Zum Inhalt der Entscheidung: Die Entscheidung betrifft einige Aspekte, die bei der Verteidigung in Rotlichtfällen bedeutsam sein können:
1. Freie Schätzungen der Rotlichtdauer aufgrund bloß gefühlsmäßiger Erfassung der verstrichenen Zeit sind zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich ungeeignet.
2. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung kommt es auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie nach § 41 III Nr. 2 (Zeichen 294) StVO an ( BGH, NJW 1999, 2978; OLG Hamm, VRS 91, 394). Der Beginn des Einfahrens in den durch die Lichtzeichenanlage geschützten Kreuzungsbereich ist nur dann maßgeblich, wenn eine Haltelinie (ausnahmsweise) nicht vorhanden ist ( OLG Hamm, VRS 94, 310).
3. Auch wenn die Voraussetzungen für die Verhängung eines Regelfahrverbots (§ 4 BGKat) vorliegen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit des Absehens vom Regelfahrverbot bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße bewusst gewesen ist (OLG Hamm, VRS 100, 469).
4. Da das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie als Denkzettel – und Besinnungsmaßnahme mit erzieherischer Funktion gedacht und ausgeformt ist (BVerfG, NJW 1969, 1624), kann es seinen Sinn verlieren, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden seiner Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt, und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten festgestellt worden ist (Bay OLG, NZV 2004, 210). Die obergerichtliche Rechtsprechung sieht es vor, vor diesem Hintergrund i.d.R. als notwendig an, das Fahrverbot in Frage zu stellen, wenn die Tat bis zur Rechtskraft der Entscheidung mehr als zwei Jahre zurückliegt (Bay OLG, NStZ – RR 2004, 57; OLG Naumburg, ZfS 2003, 96).
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss vom 01.09.2009
Aus den Gründen:
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 02. Dezember 2008 ist der Betroffene wegen Nichtbeachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, vorsätzlich begangen, zu einer Geldbuße von 125,00 € und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden.
Das Amtsgericht hat hierbei folgende Feststellungen getroffen:
„Am 01.03.2007 befuhr der Betroffene gegen 1.10 Uhr mit dem Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen […] in Hagen die Dolomitstraße. An der Kreuzung Dolomitstraße/Industriestraße achtete der Betroffene nicht auf das Rotlicht der dortigen Lichtzeichenanlage. Obwohl die Lichtzeichenanlage bereits 6 Sekunden Rotlicht zeigte, fuhr der Angeklagte mit seinem Lkw in den Kreuzungsbereich hinein. Zum gleichen Zeitpunkt befuhr die Zeugin F. mit ihrem Pkw die Industriestraße in Richtung Villigster Straße und der Zeuge E. mit seinem Autobus die Industriestraße in Fahrtrichtung Sauerlandstraße. Die Lichtzeichenanlage für diese beiden Zeugen zeigte Grünlicht, als sie in den Kreuzungsbereich der oben genannten Kreuzung hineinfuhren.
Da der Betroffene das für seine Fahrtrichtung zeigende Rotlicht ignorierte, kam es im Kreuzungsbereich mit dem Pkw des Zeugen F. zu einer Kollision, wobei beide Fahrzeuge beschädigt wurden.
Im ersten Hauptverhandlungstermin am 19.10.2007 hat der Betroffene sich zum Beweis der Tatsache, dass er bei Grünlicht in die Kreuzung gefahren sei, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen.
Das Gutachten des Sachverständigen hat ergeben, dass der Betroffene die für seine Fahrtrichtung gültige Lichtzeichenanlage mindestens 6 Sekunden nach Beginn der Rotlichtphase überfahren hatte.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Betroffenen, soweit dieser gefolgt werden konnte, den uneidlichen Aussagen der Zeugen […] und […] sowie dem verlesenen Sachverständigengutachten des Sachverständigen S. in der Beiakte […] des Amtsgerichts Hagen.
Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, dass er der Ansicht sei, er sei bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich mit seinem Lkw hineingefahren.
Diese Einlassung des Betroffenen ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur sicheren Überzeugung des Gerichts widerlegt worden. Sowohl der Zeuge […] als auch der Zeuge […] haben übereinstimmend ausgesagt, dass ihre Lichtzeichenanlage bereits mehrere Sekunden Grünlicht zeigte, als sie mit ihrem Pkw in den Kreuzungsbereich hineingefahren sind. Das Gericht hatte auch keine Veranlassung, die Angaben dieser Zeugen in Zweifel zu ziehen. Beide Zeugen haben übereinstimmend sichere und übereinstimmende Angaben gemacht. Der Zeuge […] ist darüber hinaus völlig unbeteiligt an dem Unfallgeschehen.
Im Übrigen werden die Bekundungen der Zeugen durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen […] in seinem Gutachten bestätigt. Nach seinen Ausführungen hat nämlich die für den Betroffenen zeigende Lichtzeichenanlage bereits 6 Sekunden Rotlicht gezeigt, als der Betroffene mit seinem Lkw in den Kreuzungsbereich fuhr.“
Die Verhängung des Fahrverbotes hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
„Darüber hinaus war gegen den Betroffenen ein Fahrverbot von 1 Monat gem. § 25 StVG zu verhängen. Denn insoweit liegt ein sehr grober Verstoß vor, da der Betroffene in den Kreuzungsbereich fuhr, nachdem die für ihn Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage bereits 6 Sekunden Rotlicht gezeigt hat. Auch die Tatsache, dass der Rotlichtverstoß bereits im Jahre 2007 begangen worden ist, kann nicht dazu führen, dass vom Fahrverbot abgesehen werden kann. Diese zeitliche Verzögerung beruht im wesentlichen auf den vom Betroffenen gestellten Beweisantrag.“
Gegen dieses Urteil wendet der Betroffene sich mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat wie erkannt beantragt.
II.
Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und im Übrigen auch zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines vorsätzlich begangenen qualifizierten Rotlichtverstoßes gem. §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 1 1. Alternative StVG i.V.m. §§ 37 Abs. 2 Nr. 1, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO nicht. Die Urteilsgründe sind lückenhaft und halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat einen qualifizierten Rotlichtverstoß, d.h. das Missachten der Rotlichtphase von mehr als 1 Sekunde, festgestellt. Dieser qualifizierte Rotlichtverstoß ist jedoch nicht hinreichend nachvollziehbar aus dem Beweisergebnis herzuleiten. Das Amtsgericht stützt die Verurteilung des Betroffenen wegen des festgestellten Rotlichtverstoßes, der weder durch ein Messgerät aufgezeichnet, noch gezielt beobachtet worden ist, auf die Angaben der zur Tatzeit zufällig anwesenden Zeugen […] und […]. Zwar konnte keiner der beiden Zeugen den Rotlichtverstoß selbst beobachten, da sie sich zur Tatzeit im Querverkehr befanden und deshalb nur die für sie geltende Lichtzeichenanlage im Blick hatten. Aus der übereinstimmenden Angabe der Zeugen, die für sie selbst geltende Lichtzeichenanlage habe zur Tatzeit „bereits mehrere Sekunden“ Grünlicht gezeigt, zieht das Amtsgericht jedoch ohne weiteres den Rückschluss, die für den Betroffenen geltende Lichtzeichenanlage habe in diesem Fall automatisch seit mehreren Sekunden Rotlicht gezeigt.
Es ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, auf das Vorliegen eines Rotlichverstoßes aus den Angaben von Zeugen zu schließen, die gleichzeitig das Grünlicht der Lichtzeichenanlage für den Querverkehr und das Einfahren in den Kreuzungsbereich beobachten (OLG Hamm, 3 SsOWi, 436/99). In diesem Fall, in dem der Rotlichverstoß aus der Beobachtung der Ampelschaltung des Querverkehrs erfolgt, wird auf den automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage Bezug genommen und aus dem Schaltprogramm der ordnungsgemäß funktionierenden Lichtzeichenanlage auf den Rotlichtverstoß geschlossen (OLG Hamm, a.a.O.).
Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen dürfen sich allerdings nicht so weit von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich nur Vermutungen darstellen ( BGH, NStZ 1981, 33). Um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der in Rede stehenden Schlussfolgerung allein anhand der Urteilsfeststellungen zu ermögliche, muss in den Urteilsgründen in aller Regel der Programmablauf der Lichtzeichenanlage mitgeteilt werden; ein logischer Rückschluss allein reicht nicht aus (OLG Hamm, a.a.O.).
Dieser Feststellungen enthält das angefochtene Urteil nicht. Es kann außer dem anhand der Urteilsgründe nicht zweifelsfrei nachvollzogen werden, wann die Zeugen […] und […] erstmals auf den Betroffenen aufmerksam wurden, da beide Zeugen zur Tatzeit offenbar vollständig auf die Beobachtung der für sie geltenden Lichtzeichenanlage konzentriert waren.
Nähere Angaben zum Programmablauf der Lichtzeichenanlage waren vorliegend auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn die Angabe der beiden Zeugen, die für sie geltende Lichtzeichenanlage habe „bereits mehrere Sekunden“ Grünlicht gezeigt, als sie in den Kreuzungsbereich hineinfuhren, ist keine tragfähige Tatsachenbasis, anhand derer das Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der korrekten Ermittlung der Rotlichtzeit für den Betroffenen auf der Grundlage objektiver Umstände durchführen könnte.
Es handelt sich bei dieser entscheidungserheblichen Zeitangabe um eine rein gefühlsmäßige Zeitschätzung zufällig anwesender Zeugen, auf die sich der Tatrichter ohne weiteres verlassen hat.
Der Schätzung eines Zeitablaufs durch Zeugen ist zwar nicht von vornherein jeder Beweiswert abzusprechen, sie ist jedoch angesichts der in Betracht kommenden Fehlerquellen mit Unsicherheiten behaftet, denen die Beweiswürdigung in nachvollziehbarer Weise Rechnung tragen muss (OLG Düsseldorf, NZV 1999, 95). Diese Grundsätze, die zunächst für Fälle entwickelt worden sind, in denen der Rotlichtverstoß selbst von Zeugen zufällig beobachtet worden war, können auf den vorliegenden Fall zumindest teilweise entsprechend angewandt werden.
Zwar ist die Beobachtung der Ampelphase des Querverkehrs durch zufällig anwesende Zeugen mit einem geringeren Fehlerrisiko behaftet als eine Beobachtung des Rotlichtverstoßes selbst, da die Zeugen in letzterem Fall ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig auf den Betroffenen und auf die für diesen geltende Lichtzeichenanlage lenken müssen, während sich ihre Beobachtungen im erstgenannten Fall auf die für sie geltende Lichtzeichenanlage beschränken.
Dennoch sind Zeitschätzungen – vor allem wenn sie nicht im Rahmen einer gezielten Überwachung vorgenommen werden – wegen der Ungenauigkeit des menschlichen Zeitgefühls grundsätzlich mit einer erheblichen Fehleranfälligkeit behaftet (OLG Köln, 8 Ss Owi 12/04). Dies gilt umso mehr, da es sich bei der Zeitangabe der Zeugen […]. und […] ersichtlich um nachträgliche Schätzungen handelt. Denn da keiner der beiden Zeugen zur Tatzeit mit einem Verkehrsunfall rechnen konnte, mussten sie sich nicht von vornherein zu einer exakteren Schätzung der für sie zur Tatzeit geltenden Grünlichtphase veranlasst sehen. In solchen Fällen bedarf es zumindest der Darlegung tatsächlicher Anhaltspunkte in den Urteilsgründen, die eine Überprüfung der Schätzung auf ihre Zuverlässigkeit zulassen – z.B. der Zählweise beim Mitzählen der Sekunden (OLG Köln, a.a.O.). Das Urteil muss erkennen lassen, ob die Zeitangabe das Ergebnis richtig ermittelter objektiver Anknüpfungstatsachen und deren richtiger Verknüpfung aufgrund verkehrsanalytischer Erfahrungssätze ist, oder ob es sich um freie Schätzungen handelt (OLG Hamburg, NZV 2005, 209). Freie Schätzungen aufgrund bloß gefühlsmäßiger Erfassung der verstrichenen Zeit sind zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich nämlich ungeeignet ( OLG Köln, VRS 100, 140; Bay OLG, VRS 103, 449).
Das Amtsgericht hat im angefochtenen Urteil weder die Methode mitgeteilt, nach der die Zeugen […] und […] die Zeit der für sie geltenden Grünlichtphase geschätzt haben, noch geht aus dem Urteil hervor, ob das Gericht einen Sicherheitsabschlag zugunsten des Betroffenen in Betracht gezogen hat.
Auch soweit das Amtsgericht seinen Schuldspruch auf ein Sachverständigengutachten stützt, sind die Urteilsgründe insoweit lückenhaft.
Folgt der Tatrichter den Ausführungen eines Sachverständigen, muss er in den Urteilsgründen die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Gutachtens und die daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens soweit mitteilen, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (Karlsruher Kommentar – Senge, a.a.O., § 71, Rn. 119). Mindestvoraussetzung ist daher eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung ( OLG Hamm, NZV 2000, 429; OLG Hamm, StV 2002, 404). Da der Sachverständige nur als sachkundiger Gehilfe des Gerichts fungiert, darf das Gericht dessen Angaben nicht ungeprüft übernehmen, sondern die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, ob das Gericht sich den Ausführungen des Sachverständigen aufgrund einer eigenen Sachprüfung angeschlossen hat.
Diese Grundsätze, von denen nur in den hier nicht vorliegenden Fällen allgemein anerkannter und häufig angewandter Untersuchungsmethoden oder besonders schwieriger, dem Laien nicht ohne weiteres zugänglicher Fachfragen abgewichen werden kann, geltend auch für das in einem zivilrechtlichen Parallelverfahren angefertigte Gutachten, auf das das Tatgericht seine Beweiswürdigung u.a. stützt.
Das angefochtene Urteil gibt ohne nähere Angaben lediglich das Ergebnis des Sachverständigengutachtens wieder, wobei das Urteil auch dabei insofern ungenau ist, als dass an einer Stelle der Urteilsgründe ausgeführt wird, die Rotlichtphase habe laut Sachverständigengutachten 6 Sekunden angedauert, während an anderer Stelle von „mindestens 6 Sekunden“ die Rede ist. Anhand dieser Darstellung kann nicht nachvollzogen werden, auf welche Weise und aufgrund welcher Überlegungen der Sachverständige zu dem genannten Ergebnis gekommen ist, und ob das Gericht das Gutachten einer eigenen Schlüssigkeitsprüfung unterzogen hat.
Da das angefochtene Urteil bereits aus diesen Gründen der Aufhebung unterliegt, kann die Frage offenbleiben, ob die Feststellungen des Amtsgerichts, die Rotlichtphase habe bereits 6 Sekunden angedauert, als der Betroffene in den Kreuzungsbereich fuhr bzw. die Lichtzeichenanlage überfuhr, schon für sich genommen zur Aufhebung des Urteils geführt hätten.
Der Senat weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass es nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie nach § 41 III Nr. 2 (Zeichen 294) StVO ankommt ( BGH, NJW 1999, 2978; OLG Hamm, VRS 91, 394). Der Beginn des Einfahrens in den durch die Lichtzeichenanlage geschützten Kreuzungsbereich ist nur dann maßgeblich, wenn eine Haltelinie (ausnahmsweise) nicht vorhanden ist ( OLG Hamm, VRS 94, 310).
Feststellungen zur Existenz einer Haltelinie und deren Entfernung zur Lichtzeichenanlage hat das Amtsgericht jedoch nicht getroffen.
Darüber hinaus begegnet die Annahme eines vorsätzlich begangenen qualifizierten Rotlichtverstoßes noch aus einem weiteren Grund rechtlichen Bedenken.
Das Urteil enthält nämlich keine Ausführungen zu der Frage, weshalb das Gericht ein vorsätzliches Handeln des Betroffenen annimmt. Insoweit belegen die Feststellungen nur, dass der Betroffene zur Tatzeit nicht auf das Rotlicht achtete bzw. das für seine Fahrtrichtung geltende Rotlicht ignorierte. Dabei deutet die erstgenannte Formulierung sogar eher auf ein fahrlässiges, da unachtsames Verhalten des Betroffenen hin.
Die in den Urteilsgründen anklingende Erwägung, allein aus der erheblichen Dauer der Rotlichtphase von 6 Sekunden lasse sich auf einen entsprechenden Tatvorsatz des Betroffenen schließen, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand. Abgesehen davon, dass die Rotlichtdauer schon nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden ist, kann auch bei einer längeren Rotlichtdauer das Rotlicht infolge Unaufmerksamkeit des Fahrzeugführers so spät bemerkt werden, dass ein Anhalten nicht mehr möglich ist ( KG, VRS 107, 215), oder auch vollständig übersehen werden. Deshalb ist zur Annahme eines vorsätzlichen Verstoßes zumindest die Mitteilung, ob und wann der Betroffene das dem Rotlicht vorausgegangene Gelblicht bemerkt hat, notwendig (KG, a.a.O.).
Da es dem angefochtenen Urteil auch an diesen Feststellungen fehlt, können die Erwägungen des Amtsgerichts nicht nachvollzogen werden.
Auch im Rechtsfolgenausspruch ist das angefochtene Urteil nicht frei von Rechtsfehlern.
Die Verhängung einer Geldbuße von 125,00 Euro begegnet insofern rechtlichen Bedenken, als dass anhand der Urteilsgründe nicht zweifelsfrei nachvollzogen werden kann, aus welchen Überlegungen heraus das Amtsgericht auf diesen Betrag erkannt hat.
Die verhängte Geldbuße entspricht dem Regelsatz bei qualifizierten Rotlichtverstößen gem. Nr. 132.2. BKat. Allerdings sieht Nr. 132.2.1 BKat für einen qualifizierten Rotlichtverstoß mit Gefährdung oder Sachschaden eine Regelgeldbuße von 200,00 Euro vor. So liegt der Fall hier, da der dem Rotlichtverstoß nachfolgenden Verkehrsunfall zwischen dem Betroffenen und der Zeugin F. sowohl zu einer Gefährdung der Zeugin F., als auch zu einer Sachbeschädigung an deren Fahrzeug geführt hat.
Da in dem angefochtenen Urteil die einschlägigen Vorschriften der BKat nicht aufgeführt sind, und das Amtsgericht keine weitere Begründung für die Angemessenheit der verhängten Geldbuße abgegeben hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht den gegenüber dem Regelsatz für qualifizierte Rotlichtverstöße ohne Gefährdung oder Sachbeschädigung erhöhten Regelsatz der Nr. 132.2.1 BKat übersehen hat. Ansonsten wären nähere Feststellungen zur wirtschaftlichen Situation des Betroffenen erforderlich gewesen, aufgrund derer ein Abweichen von der Regelgeldbuße nach unten gerechtfertigt wäre.
Die Erwägungen des Amtsgericht zu dem verhängten Fahrverbot gem. § 25 I 1 Alt. 1 StVG i.V.m. § 4 I Nr. 4 BKat halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.
Das Amtsgericht geht aufgrund der hier vorliegenden Voraussetzungen der Nr. 132.2.1 BKat zu Recht von einem Regelfahrverbot gem. § 25 I 1 Alt. 1 StVG i.V.m. § 4 I Nr. 4 BKat aus, wobei durch die Ausführungen des Gerichts, es handele sich um einen „sehr groben Verstoß“ noch hinreichend deutlich aus dem Urteil hervorgeht, das das Gericht diesen Regelfall trotz fehlender Benennung der einschlägigen Vorschriften der BkatV als solchen erkannt und gewertet hat.
Die Bedeutung des Regeltatbestandes gem. § 4 I Nr. 4 BkatV liegt darin, dass bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß ein grober Pflichtverstoß i.S.d. § 25 I 1 Alt. 1 StVG vom Verordnungsgeber sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht indiziert ist, um eine möglichst einfache, schnelle und summarische Erledigung des Bußgeldverfahrens zu ermöglichen ( Bay OLG, VRS 106, 396).
Das Tatgericht muss sich in den Urteilsgründen jedoch mit der sich aus § 4 I BkatV ergebenden Möglichkeit auseinandersetzen, unter – ggf. empfindlicher – Erhöhung der Regelgeldbuße von der Anordnung eines Fahrverbotes abzusehen. Denn es gibt Fallkonstellationen, in denen trotz eines Regelfalles die Verhängung eines Fahrverbotes unangemessen ist, und der notwendige Warneffekt ebenso effektiv durch eine angemessene Erhöhung der Geldbuße erreicht werden kann.
Zwar ist das Gericht aufgrund der Indizwirkung des § 4 I Nr. 4 BkatV von der Verpflichtung entbunden, die Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge besonders zu begründen, wenn keine Anhaltspunkte für ein Abweichen ersichtlich sind (BGHSt 38, 125). Die Urteilsgründe müssen dann aber erkennen lassen, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit des Absehens vom Regelfahrverbot bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße bewusst gewesen ist (OLG Hamm, VRS 100, 469).
Indem das Amtsgericht die Verhängung des Fahrverbotes mit einem „sehr groben Verstoß“ aufgrund der bereits seit 6 Sekunden andauernden Rotlichtphase begründet, lässt es zwar noch gerade erkennen, dass es die Möglichkeit des Absehens aufgrund eines Ausnahmefalles in Betracht gezogen und verneint hat. Es wird jedoch – auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe – nicht deutlich, ob sich der Tatrichter auch der Möglichkeit bewusst gewesen ist, von dem Fahrverbot bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße abzusehen. Dies sind jedoch zwei unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten auf die Besonderheiten des konkreten Einzelfalles, die sich der Tatrichter bei seiner Entscheidung ins Bewusstsein rufen muss.
In diesem Zusammenhang weist der Senat außerdem darauf hin, dass in den Urteilsgründen keine Angaben zu den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen des Betroffenen gemacht worden sind. Die Feststellungen, der Betroffene sei „als Kraftfahrer tätig“, ist – gerade vor dem Hintergrund, dass bei einem Berufskraftfahrer regelmäßig eine besonders hohe Strafempfindlichkeit besteht – zur Beurteilung der Gesamtsituation des Betroffenen nicht ausreichend.
Mit rechtsfehlerhaften Erwägungen verneint das Amtsgericht schließlich eine Beachtlichkeit der erheblichen Verfahrensdauer von inzwischen 29 Monaten (21 Monate zur Zeit der Urteilsverkündung).
Da das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie als Denkzettel – und Besinnungsmaßnahme mit erzieherischer Funktion gedacht und ausgeformt ist (BVerfG, NJW 1969, 1624), kann es seinen Sinn verlieren, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden seiner Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt, und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten festgestellt worden ist (Bay OLG, NZV 2004, 210). Die obergerichtliche Rechtsprechung sieht es vor, vor diesem Hintergrund i.d.R. als notwendig an, das Fahrverbot in Frage zu stellen, wenn die Tat bis zur Rechtskraft der Entscheidung mehr als zwei Jahre zurückliegt (Bay OLG, NStZ – RR 2004, 57; OLG Naumburg, ZfS 2003, 96).
Dies ist vorliegend der Fall. Außerdem ist der Betroffene seit seiner Verurteilung nicht mehr straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten.
Von dem Regelfahrverbot ist jedoch trotz Überschreitung der „2-Jahres-Grenze“ keinesfalls automatisch abzusehen, da dieser Zeitrahmen nur ein Anhaltspunkt dafür ist, dass der Tatrichter die Frage, ob das Fahrverbot noch seinen Zweck erfüllen kann, besonders eingehend zu prüfen hat (Bay OLG a.a.O.). Insbesondere sind die Ursachen der langen Verfahrensdauer mit zu berücksichtigen (OLG Köln, NZV 2000, 430), wobei es entscheidend darauf ankommt, ob die Verfahrensverzögerung im Einflussbereich des Betroffenen lag oder die Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind ( Bay OLG, NZV 2004, 210).
Soweit das Amtsgericht dem Betroffenen die erhebliche Verfahrensdauer mit dem Argument anlastet, sie beruhe im Wesentlichen auf dem vom Betroffenen gestellten Beweisantrag, wäre diese Erwägung nur dann nicht zu beanstanden, wenn sich aus den Urteilsgründen ergäbe, dass der Beweisantrag im Nachhinein die Wertung rechtfertigt, der Betroffene habe ihn „aufs Geratewohl“, „ins Blaue hinein“ gestellt (OLG Köln, a.a.O.).
Macht der Betroffene dagegen von seinen prozessualen Möglichkeiten in ordnungsgemäßer Weise Gebrauch, kann dies nicht dazu führen, die erhebliche Verfahrensdauer allein seinem Einflussbereich zuzuordnen.
Vor diesem Hintergrund belegen die Feststellungen des angefochtenen Urteils kein rechtsmissbräuchliches Prozessverhalten des Betroffenen. Der Beweisantrag hat zwar letztlich zu einem für den Betroffenen nachteiligen Ergebnis geführt, doch kann allein daraus nicht der Schluss gezogen werden, der Beweisantrag sei „aufs Geratewohl“ gestellt worden.
Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hagen zurückzuverweisen.