Eigener Leitsatz: 1. Ein Bußgeldbescheid wegen Fahrens unter Drogeneinfluss genügt seiner Umgrenzungsfunktion auch dann, wenn der Tatort lediglich mit Postleitzahl, Orts- und Straßennamen ohne Hausnummer angegeben ist, sofern aus den Umständen – etwa der kurzen Straßenausdehnung – keine Zweifel an der Tatidentität bestehen.
2. Ein unterbliebener Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation bei der Beschuldigtenbelehrung führt nur dann zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Blutprobe, wenn der Betroffene der Verwertung in der Hauptverhandlung rechtzeitig und eindeutig widerspricht.
Oberlandesgericht Brandenburg
Beschluss vom 10.02.2025
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 29. Juli 2024 wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Zentraldienst der Polizei des Landes Brandenburg – Zentrale Bußgeldstelle – verhängte mit Bescheid vom 24. November 2023 gegen den Betroffenen wegen Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter Einfluss von Cannabis ein Bußgeld in Höhe von 600,00 € und ordnete – unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2 a StVG – für die Dauer von einem Monat ein Fahrverbot an. In dem Bußgeldbescheid wird zum Tatort angegeben: „… (PLZ, Ort), … (Straße)“.
Über den gegen diesen Bußgeldbescheid erhobenen Einspruch des Betroffenen verhandelte das Amtsgericht Oranienburg am 29. Juli 2024. Im Hauptverhandlungsprotokoll ist niedergelegt: „Nach Widerspruch zum Selbstleseverfahren wird angeordnet: Das Selbstleseverfahren wird hinsichtlich folgender Urkunden gem. § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 249 Abs. 2 StPO angeordnet, … Sodann werden folgende Schriftstücke ihrem wesentlichen Inhalt nach bekannt gegeben: Schreiben Bl. 10, 11-13, 14-16, 17-18, 20, Ergebnisbericht Bl. 22, 23, 27-28 BA und 31 BA, Auszug aus dem Fahreignungsregister vom 8.4.24“.
Mit Urteil vom 29. Juli 2024 erkannte das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung eines berauschenden Mittels (§§ 24 a Abs. 2 und 3, 25 StVG, 242 BKat, 4 Abs. 3 BKatV) auf eine Geldbuße in Höhe von 600,00 € und untersagte dem Betroffenen unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2 a StVG für die Dauer von einem Monat, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die er mit Verteidigerschriftsatz vom 30. Juli 2024 bei Gericht angebracht und nach am 14. August 2024 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe unter dem 09. September 2024 begründet hat. Er rügt die Verletzung formellen und – in allgemeiner Form – materiellen Rechts. Das Verfahren sei wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen, weil der Bußgeldbescheid mangels hinreichend konkreter Tatortangabe (Fehlen einer Hausnummer) seine Umgrenzungsfunktion nicht erfülle. Das Ergebnis der Blutprobenanalyse unterliege einem Beweisverwertungsverbot, weil er vor dem Dogenschnelltest überhaupt nicht und vor der Blutprobenentnahme nicht vollständig über seine Rechte als Beschuldigter belehrt worden sei. Sein Verteidiger habe in der Hauptverhandlung der Verwertung der im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden insbesondere zur Entnahme der Blutprobe und den Ergebnissen deren Analyse widersprochen. Wegen der Einzelheiten der Rechtsbeschwerdebegründung wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 09. September 2024 (Bl. 44 ff. d. A.) verwiesen.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Stellungnahme vom 25. Oktober 2024, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hat hierzu mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18. November 2024 Stellung genommen.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 und 2 OWiG statthaft und entsprechend §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sonach zulässig.
2. In der Sache hat sie keinen Erfolg.
a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers erfüllt der Bußgeldbescheid vom 24. November 2023 seine Umgrenzungsfunktion und bildet damit eine tragfähige Grundlage für das gerichtliche Verfahren.
Der Bußgeldbescheid hat im – hier vorliegenden – Fall des zulässigen Einspruchs für das weitere Verfahren nur die Bedeutung einer Beschuldigung, die den Gegenstand des Verfahrens in sachlicher und persönlicher Hinsicht begrenzt (BGHSt 23, 280, 336; OLG Hamm NStZ 1987, 515; Bauer in: Göhler, OWiG, 19. Auflage, vor § 65, Rz. 8). Mängel des Bußgeldbescheides sind deshalb im gerichtlichen Verfahren unbeachtlich, wenn der Bescheid nicht unwirksam ist (OLG Düsseldorf VRS 78, 440).
Der Bußgeldbescheid ist unwirksam, wenn im Fall des Einspruchs eine tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung fehlt. Das ist nur bei schwerwiegenden Mängeln der Fall (Bauer a. a. O., zu § 66, Rz. 38). Demgegenüber ist ein Bußgeldbescheid als Verfahrensgrundlage ausreichend, wenn er die dem Betroffenen vorgeworfene Ordnungswidrigkeit zeitlich, örtlich und ihrem wesentlichen Inhalt nach hinreichend festlegt und begrenzt (OLG Hamm VRS 50, 58; 60, 50; OLG Frankfurt wistra 1985, 38 m. Anm. Göhler NStZ 1985, 65; OLG Karlsruhe VRS 78, 296; Bauer in: Göhler, a. a. O., zu § 66, Rz. 39). Entscheidend ist, dass nach dem Inhalt des Bußgeldbescheides kein Zweifel über die Tatidentität bestehen kann, wenn also feststeht, welcher Sachverhalt erfasst wird und geahndet werden soll (BayObLG VRS 78, 36 m. w. N.; NZV 1998, 515; OLG Köln DAR 2018, 338; Bauer a. a. O.).
Gemessen hieran, erweist sich der Bußgeldbescheid vom 24. November 2023 als wirksam, denn schwerwiegende Mängel enthält er nicht. Insbesondere beschreibt er den Tatort allein mit der Angabe „… (PLZ, Ort), … (Straße)“ hinreichend. Auch ohne Angabe einer Hausnummer, welche näher beschreiben würde, auf welcher Höhe der Straße sich der Betroffene zur Tatzeit befand, ist der Tatort angesichts der – vom Betroffenen selbst angegebenen – Gesamtlänge der Straße von nur 700 Metern hinreichend konkretisiert. Zweifel daran, welche genaue Tat dem Betroffenen mit dem Bußgeldbescheid vorgeworfen wird, bestehen nicht, auch keine Verwechselungsgefahr.
b) Die Rüge eines bestehenden Beweisverwertungsverbots aufgrund unterbliebener bzw. unvollständiger Beschuldigtenbelehrung gemäß § 46 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 136, 163a StPO verhilft der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.
aa) Vor Durchführung des Drogenschnelltests (sog. Drug Wipe Test) bedurfte es keiner Belehrung des Betroffenen. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht Beschuldigter im Sinne der genannten Vorschriften.
Gemäß §§ 136, 163a StPO ist der Beschuldigte zu belehren; die Vorschrift findet über § 46 Abs. 1 OWiG auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung. Ob die zu vernehmende Person Beschuldigter ist, unterliegt der pflichtgemäßen Beurteilung des Vernehmungsbeamten (BGHSt 51, 367, 371; BGH NJW 2019, 2627, 2630; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, zu § 163a, Rz. 4a). Hierfür sind hinreichend gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der Tat und des Täters erforderlich (BGH NJW 2019.2627, 2630; BGH NStZ 2008, 48; BGH NStZ-RR 2012, 49; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Eine Pflicht zur Belehrung besteht, sobald die Ermittlungsbehörde eine Maßnahme trifft, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild darauf abzielt, den Vernommenen als Täter einer Straftat zu überführen (BGH NStZ 2015, 291). Dabei beurteilt sich die Manifestation des Verfolgungswillens danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des Betroffenen darstellt (BGH NStZ 2023, 686; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sind überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts willkürlich die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGH NJW 2019, 26327, 2630). Der anzulegende Willkürmaßstab ist objektiv zu bestimmen, ein bewusst auf Umgehung der Beschuldigtenrechte gerichtetes Verhalten des Vernehmungsbeamten ist nicht erforderlich (BGH NJW 2019, 2627, 2630).
Ein in diesem Sinne zur Belehrung des Betroffenen verpflichtender starker Tatverdacht bestand zum Zeitpunkt der Durchführung des Drogenschnelltests nicht. Ausweislich der im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Aussage des Vernehmungsbeamten Polizeikommissar … (Name) war der Betroffene stark nervös und wies starkes Lidflattern auf. Das konnte aus Sicht des Beamten auch andere Gründe haben als den Konsum von Drogen. Um dies zu klären, wurde der Schnelltest durchgeführt. Damit wurde eine Vorermittlung durchgeführt zur Klärung der Frage, ob der Betroffene zu beschuldigten war oder nicht. Dass dieser zuvor nicht über seine Rechte als Beschuldigter belehrt wurde, erweist sich sonach nicht als rechtswidrig.
bb) Die Situation änderte sich mit dem positiven Schnelltest. Angesichts dieses Ergebnisses musste der Zeuge … (Name) den Betroffenen nunmehr als Beschuldigten belehren, und zwar gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 136 Abs. 1 S. 2 StPO auch über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren. Letzteres hat der Zeuge nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerdebegründung, der durch das Hauptverhandlungsprotokoll gestützt wird, unterlassen. Daraus folgt grundsätzlich ein Verwertungsverbot (BGHSt 47, 172; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 47) mit der Folge, dass das Ergebnis der Blutprobenanalyse vorliegend wohl nicht zum Nachteil des Betroffenen zu Beweiszwecken herangezogen werden konnte.
Zwar zieht nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer Abwägung der namentlich im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen verfassungsrechtlichen Gebote und Ziele zu treffen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94, Rz. 17, Juris). Ein Verwertungsverbot liegt nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern. Die Möglichkeit, sich eines Verteidigers oder Beistands zu bedienen, gehört zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten (BGH a. a. O.; BGHSt 38, 372, 374).
cc) Gleichwohl bleibt der Verfahrensrüge der Erfolg versagt, weil der Betroffene der Verwertung der Blutprobe in der Hauptverhandlung vom 29. Juli 2024 nicht widersprochen hat. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (hier in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) löst kein Verwertungsverbot aus, wenn der verteidigte Angeklagte einer Verwertung des unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewonnenen Beweismittels bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt nicht widersprochen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94, Rz. 19 f., Juris; BGHSt 38, 214, 225 f.; BGHSt 39, 349, 352).
So liegt der Fall hier. Durch das Hauptverhandlungsprotokoll ist aufgrund dessen aus § 274 StPO folgender Beweiskraft bewiesen, dass der Betroffene der Verwertung der Blutprobe nicht widersprochen hat. Aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut ergibt sich, dass der Betroffene allein der Einführung des Beweismittels im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO widersprochen hat, nicht aber der Beweisverwertung an sich. Hierfür liefert das Hauptverhandlungsprotokoll vollen Beweis.
Gemäß § 274 Abs. 1 S. 1 StPO ist die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen der Widerspruch zählt, nur durch das Protokoll beweisbar. Die Vorschrift normiert eine gesetzliche Beweisregel, nach der dem Protokoll eine ausschließliche Beweiskraft zukommt (Meyer-Goßner a. a. O., zu § 274, Rz. 3). Durch andere Beweismittel kann das Protokoll grundsätzlich nicht ergänzt, ersetzt oder widerlegt werden (BGHSt 2, 125, 126; BGH NStZ 1993, 51). Mängel im Protokoll führen nur dann zum Verlust seiner absoluten Beweiskraft, wenn es lückenhaft, unklar, widersprüchlich oder sonst auslegungsbedürftig ist (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Rz. 5 und 17). In Fällen der Auslegungsbedürftigkeit erfolgt die Klarstellung im Wege der Auslegung des gesamten, als Einheit zu betrachtenden Protokolls, gegebenenfalls in Verbindung mit der freien Beweiswürdigung und den Mitteln des Freibeweises, zu denen der gesamte Akteninhalt zählt (BGH NStZ-RR 2003, 5).
Vorliegend ist das Protokoll indessen nicht auslegungsbedürftig, sondern eindeutig. Es legt nach seinem klaren Wortlaut „Nach Widerspruch zum Selbstleseverfahren …“ einen Widerspruch des Betroffenen hinsichtlich des Weges dar, vermittels dessen die Blutprobe in die Beweisaufnahme eingeführt werden sollte, namentlich gegen das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO, nicht aber einen Widerspruch gegen die Beweiserhebung und -verwertung an sich. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 25. Juni 2024, in dem zu einem Beweisverwertungsverbot mangels zureichender Beschuldigtenbelehrung ausgeführt wurde, ist ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung nicht in Bezug genommen worden. Auch dafür bietet das Protokoll vollen (negativen) Beweis.
Eine Protokollberichtigung hat der Betroffene nicht beantragt.
c) Die auf die Sachrüge durchgeführte Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.