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AG Hagen – Beschluss vom 28.06.12

Die Behörde hat die Lebensakte eines Meßgeräts dem Verteidiger des Betroffenen zugänglich zu machen. Für den Fall, dass eine Lebensakte nicht existieren sollte hat sie Auskunft zu erteilen über Reparaturen, Wartungen, vorgezogenene Neueichungen oder vergleichbare, die Funktionsfähigkeit des Messgeräts berührende Ereignisse, die im betroffenen Eichzeitraum stattgefunden haben.




Amtsgericht Hagen

Beschluss vom 28.06.2012

97 OWi 5/12 (b)

Tenor:

Auf Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen den Verwerfungsbescheid der Stadt Hagen – Oberbürgermeister — vom 13.06.2012 wird der Stadt Hagen aufgegeben,
das Wartungszertifikat, die Lebensakte und Reparaturnachweise für das Messgerät Multanova 6F digital, Ident.-Nr. (…) vorzulegen;
für den Fall, dass eine sog. Lebensakte nicht existieren sollte, Auskunft zu erteilen über Reparaturen, Wartungen, vorgezogenene Neueichungen oder vergleichbare, die Funktionsfähigkeit des Messgeräts berührende Ereignisse, die im betroffenen Eichzeitraum stattgefunden haben.
Die Verwaltungsbehörde hat, soweit sie aus eigenem Kenntnisstand die Auskunft nicht vollständig erteilen kann, von Amts wegen bei anderen Behörden,
insbesondere bei der Autobahnpolizei Dortmund, sämtliche der vorbezeichneten Umstände von Amts wegen zu ermitteln.
Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Gegen den Betroffenen ist ein Bußgeldbescheid ergangen. Gegen diesen Bescheid hat der Betroffene durch seinen Verteidiger Einspruch eingelegt. Der Betroffene bat am 28.02.2012 um Akteneinsicht einschließlich der im Tenor näher bezeichneten Lebensakte bzw. vergleichbarer Auskünfte betreffend das Messgerät.

Die im Tenor bezeichneten Auskünfte wurden nicht erteilt und ergeben sich auch nicht aus der zur Einsicht überlassenen Akte.

Am 05.06.2012, eingegangen bei der Verwaltungsbehörde am 06.06.2012, hat der Betroffene Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt. Die Verwaltungsbehörde hat daraufhin unter dem 13.06.2012 angefragt, ob die verfahrensgegenständlichen Auskünfte bei der Polizei eingeholt werden sollen. Am 18.06.2012 rügte der Verteidiger die zögerliche Sachbehandlung durch die Verwaltungsbehörde und wiederholte seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Die Verwaltungsbehörde hat den Antrag mit Verfügung vom 21.06.2012 zur Entscheidung dem Amtsgericht vorgelegt. Sie hat bislang den Antrag des Verteidigers nicht ausdrücklich beschieden, auch nicht hinsichtlich der Abhilfe.

Der nach §§ 69 Abs. 1, 62 OWiG zulässige Antrag ist begründet.

Der Verteidiger hat, was letztlich auch von der Verwaltungsbehörde nicht infrage gestellt wird, einen Anspruch auf Einsicht in die Lebensakte bzw., falls eine solche – jedenfalls namentlich – nicht existieren sollte, Anspruch auf Erteilung der im Tenor näher bezeichneten Auskünfte. Das Recht ergibt sich im Übrigen letztlich auch aus dem Recht auf Akteneinsicht gern. §§ 147 StPO, 46 OWiG. Denn wenn der Betroffene die Richtigkeit der Messung überprüfen möchte, muss er zumindest Gelegenheit haben, auch die Umstände zu überprüfen, die für die Zuverlässigkeit der Messung entscheidend sein könnten.

Die Verwaltungsbehörde ihrerseits ist von Amts wegen zu entsprechenden Ermittlungen jedenfalls dann verpflichtet, wenn sie von dem Betroffenen – oder seinem Verteidiger – ausdrücklich verlangt werden.

Die Verwaltungsbehörde hat vorliegend zwar den Antrag des Verteidigers nicht ausdrücklich abgelehnt. Aus ihrem gesamten Verhalten ergibt sich jedoch, dass die Verwaltungsbehörde das Akteneinsichtsrecht nicht oder jedenfalls nicht hinreichend erfüllt hat. Zunächst wurde am 06.02.2012 ausdrücklich auch Einsicht in die im Tenor näher bezeichneten Unterlagen begehrt. Dem ist die Behörde nicht nachgekommen, sondern sie hat stattdessen einen Bußgeldbescheid erlassen. Nachdem der Verteidiger im Einspruchsverfahren seinen Antrag wiederholt und eine gerichtliche Entscheidung beantragt hat, hat die Verwaltungsbehörde nicht etwa abgeholfen, sondern zunächst zu einer möglichen Abhilfe angehört. Sie hat auch nicht etwa zeitgleich eine Einholung der Auskünfte verfügt, woraus ein ernsthafter Abhilfewille zumindest objektiv erkennbar geworden wäre. Schließlich wurde die Akte, wiederum ohne objektiv erkennbare Abhilfebemühungen, dem Gericht vorgelegt.
Eine solch zögerliche Sachbehandlung kommt für den Betroffenen einer Ablehnung gleich. Der Betroffene hat insofern zu Recht eine gerichtliche Entscheidung verlangt, die allein aus Gründen der Rechtssicherheit auch zu ergehen hat, wenngleich eine förmliche Ablehnung seines Begehrens bislang nicht erfolgt ist. Indem die Verwaltungsbehörde aber das Verfahren ohne objektive Bemühungen der Abhilfe weiterbetrieben und sogar einen Bußgeldbescheid erlassen hat, zeigt sie zumindest so unzureichend ihren Willen zur Abhilfe, dass eine gerichtliche Entscheidung zugunsten des Betroffenen geboten war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 unanfechtbar.

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