Zum Inhalt der Entscheidung: Wird im Bußgeldverfahren durch das Amtsgericht eine Beweiserhebung zur Überprüfung der Richtigkeit einer Geschwindigkeitsmessung angeordnet, ohne später im Urteil auf das eingeholte Sachverständigengutachten einzugehen, und gleichzeitig von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen, verletzt dies den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör und macht das Urteil widersprüchlich und rechtsfehlerhaft. Ein solcher Verstoß kann die Zulassung und den Erfolg der Rechtsbeschwerde rechtfertigen.
Oberlandesgericht Brandenburg
Beschluss vom 24.05.2025
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 28. Oktober 2024 wird zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 28. Oktober 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Amtsgericht Oranienburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Oranienburg erkannte mit Urteil vom 28. Oktober 2024 gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf eine Geldbuße in Höhe von 150,00 €.
Den Feststellungen des Bußgeldgerichts zufolge hatte der Betroffene am 28. Dezember 2022 um 15:46 Uhr mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen: …, die Bundesautobahn A 10 auf Höhe des Kilometers 153,83 in Fahrtrichtung Potsdam mit einer Geschwindigkeit von – nach Toleranzabzug – 107 km/h befahren, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt gewesen war.
In den Urteilsgründen führt die Bußgeldrichterin aus, Zweifel an der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung bestünden nicht. Das eingesetzte Messgerät Poliscan FM 1 sei als standardisiertes Messverfahren anerkannt, gültig geeicht gewesen und von einem entsprechend geschulten Messbeamten entsprechend der Bedienungsanleitung eingesetzt worden. Die Einwände des Betroffenen gegen das Messergebnis verfängen nicht, denn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler seien nicht vorgetragen worden. Der Antrag des Betroffenen auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung habe deshalb gemäß § 77 Abs. 2 Ziff. 1 OWiG abgelehnt werden können.
Darauf, dass es unter dem 15. April 2024 eine Beweiserhebung zur Korrektheit der Messung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet hatte, geht das Bußgeldgericht in seinen Urteilsgründen ebenso wenig ein wie auf das Ergebnis dieser Beweisaufnahme, namentlich das Gutachten des Dipl.-Ing. … (Name01) vom 30. Mai 2024 (Bl. 52 ff. GA).
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem am 04. November 2024 bei dem Amtsgericht angebrachten und nach am 02. Dezember 2024 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe an seinen Verteidiger unter dem 02. Januar 2025 begründeten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG) und meint, es sei geboten, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Wegen der Einzelheiten der Rechtsmittelbegründung wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 02. Januar 2025 (Bl. 138 ff. GA) Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Zuschrift vom 13. März 2025, die am 20. März 2025 bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen ist, den Antrag als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hat hierzu mit Anwaltsschriftsatz vom 31. März 2025 Stellung genommen.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts sowie gemäß § 80 Abs.1 Ziff. 2 OWiG wegen einer Verletzung des Rechts des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs zuzulassen. Ohne eine Entscheidung des Senats im vorliegenden Fall ist mit weiteren Fehlentscheidungen in gleich gelagerten Fällen zu rechnen (vgl. hierzu Göhler, OWiG, 19. Auflage, zu § 80, Rz. 5, und zu § 80, Rz. 12) mit der Folge, dass zu den Anforderungen an die Urteilsgründe richtungsweisend Stellung zu nehmen ist. Die Verfahrensrüge einer Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs hat der Betroffene in einer den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S.1 OWiG, 344 Abs. 2 S.2 StPO genügenden Weise ausgeführt – eine Gehörsverletzung liegt vor.
2. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG statthaft und entsprechend §§ 79 Abs. 3 S. 1, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht und begründet worden, sonach zulässig.
3. Sie hat auch in der Sache – vorläufig – Erfolg.
Indem das Amtsgericht am 15. April 2024 eine Beweiserhebung zur Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung anordnete, ließ es erkennen, dass es in Bezug auf die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsmessung nicht von einem standardisierten Messverfahren ausging, anderenfalls die Beweiserhebung auf der Grundlage ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung nicht geboten gewesen wäre (vgl. hierzu BGHSt 39, 291, 301 = NJW 1993, 3081; BGHSt 43, 277, 283 f.; OLG Frankfurt DAR 2015, 149; OLG Bamberg DAR 2016, 146; OLG Oldenburg DAR 2016, 404; vgl. auch BVerfG NJW 2021, 455).
In seinen Urteilsgründen stellt die Bußgeldrichterin demgegenüber auf ein standardisiertes Messverfahren ab, gegen dessen zuverlässiges Messergebnis der Betroffene keine konkreten Anhaltspunkte vorgebracht habe. Auf den erhobenen Beweis gehen die Urteilsgründe mit keinem Wort ein. Damit verhalten sie sich widersprüchlich zu der dem Beweisbeschluss zugrunde liegenden Rechtsauffassung, ohne dass die Bußgeldrichterin diesen Widerspruch – etwa durch eine ausdrückliche Aufgabe der zuvor vertretenen Sichtweise – aufgelöst hätte.
Aufgrund dieses Widerspruchs genügen die Urteilsgründe nicht den – wenn auch nicht hoch anzusetzenden – Anforderungen, die an ein Urteil in Bußgeldverfahren zu stellen sind (vgl. hierzu BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081; BayObLG NZV 2003, 247; OLG Hamm NZV 2003, 295; OLG Rostock DAR 2001, 421; KG, BeckRS 2020, 31907). Zugleich liegt eine Verletzung des Gehörsanspruchs des Betroffenen vor.