Amtliche Leitsätze: 1. Bei der Beurteilung der Unterschrift eines Richters unter einem Urteil ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, wenn die Urheberschaft außer Frage steht.
2. Bei einer Geschwindigkeitsmessung im Baustellenbereich einer Autobahn muss der Tatrichter die Möglichkeit, dass der Betroffene vier doppelseitig aufgestellte Verkehrszeichen übersehen haben könnte, mit denen die Geschwindigkeit sukzessive reduziert wurde (Geschwindigkeitstrichter), nur dann in den Urteilsgründen erörtern, wenn hierfür konkrete Anhaltspunkte bestehen, insbesondere wenn der Betroffene dies einwendet.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss vom 17.02.2025
Tenor:
I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 09.10.2024 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass dieser wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 90 km/h verurteilt ist.
II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 09.10.2024 wegen „fahrlässiger“ Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 90 km/h zu einer Geldbuße von 1.400 Euro verurteilt, gegen ihn ein mit der Vollstreckungserleichterung des § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer von 3 Monaten verhängt und ihm die Kosten des Verfahrens und die eigenen notwendigen Auslagen auferlegt.
Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat am 19.12.2024 beantragt, das Urteil im Tenor dahingehend zu berichtigen, dass der Betroffene der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schuldig ist und im Übrigen die Rechtsbeschwerde als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
Mit seinen Gegenerklärungen vom 03.02.2025 und 07.02.2025 rügt der Betroffene, dass die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft nicht fristgemäß erstellt und damit unbeachtlich sei. Er macht weiter geltend, dass die Unterschrift des Tatrichters unter dem Urteil nicht den Anforderungen an eine Unterschrift genüge, die Verdopplung des wegen eines fahrlässigen Verstoßes verhängten Bußgelds nicht begründet worden sei und die Kosten eines abgesetzten Hauptverhandlungstermins am 19.06.2024 der Staatskasse hätten auferlegt werden müssen.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat – mit Ausnahme der notwendigen Tenorberichtigung – keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
- Der – durch den Senat berichtigte – Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Soweit beanstandet wird, dass das angefochtene Urteil wegen des Fehlens der Unterschrift des Richters keine Gründe im Rechtssinne enthalte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 67. Aufl. § 275 Rn. 28), dringt die Rüge nicht durch.
Die Unterschrift durch den Richter genügt den Anforderungen, die von der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterschrift gestellt werden. Während ein bloßes Handzeichen nicht genügt, reicht es für eine Unterschrift aus, dass ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht erkennen lässt, eine volle Unterschrift zu leisten. Der Namenszug kann flüchtig geschrieben sein und braucht weder die einzelnen Buchstaben klar erkennen zu lassen noch im Ganzen lesbar zu sein (vgl. BGH, Vers.urt. v. 19.07.2007 – I ZR 136/07 bei juris Rn. 24 = NJW-RR 2008, 218 = MDR 2008, 161). Zumindest in Fällen, in denen die Autorenschaft gesichert ist, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 28.05.2003 – 1 ObOWi 177/03 bei juris m.w.N. = BayObLGSt 2003, 73 = NStZ-RR 2003, 305 = VRS 105, 356).
Die Voraussetzungen und Merkmale einer in erkennbarer Absicht geleisteten vollen Unterschrift des Richters liegen vor. Es ist nicht zweifelhaft und wird vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt, dass das Urteil nicht von jemand anderem verfasst wurde als von dem Richter, der die Hauptverhandlung geleitet hat und dessen Name maschinenschriftlich unter dem handschriftlichen Schriftzug vermerkt ist. Auch das Protokoll, sowie die Ladungs- und Zustellungsverfügungen sind in gleicher Weise unterzeichnet. Der Schriftzug besteht aus mehreren, an ihren sich auf unterschiedlichen Ebenen befindlichen Ecken unterschiedlich gerundeten Auf- und Abschwüngen und verweist deshalb eindeutig auf die Urheberschaft einer ganz bestimmten Person. Die Grenze individueller Charakteristik, die etwa bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader) Linien, die in keinem Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen, erreicht ist, ist nicht überschritten. Es besteht von daher kein Zweifel, dass jedermann, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, seinen Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann.
Hinzu kommt, dass sich der Schriftzug der Unterschrift signifikant von dem bei einfachen Verfügungen verwendeten bloßen Handzeichen des Richters unterscheidet, welches insgesamt deutlich schlichter gestaltet ist.
b) Der Tatrichter hat im Rahmen seiner Ausführungen zur Fahreridentifizierung in noch ausreichender Weise auf das sich bei den Akten befindliche Tatfoto Bezug genommen.
Es genügt, wenn der Tatrichter seinen Willen, im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf eine bei den Akten befindliche Abbildung zu verweisen, deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck bringt (BGH, Beschl. v. 19.12.1995 – 4 StR 170/95 bei juris = BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420 =DAR 1996, 35 = NZV 1996, 157 = MDR 1996, 512 = StV 1996, 413 = VerkMitt 1996, Nr. 126, 89). Eine besondere Form schreibt die genannte Vorschrift für die Verweisung nicht vor. Weder ist es erforderlich die Norm des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO ausdrücklich zu nennen, noch den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Darüber, ob der Tatrichter deutlich und zweifelsfrei erklärt hat, er wolle eine Abbildung zum Bestandteil der Urteilsgründe machen, ist deshalb stets im Einzelfall unter Heranziehung seiner Darlegungen insgesamt zu entscheiden (BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/15 bei juris = NStZ-RR 2016, 178 = StraFo 2016, 155 = StV 2016, 778). Hier hat das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen aufgrund der Inaugenscheinnahme des Betroffenen in der Hauptverhandlung und dem Vergleich mit dem Tatfoto Bl. […] d.A. gewonnen, welches in Augenschein genommen wurde. Damit hat es in noch zureichender und wirksamer Weise, nämlich durch Nennung der Aktenfundstellen, zweifelsfrei erklärt, über die Beschreibung des Vorgangs der Beweiserhebung als solchen hinaus in der Sache auf das am genannten Ort befindliche Messfoto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug zu nehmen und dieses so zum Bestandteil der Urteilsgründe zu machen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 06.02.2017 – 3 Ss OWi 156/17 bei juris).
c) Soweit das Amtsgericht in seinen Gründen von vorsätzlichem Verhalten des Betroffenen ausgegangen ist, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Annahme eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes erfordert grundsätzlich, dass sich der Täter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch bewusst ist. Dies gilt insbesondere für den auf einer Bundesautobahn begangenen Verstoß, weil dort für Pkw keine allgemeine Höchstgeschwindigkeit besteht (§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, § 18 Abs. 5 StVO). Insoweit ist erforderlich, dass der Betroffene die Beschränkung der Geschwindigkeit durch Verkehrszeichen tatsächlich wahrgenommen hat (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.10.2012 – 2 SsBs 76/12 bei juris = ZfSch 2013, 471). Denn einen Erfahrungssatz, wonach gut sichtbare Verkehrszeichen immer gesehen werden, gibt es nicht (OLG Bamberg, Beschl. v. 26.04.2013 – 2 Ss OWi 349/12, bei juris = DAR 2014, 38).
Der Tatrichter muss die Möglichkeit, dass der Betroffene ein solches Verkehrszeichen übersehen hat, aber auch nur dann in Rechnung stellen und in den Urteilsgründen erörtern, wenn hierfür Anhaltspunkte vorliegen oder der Betroffene dies im Verfahren konkret einwendet (OLG Celle, Beschl. v. 28.10.2013 – 322 SsRs 280/13 bei juris = NZV 2014, 232). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Da die Geschwindigkeitsüberschreitung im Baustellenbereich stattfand und der Betroffene vor der Messung viermal doppelseitig aufgestellte Verkehrszeichen passiert hatte, mit denen die zulässige Höchstgeschwindigkeit sukzessive auf 80 km/h herabgesetzt wurde (Geschwindigkeitstrichter), drängte sich im Gegenteil der Schluss, dass er die Begrenzung auch bemerkt hatte, geradezu auf.
Es entspricht weiterhin der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 40% regelmäßig von vorsätzlicher Tatbegehung des Betroffenen ausgegangen werden kann, wenn dieser, wie hier, die zulässige Höchstgeschwindigkeit kannte (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 10.07.2023 – 201 ObOWi 621/23 bei juris m.w.N.). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation sind nicht ersichtlich.
d) Richtig ist, dass der Betroffene laut des Tenors des ihm zugestellten Urteils nur wegen fahrlässigen Verhaltens verurteilt wurde. Der Senat berichtigt insoweit den Schuldspruch.
Bei einer Abweichung des Urteilstenors von der rechtlichen Würdigung liegt ein Widerspruch innerhalb der schriftlichen Urteilsgründe vor, der auf die Sachrüge hin zu beachten ist. Der Senat sieht insoweit keinen Anlass, von Amts wegen nachzuprüfen, welcher Tenor verkündet wurde, denn eine zulässige Verfahrensrüge ist nicht erhoben worden (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2020 – 5 StR 189/20; v. 27.01.2021 – 6 StR 399/20; u.v. 03.05.2019 – 3 StR 462/18 jew. bei juris m.w.N.).
Vielmehr kann er auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen selbst auf den zutreffenden und rechtsfehlerfrei begründeten schwereren Schuldspruch erkennen, ohne durch das Verschlechterungsverbot gehindert zu sein (BGH, Beschl. v. 23.06.2020 a.a.O.).
- Auch der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Das Amtsgericht ist zu Recht von dem wegen Vorsatzes verdoppelten (§ 3 Abs. 4a BKatV) Regelbußgeld der lfd. Nr. 11.3.10 der Tabelle 1 im Anhang zum BKat von 700 Euro ausgegangen. Solange, wie hier, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich gut oder schlecht sind, sind weitergehende Feststellungen zu diesen entbehrlich, wenn die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird (BayObLG, Beschl. v. 10.07.2023 a.a.O.).
Besondere Härten für den Betroffenen hinsichtlich der Anordnung und der Dauer des Regelfahrverbots von 3 Monaten (Lfd. Nr. 11.3.10 BKat) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Soweit der Betroffene die Richtigkeit der Kostenentscheidung des Amtsgerichts beanstandet, kann er hiermit im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht gehört werden.
Statthaftes Rechtsmittel hinsichtlich der Kostenentscheidung ist die nach § 311 Abs. 2 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG fristgebundene sofortige Beschwerde nach § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG. Eine solche wurde jedoch nicht eingelegt und kann der nicht weiterer begründeten Einlegung der Rechtsbeschwerde auch nicht im Wege der Auslegung entnommen werden. Soweit man in der Gegenerklärung vom 03.02.2025 eine sofortige Beschwerde sehen wollte, wäre diese nicht fristgemäß erhoben.
III.
Der Senat merkt an, dass die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft München vom 19.12.2024 selbstverständlich beachtlich ist. Zum einen handelt es sich bei der Frist des § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nicht um eine Ausschlussfrist (Meyer-Goßner/Schmitt 67. Aufl. § 347 Rn. 2c). Zum anderen verwechselt die Rechtsbeschwerde die Gegenerklärung nach § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO mit dem Antrag nach § 349 Abs. 2, Abs. 3 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Auch beachtet sie nicht, dass das Formerfordernis des § 32b Abs. 3 Satz 2 StPO, § 110c Satz 1 OWiG ohnehin nur unter der hier nicht vorliegenden Voraussetzung besteht, dass die Verfahrensakte elektronisch geführt wird (vgl. BGH, Urt. v. 12.09.2023 – 3 StR 306/22 bei juris Rn. 87).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.