Zum Inhalt der Entscheidung:
1. Die Einrichtung einer Geschwindigkeitsmessanlage darf nicht an fiskalischen Interessen ausgelegt sein.
2. Zwar hat nicht jede unzulässige Beweiserhebung ein Beweisverwertungsverbot zur Folge, jedoch ist dies dann der Fall, wenn die Ordnungsbehörde willkürlich zu Lasten des Betroffenen gehandelt oder die Geschwindigkeitsmessung unter bewusster Missachtung der für sie geltenden Bestimmungen angeordnet hat.
Amtsgericht Gießen
Beschluss vom 19.07.2013
512 OWi – 802 Js 3704/13
Tenor:
Der Betroffene wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Staatskasse zu tragen.
Aus den Gründen:
Dem Betroffenen wird mit Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums in Kassel vom 03.01.2013 vorgeworfen, am 13.11.2012 um 07.58 Uhr in Grünberg, Ortsteil Beltershain, Rabenaustraße in Höhe Hausnummer (…) als Führer des Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen (…) die dort innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um – nach Abzug der Toleranz – 33 km/h überschritten zu haben.
Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte durch eine von der Stadt Grünberg errichtete stationäre Messanlage des Gerätetyps PoliScan F1. Gemäß dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport – LPP 23 Mi – 66k 12 – vom 06.01.2006 (StAnz. 2006, 286) ist vor der Einrichtung ortsfester Messstellen die Hessische Polizeischule (jetzt Polizeiakademie Hessen) anzuhören. Eine Stellungnahme der Hessischen Polizeischule vor Errichtung dieser stationären Geschwindigkeitsmessanlage, wurde durch die Stadt Grünberg nicht eingeholt und auch nicht beantragt. Die Gemeinde Grünberg hatte im Jahr 2007 lediglich hinsichtlich der Einrichtung einer stationären Geschwindigkeitsmessanlage in Grünberg, Alsfelder Straße, eine Stellungnahme der Hessischen Polizeischule eingeholt.
Der Betroffene ist aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
Die durchgeführte Geschwindigkeitsmessung ist unzulässig und deren Ergebnis nicht verwertbar.
Die diesbezüglichen Feststellungen beruhen auf dem Messprotokoll, Blatt 4 der Akte, dem Schreiben der Stadt Grünberg vom 14.03.2013, Blatt 17 der Akte, der durch die Gemeinde Grünberg vorgelegten Stellungnahme der Hessischen Polizeischule vom 14.05.2007, Blatt 18 bis 21 der Akte, auf die – insbesondere wegen der Fotos sowie der handschriftlichen Notizen auf Blatt 21 der Akte – wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen wird, des Schreibens der Stadt Grünberg vom 22.04.2013, Blatt 22 der Akte, der nochmals vorgelegten Stellungnahme der hessischen Polizeischule Blatt 25 bis 28, wobei auf Blatt 28 der Akte wiederum gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, sowie der Erklärung der Polizeiakademie Hessen vom 25.04.2013 Blatt 30 der Akte.
Die Geschwindigkeitsmessung mit einer stationären Messanlage erfolgte unter Verstoß gegen den Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport – LPP 23 Mi – 66k 12 – vom 06.01.2006 (StAnz. 2006, 286), welcher die Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden regelt. Darin ist unter Ziffer 1 dargelegt, dass die Verkehrsüberwachung eine hoheitliche Aufgabe ist und sie vorrangig der Unfallverhütung dient und daneben dem Schutz der Bevölkerung von Gesundheitsbeeinträchtigungen. Im Interesse einer effizienten Verkehrssicherheitsarbeit sind danach Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich zwischen den zuständigen Behörden abzustimmen. Gemäß § 1 Nr. 5 der HSOG-DVO werden von den allgemeinen Ordnungsbehörden als Aufgaben der Gefahrenabwehr auch – und zwar unbeschadet der Zuständigkeit der Polizeibehörde – die Überwachung des Straßenverkehrs, auch durch Verwendung technischer Mittel, wahrgenommen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Im genannten Erlass ist unter Ziffer 4.1. festgelegt, nach welchen Kriterien Messstellen für Geschwindigkeitsmessgeräte ausgewählt werden sollen und dass zur Einrichtung ortsfester Messstellen die Hessische Polizeischule anzuhören ist. Die Einrichtung einer Geschwindigkeitsmessanlage darf nämlich nicht an fiskalischen Interessen ausgelegt sein (vgl. OLG Stuttgart, 3 Ss 265/90, vom 01.06.1990, OLG Frankfurt 2 Ws (B) 91/92 OWiG vom 20.02.1992). Bei der Einrichtung einer stationären Messanlage muss besonders sorgfältig geprüft werden, an welchem Standort eine solche errichtet werden kann, und ob die Örtlichkeit den im Erlass dargelegten Kriterien entspricht, weshalb nach Erlasslage in diesen Fällen zur geplanten Errichtung die Hessische Polizeischule/Polizeiakademie Hessen anzuhören ist.
Die Anhörung der Hessischen Polizeischule vor Errichtung der hier gegenständlichen Messanlage ist jedoch unterblieben.
Auf die Aufforderung des Gerichts, die entsprechenden Stellungnahme der Hessischen Polizeischule vorzulegen, hat die Gemeinde Grünberg mit Schreiben vom 14.03.2013 die Stellungnahme der hessischen Polizeischule vom 14.05.2007 hinsichtlich des vorgesehenen Messortes in der Alsfelder Straße übersandt. Auf Seite 4 der Stellungnahme, Blatt 21 der Akte sind insgesamt drei handschriftliche Vermerke enthalten, unter anderem der Vermerk, dass beim gemeinsamen Ortstermin (…), von der Hessischen Polizeischule die Überschreitungen zu wenig waren und zum anderen, dass auch die Standorte in Beltershain, Lehnheim und Stockhausen, bei denen es sich um die bisherigen mobilen Messplätze der Stadt Grünberg handelt, besprochen worden seien.
Die Stadt Grünberg hat im Schreiben vom 14.03.2013 erklärt, u. a. auch der Standort Beltershain sei beim gemeinsamen Ortstermin besprochen worden. Aus Zeitgründen sei seinerzeit lediglich der Standort Grünberg fototechnisch festgehalten worden, weil es sich bei den anderen Stellen um bereits genutzte mobile Messplätze gehandelt habe. Auf nochmalige Nachfrage des Gerichts wurde mit Schreiben vom 02.04.2013 durch die Stadt Grünberg mitgeteilt, dass aus Zeitgründen kein weiterer Termin von der hessischen Polizeischule für die restlichen Messstellen anberaumt worden sei, weshalb lediglich die Stellungnahme zur Einrichtung der Messstelle im Stadtgebiet Grünberg vorliege. Auf der dann nochmals übersandten Kopie der Stellungnahme der hessischen Polizeischule vom 24.05.2007 waren allerdings die beiden oben genannten handschriftlichen Vermerke auf Seite 4 der Stellungnahme nicht vorhanden.
Die Polizeiakademie Hessen hat mit Schreiben vom 25.04.2013 mitgeteilt, dass die Einrichtung einer stationären Geschwindigkeitsmessanlage in der Rabenaustraße in Grünberg dort nicht bekannt sei. Bei dem damaligen Ortstermin sei der Standort Rabenaustraße nicht als geplante Messstelle avisiert worden, weshalb dazu auch keine Stellungnahme gefertigt worden sei. Es könne daher, da kein Ortstermin stattgefunden habe, auch nicht beurteilt werden, ob die Messstelle den Erlassvoraussetzungen entspricht. Es könne auch die Begründung der Stadt Grünberg, dass die Örtlichkeit Rabenaustraße aus Zeitgründen nicht fotografiert worden sei, weil dort bereits mobile Messplätze vorhanden gewesen seien, nicht nachvollzogen werden, denn das Vorhandensein mobiler Messplätze allein sei kein Kriterium dafür, dass an solchen Stellen auch stationäre Messanlagen installiert werden können. Es sei daher davon auszugehen, dass eine schriftliche Stellungnahme der Hessischen Polizeischule gefertigt worden wäre, wenn diese beantragt worden wäre.
Der Gemeinde Grünberg war also vor Errichtung der hier gegenständlichen stationären Messanlage durchaus bekannt, dass grundsätzlich vor der Errichtung einer solchen Messanlage die Stellungnahme der Hessischen Polizeischule einzuholen ist.
Dies hat sie jedoch unterlassen. Die hierfür angeführte Begründung ist nicht nachvollziehbar und in sich widersprüchlich. Insbesondere ist auch befremdlich, dass zunächst eine Kopie der Stellungnahme zur Messstelle Grünberg, Alsfelder Straße vorgelegt wird, die auf Seite 4 mit handschriftlichen Notizen versehen ist, während im Nachgang dazu, mit Schreiben vom 14.03.2012, diese Seite 4 der Stellungnahme ohne alle handschriftlichen Notizen vorgelegt wurde, so dass nicht festgestellt werden kann, wann die Notiz über die angebliche Besprechung auch der weiteren Messstellen gefertigt wurde.
Da die Messanlage unter Verstoß gegen die Erlasslage errichtet wurde, ist darin ein Beweiserhebungsverbot zu sehen. Zwar hat nicht jede unzulässige Beweiserhebung ein Beweisverwertungsverbot zur Folge, jedoch ist dies dann der Fall, wenn die Ordnungsbehörde willkürlich zu Lasten des Betroffenen gehandelt oder die Geschwindigkeitsmessung unter bewusster Missachtung der für sie geltenden Bestimmungen angeordnet hat (vgl. OLG Frankfurt, Ss OWi 73/03 m. w. N.). Dies ist vorliegend der Fall.
Die Stadt Grünberg hat die stationäre Messstelle in Kenntnis der Vorgaben des Erlasses des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport und der Tatsache eingerichtet, dass eine vorherige Überprüfung des Standortes durch die hessische Polizeischule hätte erfolgen müssen und deren Stellungnahme hätte abgewartet werden müssen. Sie hat die Einholung der Stellungnahme auch nicht beantragt.
Die im Erlass getroffene Regelung dient, wie dargelegt, dem Zweck, stationäre Messanlagen nur an ausgewählten Standorten einzurichten, die einen Unfallschwerpunkt oder sonst schutzwürdigen Bereich darstellen. Insbesondere soll die Auswahl eines solchen Standortes ausdrücklich nicht – im Gegensatz zur Wahl der Einsatzorte für mobile Geschwindigkeitsmessungen – allein den Gemeinden überlassen werden, sondern durch die Hessische Polizeischule überprüft werden. Diese nimmt dann zu diesem Zweck die Örtlichkeiten in Augenschein, überprüft die Unfallstatistik und eventuelle Messergebnisse von bereits durchgeführten Messungen mit mobilen Messgeräten um dadurch Erkenntnisse darüber zu bekommen, ob die Errichtung einer stationären Messanlage erlasskonform ist oder nicht.
Diese Vorgabe und die damit einhergehende Überprüfung der Messstelle hat die Stadt Grünberg bewusst umgangen und die Messanlage aufgestellt, ungeachtet dessen, ob dies an dieser Stelle gerechtfertigt war oder nicht. Dass es sich um einen Unfallschwerpunkt oder eine sonstige besondere Gefahrenstelle handelt, ist damit nicht dargelegt und schon aus diesem Grund ist die Messung mit einer stationären Messanlage an dieser Messstelle unzulässig. Verkehrsteilnehmer dürfen die Erwartung hegen, dass sich die Verwaltungsbehörde nicht über Richtlinien zur Handhabung des Verwaltungsermessens, die eine gleichmäßige Behandlung sicherstellen sollen, im Einzelfall ohne sachliche Gründe hinwegsetzt. Die Vorgehensweise der Stadt Grünberg und auch deren Verhalten im Verfahren, welches im Widerspruch zu den Erklärungen der Hessischen Polizeischule steht, lässt daher nur den Schluss zu, dass die Einrichtung dieser stationären Anlage nicht unter dem Gesichtspunkt der Unfallverhütung, sondern in erster Linie aus fiskalischen Interessen errichtet wurde.
Das Messergebnis ist daher nicht verwertbar, ohne dass näher überprüft werden muss, ob die Messung aus technischer Sicht ordnungsgemäß erfolgt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 OWIG, 467 Abs. 1 StPO.