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OLG Düsseldorf – Beschluss vom 27.08.24

Zum Inhalt der Entscheidung: Bei Geldbußen von mehr als 250 Euro sind in der Regel nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen erforderlich

Oberlandesgericht Düsseldorf

Beschluss vom 27.08.2024

2 ORbs 83/24

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Wesel zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 5. Juni 2023 hat der Landrat des Kreises Wesel gegen den Betroffenen wegen – tateinheitlich – Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h und um 32 km/h und Nichtbeachtung eines bestehenden Verkehrsverbots (Zeichen 251) mit einem Kraftfahrzeug eine Geldbuße von 445 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot gemäß § 25 StVG festgesetzt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen – nach zuvor erfolgter Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgenentscheidung – zu einer Geldbuße von 445 Euro sowie zu einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt, wobei das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache – vorläufigen – Erfolg. Die Rechtsbeschwerde betrifft infolge der wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen; die insoweit beschränkte Nachprüfung des Urteils führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. Die vom Senat aufgrund der zulässig erhobenen Sachrüge von Amts wegen durchzuführende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 7 Rb 24 Ss 986/20; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 352, Rn. 4) ergibt, dass das Amtsgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs nach § 67 Abs. 2 OWiG ausgegangen ist, sodass die tatsächlichen Feststellungen des Bußgeldbescheides zum Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen sind.

Gemäß § 67 Abs. 2 OWiG kann der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Damit ist auch eine Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch möglich, da der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht. Die Feststellungen im Bußgeldbescheid zur Tat sind hinreichend konkretisiert und stellen eine ausreichende Grundlage für die Rechtsfolgenbemessung dar. Die wirksame Erklärung der Einspruchsbeschränkung des Betroffenen erfolgte durch seinen dazu gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG, § 302 Abs. 2 StPO ermächtigten Verteidiger mit Schriftsatz vom 7. Mai 2024.

Der Wirksamkeit der Beschränkung steht nicht entgegen, dass der Bußgeldbescheid – wie hier – lediglich keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform enthält, sofern – wie hier – die Verfolgungsbehörde ihrer Tatahndung – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der für eine tateinheitliche oder tatmehrheitliche Verwirklichung nach §§ 19, 20 OWiG zu beachtenden Zumessungskriterien – offensichtlich die Regelsätze der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) zu Grunde gelegt hat. Die Beträge des Bußgeldkatalogs in Abschnitt I gehen von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen aus (vgl. § 1 Abs. 2 BKatV). Setzt die Verwaltungsbehörde für einen dem Bußgeldkatalog (§ 1 BKatV) entsprechenden Tatbestand ohne weiteres die dort vorgesehene Regelgeldbuße fest oder legt sie diese bei der Verwirklichung mehrerer Tatbestände ihrer Entscheidung zu Grunde, gibt sie damit zu erkennen, dass sie dem Betroffenen lediglich fahrlässiges Handeln zur Last legt (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 19. Oktober 2007 – 3 Ss OWi 1344/07; OLG Köln, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 1 RBs 197/18; OLG Hamm, Beschluss vom 16. Januar 2021 – 2 RBs 141/11, jeweils m.w.N.).

2. Der aufgrund der wirksamen Beschränkung allein zu überprüfende Rechtsfolgenausspruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Urteil leidet hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen, insbesondere mit Blick auf seine wirtschaftlichen Einkommensverhältnissen, an einem Darstellungsmangel.

Auch in Bußgeldverfahren müssen die schriftlichen Urteilsgründe in aller Regel nicht nur die erwiesenen Tatsachen angeben, sondern neben anderem auch erkennen lassen, ob und gegebenenfalls wie sich der Betroffene zur Sache eingelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2019 – KRB 10/18; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. Januar 2023 – 4 Orbs 31 SsBs 17/23; KG, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 3 Ws (B) 8/22; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2020 – 4 RBs 42/20; OLG Hamm, Beschluss vom 9. Mai 2007 – 3 Ss OWi 263/07). Ohne diese Angaben kann das Rechtsbeschwerdegericht regelmäßig nicht überprüfen, ob das Tatgericht die Bedeutung der Angaben des Betroffenen zutreffend erkannt und bewertet hat und damit den Feststellungen eine erschöpfende Würdigung des Sachverhalts zugrundeliegt (vgl. BGH, a.a.O.). Hat sich der Betroffene zur Sache eingelassen, so bedarf es in aller Regel einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge seiner Einlassung, damit das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfen kann, ob sich das Tatgericht unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewandt hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Februar 2017 – 2 (10) SsBs 740/16-AK 265/16; OLG Koblenz, a.a.O.). Nur in sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen von geringer Bedeutung kann unter Umständen ohne Verstoß gegen die sachlichrechtliche Begründungspflicht auf die Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen verzichtet werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Januar 1985 – 5 Ss (Owi) 6/85-8/85; OLG Koblenz, Beschluss vom 22. November 2021 – 2 OWi 32 SsBs 240/21). Dies ist indes dann nicht der Fall, wenn – wie hier – ein Fahrverbot verhängt worden ist (OLG Koblenz, a.a.O.).

Den schriftlichen Gründen des angefochtenen Urteils ist unter Ziffer IV. im Rahmen der Prüfung der Verhängung eines Fahrverbots zu entnehmen, dass der Betroffene vorgetragen habe, er sei schwerbehindert und müsse verschiedene Ärzte aufsuchen. Darüber hinaus lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, ob der Betroffene weitere Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen gemacht oder dazu geschwiegen hat. Mangels hinreichender Angaben in den Urteilsgründen ist weder die Möglichkeit auszuschließen, dass der Betroffene in der Hauptverhandlung weitere Erklärungen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen abgegeben hat, die für den Rechtsfolgenausspruch relevant sind, noch vermag der Senat zu überprüfen, ob sich das Tatgericht unter vollständiger Berücksichtigung einer solchen (etwaigen) Einlassung des Betroffenen eine tragfähige Grundlage für seine Rechtsfolgenentscheidung verschafft hat. Insbesondere vermag der Senat nicht festzustellen, ob das Tatgericht eine etwaige weitergehende Einlassung des Betroffenen in ihrer Bedeutung richtig eingeschätzt und rechtsfehlerfrei gewürdigt hat.

Zu einer entsprechenden Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse hätte hier auch mit Blick auf § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG Anlass bestanden. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeiten und der Vorwurf, der den Täter trifft; dabei sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG). Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten bleiben sie jedoch in der Regel unberücksichtigt. Bei Geldbußen von jedenfalls mehr als 250 Euro sind jedoch wegen Überschreitens dieser Geringfügigkeitsgrenze in der Regel nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen erforderlich (vgl. Göhler, OWiG, 19. Auflage, § 17 Rn 24). Wenn auch die Anforderungen an die Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht überspannt werden dürfen, so müssen durch das Tatgericht doch zumindest derart hinreichende Angaben zum Einkommen gemacht werden, dass dem Rechtsmittelgericht die Überprüfung möglich ist, ob die Vorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG beachtet worden ist (vgl.OLG Hamm, Beschluss vom 7. Mai 2018 – 2 RBs 61/18). Unabhängig davon, ob Einschränkung dieses Grundsatzes bei Geldbußen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten anzuerkennen sind, die den Regelsätzen der Bußgeldkatalogverordnung entsprechen (vgl. dazu (vgl. Göhler, OWiG, 19. Auflage, § 17, Rn 24; KK-OWiG/Mitsch, 5. Auflage 2018, OWiG § 17 Rn 92), sind Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen jedenfalls dann zu treffen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Verhältnisse außerordentlich gut oder schlecht sind (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 29. Oktober 2014 – 2 Ss (Owi) 278/14; OLG Hamm, Beschluss vom Beschluss vom 20. März 2012 – 3 RBs 441/11; KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 17 Rn 92 m. w. N.). Vor dem Hintergrund des Vortrags des Betroffenen, er sei schwerbehindert, bestehen Anhaltspunkte für das Vorliegen von schlechten Einommensverhältnissen. Auch hätte die Möglichkeit der Prüfung von Zahlungserleichterungen gemäß § 18 OWiG berücksichtigt werden müssen.

III.

Das angefochtene Urteil, welches infolge der wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch nur diesen betrifft, ist mithin schon auf die Sachrüge gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 OWiG in Verbindung mit den §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht zurückzuverweisen, sodass die vom Betroffene erhobene Verfahrensrüge keiner Erörterung mehr bedarf.

Wegen der Lückenhaftigkeit der Feststellungen kam eine eigene abschließende Prüfung und Entscheidung des Senats nicht in Betracht, da nicht auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, die für die Bemessung der Höhe der Geldbuße von Bedeutung sind. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot betrifft die Aufhebung das gesamte Urteil.

Es besteht keine Veranlassung, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverweisen, § 79 Abs. 6 OWiG.

IV.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

1. Bei einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid hat der Tatrichter auch dann, wenn jener auf bestimmte Punkte beschränkt ist, über den angegriffenen Teil neu und selbstständig zu entscheiden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 22. Februar 2023 – 201 ObOWi 66/23). Der Tatrichter hat daher – zweckmäßigerweise – unter Bezugnahme auf den nicht angegriffenen Teil des Bußgeldbescheids – die Urteilsformel insoweit in gleicher Weise zu fassen wie dann, wenn er auch im Übrigen selbst entschieden hätte (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Februar 1999 – 1 ObOWi 3/99). Davon umfasst ist – neben der Angabe der Schuldform, wenn die Tat – wie hier – sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann (BayObLG, Beschluss vom 24. Februar 2000 – 1 ObOWi 45/00), auch die Aufnahme sämtlicher in Tateinheit (§ 19 OWiG) stehender Verstöße.

2. Aufgrund der wirksamen Beschränkung des Einspruch auf die Rechtsfolgen sind eigenständige Feststellungen zur Schuldform (vgl. unter III. des Urteils) sowie zur Frage der tateinheitlichen bzw. tatmehrheitlichen Begehungsweise (vgl. unter IV. des Urteils) nicht zulässig. Der Bußgeldbescheid geht von fahrlässiger Begehungsweise sowie von drei tateinheitlich begangenen Verstößen aus.