsgründen derzeit zu beanstanden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
„Dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Hagen trete ich bei und bemerke ergänzend:
Die Wirksamkeit der Beschränkung der Rechtsbeschwerde begegnet keinen Bedenken, weil die Urteilsgründe den Anforderungen genügen, die an die Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gestellt werden. Soweit – so wie hier – die Überzeugung des Tatrichters von der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aus mit anerkannten Geräten im weithin standardisierten Verfahren gewonnenen Messergebnissen beruht, reichen danach die Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes aus (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflg., § 3 StVO, Rdnr. 56 b m.w.N.).
Schließlich enthält das Urteil die wesentlichen Daten des gegen den Betroffenen, der sich im Übrigen geständig eingelassen hat, verhängten Bußgeldbescheides.
Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben, da die in ihm enthaltenen Darlegungen weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung eines gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV grundsätzlich vorgesehenen Fahrverbotes von einem Monat rechtfertigen. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGHSt 38, 125, 136). Dessen Entscheidungsspielraum ist jedoch durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt auch hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. OLG Hamm, JMBI. NW 1996, 246).
Von der Anordnung eines Fahrverbotes kann gem. § 4 Abs. 4 BKatV in Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist und die Verhängung des Fahrverbotes trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre, wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder einer Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände ausreicht. Einen solchen Ausnahmefall können z.B. der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (vgl. Senatsbeschluss vom 06.02.2006 – 2 Ss OWi 31/06 -; OLG Hamm VRS 92, 369, 371).
Eine existentielle Gefährdung der Betroffenen durch die Verhängung eines Fahrverbotes ist weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen worden. In dem Urteil wird lediglich angegeben, die Betroffene sei aus dringenden beruflichen Gründen auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen. Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes hat ein Betroffener jedoch regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen für sich genommen kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes (zu vgl. Hentschel, a.a.O., § 25 StVG, Rdnr. 25 m.w.N.).
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die berufliche oder wirtschaftliche Existenz der Betroffenen ausschließlich von dem Einsatz ihrer Fahrerlaubnis abhinge. Insoweit erschöpfen sich die Urteilsausführungen in einer ungeprüften Übernahme der Angaben der Betroffenen (zu der Pflicht, die Angaben einer Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, vgl. OLG Hamm, VRS 95, 138, 140) zu drohenden beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ohne sich damit auseinander zu setzen, welcher zeitliche Aufwand mit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verbunden wäre und aus welchen Gründen ihre Angestellten die für ihren Betrieb notwendigen Einkäufe nicht erledigen könnten. Darüber hinaus ist – worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist – den Urteilsausführungen auch nicht zu entnehmen, inwieweit die Betroffene in der Lage gewesen wäre, die wirtschaftlichen Auswirkungen für ihren Betrieb dadurch abzumildern, dass sie das Fahrverbot zumindest teilweise in der Zeit des Jahresurlaubs abwickeln würde.
Der weitere Umstand, dass die Betroffene als so genannte Vielfahrerin in überdurchschnittlichem Umfang am Straßenverkehr teilgenommen hat (zu vgl. insoweit OLG Hamm, NZV 2003, 10) ist ebenso wenig wie der Umstand, dass die Betroffene unbelastet war, geeignet, einen Ausnahmefall zu begründen. Die Regelahndung nach der Bußgeldkatalogverordnung geht nämlich gerade nicht davon aus, dass ein Betroffener vorbelastet ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 29.10.2002 – 2 Ss OWi 789/02 – m.w.N.).
Die aufgezeigten Begründungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch, da zwischen der verhängten Geldbuße und dem Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht. Eine Entscheidung des Senats gem. § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht in Betracht, weil weitere Feststellungen zu treffen sind.“
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei, weist für die neue Hauptverhandlung allerdings zusätzlich noch auf Folgendes hin:
Der Senat hat schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die mit dem Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung auch mit einer empfindlicheren Geldbuße erreicht werden kann. Von dieser Möglichkeit hat der Tatrichter vorliegend auch Gebrauch gemacht, er hat allerdings die an sich festzusetzende Regelgeldbuße von 100 € nur um 100 € auf 200 € erhöht. Das erscheint dem Senat angesichts der für einen fahrlässigen Verstoß nach § 17 Abs. 2 OWiG möglichen Erhöhung auf bis zu 500 € in der Tat nicht ausreichend, um vom Regelfahrverbot absehen zu können (vgl. dazu auch Deutscher NZV 1999, 113; ders., in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 712 ff.; dazu zuletzt OLG Hamm VRR 2005, 155 = StraFo 2005, 257 sowie auch schon OLG Hamm zfs 1998, 75 und OLG Hamm VA 2001, 151 = NZV 2001, 436 = DAR 2001, 519 = VRS 101, 212 = zfs 2001, 567). Die übrigen für die Absehensentscheidung angeführten Gründe sind nicht derart schwer wiegend, dass eine nur maßvoll angehobene Geldbuße die Absehensentscheidung trägt. Der Tatrichter wird sich daher, wenn er in der neuen Hauptverhandlung erneut von einem Fahrverbot absehen will, was angesichts der sonstigen Umstände bei einer „massiven“ Erhöhung ggf. nicht zu beanstanden wäre, mit dieser Frage auseinander setzen müssen.
Der Senat weist für den Fall dann auch noch darauf hin, dass der Tatrichter dann konkrete Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen zu treffen haben wird.