Zum Inhalt der Entscheidung: Eine ES 3.0-Messung ist nicht mehr standardisiert, wenn lediglich ein Foto einer ungeeichten WLAN-Kamera vorliegt und auf dem Meßbild der geeichten Kamera nur die Dateneinblendungen, aber keine Abbildung zu erkennen ist.
Oberlandesgericht Bamberg
Beschluss vom 15.12.2017
Tenor:
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 22.06.2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 22.06.2017 wegen einer am 27.01.2017 begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h zu einer Geldbuße von 160 € und verhängte gegen ihn ein mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich – jedenfalls vorläufig – als erfolgreich, da die Urteilsgründe lückenhaft sind (§§ 267 Abs. 1, 337 StPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Sie genügen nicht den Anforderungen, die im Falle einer bestreitenden Einlassung des Betroffenen an die Darlegung eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Messergebnisses zu stellen sind (vgl. BGHSt 39, 291). Auf Grund seiner Feststellungen zur Fotodokumentation der verfahrensgegenständlichen Messung durfte das Amtsgericht nicht mehr vom Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens ausgehen.
1. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts enthält zur Durchführung der verfahrensgegenständlichen Messung mit dem Einseitensensor ES3.0 u.a. folgende Feststellungen: „Soweit der Verteidiger einwendet, dass die Messung nicht standardisiert erfolgt sei, weil der Messbeamte das Fahrzeug des Betroffenen und das Fahrerfoto allein mit der ungeeigneten WLAN-Kamera machte, ist dem entgegen zu halten, dass diese Vorgehensweise nach der Bedienungsanleitung zulässig ist. Daraus ergibt sich zum einen, dass die WLAN-Kamera nicht eichpflichtig ist (8.5.3) und zum anderen, dass deren Verwendung zur ausschließlichen Dokumentation des Fahrzeugs und Fahrers zulässig ist, soweit eine geeichte Kamera, selbst wenn diese kein Lichtbild des Fahrzeugs liefert (oder dieses unauswertbar ist, 8.5.3) mitverwendet wird. Dass dies der Fall war, bestätigte der Messbeamte in seiner Vernehmung und ergibt sich auch aus dem Lichtbild Bl. 16 Rückseite d.A., auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird (’schwarzes Bild‘ mit eingeblendeten Messwerten).“
2. Diese Darlegungen halten sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand, denn sie sind lückenhaft.
a) Wenn auch im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten, denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird (KK/Senge OWiG 4. Aufl. § 71 Rn. 106; Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 71 Rn. 42; jeweils m.w.N.). In welchem Umfang Ausführungen zur Beweiswürdigung geboten sind, bestimmt sich nach der konkreten Beweislage und der Bedeutung der Beweisfrage unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigungsvorbringens (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 12.12.2012 – 3 Ss OWi 450/12 = ZfS 2013, 290 = VM 2013, Nr. 30 = BeckRS 2013, 00407).
b) Erfüllt die Geschwindigkeitsermittlung die Voraussetzungen eines sog. standardisierten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, genügt es im Regelfall, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und die unter Abzug der Messtoleranz ermittelte Geschwindigkeit stützt. Denn mit der Mitteilung des angewandten Messverfahrens sowie des berücksichtigten Toleranzwerts wird im Rahmen eines durch Normen vereinheitlichten technischen Verfahrens eine für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in aller Regel hinreichende Entscheidungsgrundlage zur Beurteilung einer nachvollziehbaren tatrichterlichen Beweiswürdigung geschaffen (BGHSt 39, 291; 43, 277; vgl. zuletzt auch OLG Bamberg, Beschl. v. 06.10.2017 – 3 Ss OWi 1420/17 [bei juris] m.w.N.).
c) Zwar ist das Messverfahren mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES3.0 von der obergerichtlichen Rechtsprechung als standardisiertes Messverfahren anerkannt (vgl. nur OLG Oldenburg VRS 130, 61; OLG Dresden ZfS 2016, 292; OLG Zweibrücken DAR 2013, 38; OLG Köln NZV 2013, 459); von einer Messung im standardisierten Verfahren kann aber nur bei Einhaltung der in der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers enthaltenen Vorgaben ausgegangen werden. Wird von der dort vorgeschriebenen Verfahrensweise abgewichen, so handelt es sich um ein individuelles Messverfahren, das die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit für sich nicht in Anspruch nehmen kann (vgl. OLG Naumburg DAR 2016, 403 m.w.N.). So liegen die Dinge hier.
aa) Zwar darf nach der Bedienungsanleitung das Messgerät ES3.0 neben den (maximal zwei) eichpflichtigen und mittels Kabel mit der Rechnereinheit verbundenen Fotoeinrichtungen Kamera 1 und ggf. Kamera 2 auch mit einer ungeeichten funkgesteuerten Zusatzfotoeinrichtung zur „unterstützenden Dokumentation“ (Ziffer 2.2 der Bedienungsanleitung [Stand: 10.10.2013; im Folgenden: ‚BA‘) bzw. um „zusätzliche Bildinformationen zu erhalten“ (Ziffer 3.2 BA), betrieben werden. Diese funkgesteuerte ungeeichte Fotoeinrichtung hat gegenüber den geeichten Kameras eine zusätzliche Auslöseverzögerung von ca. 60 ms (Ziffer 3.2 BA). Fotos dieser funkgesteuerten Zusatzfotoeinrichtung können als Ergänzung herangezogen werden, um z.B. das Kennzeichen des gemessenen Fahrzeugs ablesen zu können oder eine Fahrererkennung zu ermöglichen, auch wenn das Foto der geeichten Fotoeinrichtung nicht auswertbar ist (Ziffer 8.5.3 BA). Die Aufstellart der Fotoeinrichtungen ist nicht messrelevant und kann beliebig erfolgen, sofern eine ordnungsgemäße Auswertung erfolgen kann (Ziffer 8.1 BA).
bb) Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde die Fotoeinrichtung so eingesetzt, dass die geeichte Kamera 1 kein Lichtbild fertigte, was sich aus dem in Bezug genommenen „schwarzen“ Lichtbild auf Bl. 16 Rückseite d.A. ergibt, welches eingeblendet allein die maßgeblichen Daten zum verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsverstoß enthält. Zur Fotodokumentation im eigentlichen Sinne stand damit ersichtlich nur das von der ungeeichten funkgesteuerten Zusatzfotoeinrichtung gefertigte Foto des betroffenen Fahrzeugs mit lesbarem Kennzeichen und erkennbarem Fahrer zur Verfügung.
cc) Soweit das Amtsgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt, auch die Verwendung eines allein mit der ungeeichten funkgesteuerten Zusatzkamera gefertigten Dokumentationsfotos sei ausreichend und erfülle die Anforderungen der Bedienungsanleitung zur Fotodokumentation, weshalb von einem standardisierten Messverfahren auszugehen sei, begegnet dies durchgreifenden Bedenken. Der Tatrichter übersieht insoweit schon, dass die Bedienungsanleitung ausdrücklich nur die Gewinnung zusätzlicher Informationen durch die Zusatzfotoeinrichtung in ergänzender Funktion gestattet. Eine Fotodokumentation ausschließlich mit der ungeeichten funkgesteuerten Zusatzfotoeinrichtung bei nicht fotografierender geeichter Kamera, welche dann nur die Messdaten aufzeichnet, wird damit gerade nicht als Normal- bzw. Regelfall statuiert (vgl. Beck/Löhle/Kärger/Schmedding/Siegert Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren 11. Aufl. § 2 Rn. 824). Auch bietet im Falle dicht hintereinander fahrender Fahrzeuge nach der Bedienungsanleitung nur ein von einer der geeichten Fotoeinrichtungen gefertigtes Foto die Gewähr einer korrekten Zuordnung an der Fotolinie. Hierzu wird in der Bedienungsanleitung unter Ziffer 8.5.2 insbesondere ausgeführt: „Bei mehreren dicht hintereinander fahrenden Fahrzeugen kann im Zweifelsfall die Zuordnung des Messwertes zum Fahrzeug mit Hilfe einer Fotolinie erfolgen. Das gemessene Fahrzeug wird unabhängig von der Geschwindigkeit von der eichpflichtigen Kamera mit der Vorderfront an der Fotolinie abgebildet.“ (vgl. auch Beck Löhle/Kärger/Schmedding/Siegert § 2 Rn. 747 zur Zusatzfotoeinrichtung: „Diese Einheit ist nicht geeicht und dient damit ausschließlich der Fahrer-/Kennzeichenidentifizierung. Die Fotoposition lässt sich dort nicht überprüfen.“). Hieraus erschließt sich, dass die Vorgabe der Bedienungsanleitung in Ziffer 8.5.3. zur ergänzenden Verwendung von Fotos der funkgesteuerten Zusatzfotoeinrichtung dahingehend zu verstehen ist, dass hier lediglich die Ergänzung von Informationen (z.B. hinsichtlich des Kennzeichens oder der Fahrereigenschaft) gestattet ist, die bereits in einer Abbildung enthalten sind, welche mit der geeichten Fotoeinrichtung gefertigt wurde. Nicht gestattet ist es hingegen, eine – wie im vorliegenden Fall – komplett schwarze „Abbildung“ der geeichten Fotoeinrichtung, die nur die eingeblendeten Daten, sonst aber keinerlei visuelle Informationen enthält, vollständig durch ein Foto der ungeeichten funkgesteuerten Zusatzfotoeinrichtung zu ersetzen (insbesondere dann, wenn das Objektiv der geeichten Fotoeinrichtung – aus welchen Gründen auch immer – bei der Messung abgedeckt geblieben sein sollte).
d) Da die verfahrensgegenständliche Messung somit nicht den Vorgaben der Bedienungsanleitung entspricht, durfte das Amtsgericht nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgehen. Dies hat zur Folge, dass das Gericht dann, wenn es die Verurteilung auf ein solches, durch den Mangel eines Verstoßes gegen die Bedienungsanleitung belastetes Messergebnis stützen will, dessen Korrektheit individuell zu überprüfen hat, was in aller Regel nicht ohne die Mitwirkung eines Sachverständigen für Messtechnik möglich ist (vgl. OLG Koblenz DAR 2006, 101; KG VRS 116, 446; OLG Naumburg a.a.O.).
III.
Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
IV.
Die Entscheidung ergeht durch Beschluss nach § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.