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OLG Dresden – Beschluss vom 10.05.05

Amtliche Leitsätze: 1. Die Übersendung eines Anhörungsbogens zur Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) hat nur dann verjährungsunterbrechende Wirkung, wenn entweder aktenkundig gemacht ist, wer die Anordnung vorgenommen hat und der zuständige Sachbearbeiter durch Unterschrift oder Handzeichen die Verantwortung für die Richtigkeit der Beurkundung des Datums übernommen hat, oder der Anhörungsbogen mittels einer EDV-Anlage gefertigt worden ist, ohne dass der Sachbearbeiter zuvor in den vorprogrammierten Arbeitsanlauf des Computer eingegriffen hat.

2. Führte die Bußgeldbehörde das Ermittlungsverfahren zunächst gegen Unbekannt, stellt die Entscheidung, nunmehr gegen einen bekannten Betroffenen zu ermitteln, eine Individualentscheidung des Sachbearbeiters dar, über die die Bußgeldbehörde in der Akte Zeugnis ablegen muss.

3. Die Verjährung kann gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG dadurch unterbrochen werden, dass ein Polizeibeamter dem Betroffenen fernmündlich die Einleitung des Ermittlungsverfahrens mitteilt und sich die Tatsache und das Datum der Unterbrechungshandlung unmittelbar aus der Akte ergibt.

4. Eine grob pflichtwidrige Missachtung der gebotenen Aufmerksamkeit liegt auch dann vor, wenn der Verkehrsteilnehmer nicht nur die durch Zeichen 274 beschränkte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, sondern auch die an sich innerörtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in erheblicher Weise (hier: um 16 km/h) überschreitet. In diesem Fall kann er sich hinsichtlich der Überschreitung der durch das Zeichen angeordneten Geschwindigkeitsüberschreitung nicht auf ein sogenanntes „Augenblicksversagen“ berufen.

Oberlandesgericht Dresden

Beschluss vom 10. Mai 2005

Ss (OWi) 886/04

 

Aus den Gründen:

I.

Das Amtsgericht Pirna hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der durch Streckenverbot beschränkten Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100,00 EUR verurteilt. Von der Verhängung eines im Bußgeldbescheid noch vorgesehenen Fahrverbots für die Dauer von einem Monat hat es abgesehen. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene mit einem Pkw die B 172 in Bad Schandau/Postelwitz mit einer toleranzbereinigten Geschwindigkeit von 66 km/h, obwohl durch Zeichen 274 eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h angeordnet war.

Gegen das Urteil richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der nach Vorlage des schriftlichen Urteils begründet werden sollte. Das Urteil wurde dem Verteidiger am 22. September 2004 zugestellt.

Die Staatsanwaltschaft Dresden wendet sich gegen das Urteil mit der Rechtsbeschwerde und rügt ausschließlich, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat.

Die Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft wurde dem Verteidiger zugestellt, der sodann am 19. November 2004 zur Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Dresden sowie zum Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde Stellung nahm.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt,

1. auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Dresden das Urteil des Amtsgerichts Pirna vom 07. September 2004 aufzuheben;

2. das Verfahren einzustellen;

3. den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Pirna vom 07. September 2004 als unbegründet zu verwerfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft meint, es sei Verfolgungsverjährung eingetreten.

II.

1. Das Rechtsmittel des Betroffenen hat keinen Erfolg.

a) Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde erweist sich entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft bereits als unzulässig.

Der Zulassungsantrag wurde fristgemäß am 13. September 2004 gestellt. Er sollte jedoch erst nach Vorlage des schriftlichen Urteils begründet werden. Eine solche Begründung ist nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO, § 80 Abs. 3 Satz 2 StPO eingegangen. Die im Zusammenhang mit der Stellungnahme zur Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Dresden abgegebene Begründung vom 19. November 2004 war verspätet, nachdem das Urteil dem Verteidiger am 22. September 2004 zugestellt worden war.

b) Auf die Frage der Verjährung kommt es in dem hier vorliegenden Zulassungsverfahren nicht an, weil ein Verfahrenshindernis nur zur Einstellung des Verfahrens durch das Beschwerdegericht führt, wenn das Verfahrenshindernis nach Erlass des Urteils eingetreten ist (§ 80 Abs. 5 OWiG). Der Eintritt eines Verfahrenshindernisses nach Erlass des angefochtenen Urteils ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

2. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich hingegen als zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch und Zurückverweisung an das Amtsgericht.

a) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hat das Amtsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass bei Erlass des Bußgeldbescheides am 23. März 2004 noch nicht gemäß §§ 26 Abs. 3, 24 StVG Verfolgungsverjährung eingetreten war. Dem ging folgender – für etwaige Verjährungsunterbrechungen relevanter – Verfahrensablauf voraus:

Die Tat wurde am 15. Dezember 2003 begangen. Die Bußgeldbehörde übersandte zunächst dem Halter des Fahrzeugs, der (…) GmbH einen Zeugenanhörungsbogen. Am 04. Februar 2004 teilte die (…) GmbH Namen und Anschrift des Betroffenen als verantwortlichen Fahrzeugführer mit. Am 09. Februar 2004 veranlasste die Bußgeldbehörde die Versendung eines Anhörungsbogens an den Betroffenen. Die Anordnung dieser Anhörung wurde in der Akte jedoch weder handschriftlich dokumentiert, noch unterschrieben oder mit einem Handzeichen versehen. Am 18. Februar 2004 meldete sich der Verteidiger des Betroffenen und bat um Akteneinsicht, die ihm am 19. Februar 2004 durch die Bußgeldbehörde gewährt wurde. Auch die Anordnung der Versendung der Akten an den Verteidiger wurde weder handschriftlich dokumentiert noch unterschrieben. Am 04. März 2004 richtete die Bußgeldbehörde ein Fahrer-Ermittlungsersuchen an das 3. Polizeirevier in Kassel, das dort am 10. März 2004 einging. Aus dem Vermerk eines dort tätigen Polizeibeamten vom selben Tag ergibt sich, dass der Beamte mit dem Betroffenen telefonisch Rücksprache genommen hat und der Betroffene nach erfolgter Belehrung mitgeteilt hat, dass er die Fahrereigenschaft nicht bestreitet.

aa) Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts hat die Anordnung der Anhörung am 09. Februar 2004 die Verjährung nicht unterbrochen. Die Übersendung eines Anhörungsbogens zur Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) hat nur dann verjährungsunterbrechende Wirkung, wenn entweder aktenkundig gemacht ist, wer die Anordnung vorgenommen hat, und der zuständige Sachbearbeiter durch Unterschrift oder Handzeichen die Verantwortung für die Richtigkeit der Beurkundung des Datums übernommen hat oder der Anhörungsbogen mittels einer EDV-Anlage gefertigt worden ist, ohne dass der Sachbearbeiter zuvor in den vorprogrammierten Arbeitsablauf des Computers eingegriffen hat. Da die Bußgeldbehörde das Ermittlungsverfahren zunächst gegen Unbekannt geführt und der Halterin des Fahrzeugs einen Zeugenfragebogen übersandt hatte, beinhaltet die Entscheidung, nunmehr gegen den Betroffenen als Fahrer zu ermitteln, einen Eingriff in den schematisierten EDV-Arbeitsablauf, der von dem darin manifestierten, ursprünglichen Willen der Behörde abwich. Der Eingabe der von der Halterin mitgeteilten Personalien des mutmaßlichen Fahrzeugführers durch den Sachbearbeiter der Bußgeldbehörde musste eine – wenn auch unter Umständen nur oberflächliche – Prüfung vorausgehen, inwieweit die den Verfahrensgegenstand bildende Tat bezüglich des Betroffenen überhaupt noch verfolgbar war, insbesondere dass die Tat nicht bereits verjährt war. Von einer solchen Individualentscheidung ihres Sachbearbeiters muss die Bußgeldbehörde in den Akten Zeugnis ablegen (OLG Dresden DAR 2004, 534). Dies ist hier nicht geschehen.

bb) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG durch die (nicht handschriftlich dokumentierte oder unterschriebene) Übersendung der Akten an den bevollmächtigten Verteidiger zur Einsichtnahme unterbrochen worden ist (vgl. OLG Hamm DAR 2001, 375).

Denn verjährungsunterbrechende Wirkung kommt der telefonischen Rücksprache des Polizeibeamten mit dem Betroffenen am 10. März 2004 zu, in der der Betroffene nach Belehrung mitteilte, dass er die Fahrereigenschaft nicht bestreite. Damit ist dem Betroffenen im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. OWiG wirksam bekanntgegeben worden, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Diese Unterbrechungshandlung konnte mündlich erfolgen (BGHSt 28, 381; Göhler, OWiG, 13. Aufl. § 33 Rdnr. 5 a m.w.N.). Sie musste auch, wie der Umkehrschluss aus den übrigen Unterbrechungsarten des § 33 OWiG ergibt, nicht durch die Verwaltungsbehörde unmittelbar erfolgen. Vielmehr genügen auch Ermittlungen durch Polizeibeamte (OLG Zweibrücken DAR 2004, 603; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 33 Rdnr. 6). Der Tag des Eingangs der Akte bei dem Polizeirevier ist aus der Akte ersichtlich, und der Polizeibeamte hat die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch seinen Aktenvermerk vom selben Tag aktenkundig gemacht, so dass sich die Tatsache und das Datum der Unterbrechungshandlung (10. März 2004) unmittelbar aus der Akte ergeben (vgl. BGHSt 30, 215 [219 f.]; BayObLG VRS 78, 463; OLG Zweibrücken DAR 2004, 603).

Der Bußgeldbescheid vom 23. März 2004 wurde damit innerhalb der Verjährungsfrist erlassen.

3. Der Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand. Die Feststellung des Amtsgerichts tragen ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes nicht.

Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV, Nr. 11.3 BKat i.V.m. Nr. 11.3.6 Tab. 1 Buchst. c ist als Regelfolge für das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 36 km/h ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat anzuordnen. Die Verwirklichung des Regelbeispiels indiziert eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht. Anhaltspunkte dafür, dass diese Indizwirkung im vorliegenden Fall aufgehoben sein könnte, liegen nicht vor. Der Betroffene kann sich insbesondere nicht auf ein so genanntes „Augenblicksversagen“ berufen. Der Betroffene hat die gebotene Aufmerksamkeit trotz der vom Amtsgericht zur Erkennbarkeit der Geschwindigkeitsbeschränkungen und zum Erscheinungsbild der Baustelle getroffenen Feststellungen in grob pflichtwidriger Weise (vgl. BGHSt 43, 241) unterlassen. Denn eine grob pflichtwidrige Missachtung der gebotenen Aufmerksamkeit liegt auch dann vor, wenn der Verkehrsteilnehmer nicht nur die durch Zeichen 274 angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, sondern auch die innerörtlich zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h in erheblicher Weise überschreitet. In einem solchen Fall beruht der Verkehrsverstoß nicht auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit, sondern auf der Nichtbeachtung weiterer Sorgfaltspflichten (OLG Köln DAR 2001, 469 [470]; OLG Karlsruhe NZV 2004, 211 [212]). So liegt der Fall hier, weil der Betroffene die an sich innerörtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit bereits um 16 km/h überschritten hat.

Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat gleichwohl verwehrt, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anordnung eines Fahrverbots aus vom Amtsgericht noch nicht festgestellten Gründen unangemessen sein oder eine außergewöhnliche Härte für den Betroffenen bedeuten könnte (§ 4 Abs. 4 BKatV).

4. Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße war der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben.

5. Die Sache war an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen, weil kein triftiger Grund dafür vorliegt, die Sache einer anderen Abteilung oder einem anderen Amtsgericht zuzuweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

(…)

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