Ein Fahrverbot kann für Betroffene weitreichende Folgen haben – insbesondere dann, wenn die Fahrerlaubnis beruflich dringend benötigt wird. In solchen Fällen prüfen die Gerichte, ob ausnahmsweise von der Verhängung eines Regelfahrverbots abgesehen werden kann. Voraussetzung ist, dass eine konkrete, außergewöhnliche Härte vorliegt, zum Beispiel der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder eine Existenzgefährdung bei Selbständigen.
Die Rechtsprechung verlangt in diesen Fällen nachvollziehbare und belegbare Tatsachen, etwa zur Tätigkeit des Betroffenen, zur Bedeutung des Führerscheins für seine Erwerbstätigkeit oder zur fehlenden Zumutbarkeit von Alternativen wie Fahrdiensten, Urlaub oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei müssen Gerichte stets eine Einzelfallprüfung vornehmen und ihre Entscheidung nachvollziehbar begründen.
Die hier zusammengestellten Entscheidungen zeigen, welche Maßstäbe Gerichte bei beruflich bedingten Härtefällen anlegen – und wann ein Fahrverbot trotz schwerwiegender Folgen nicht entfallen kann
- Kammergericht – Beschluss vom 11.09.24: Möchte der Tatrichter vom Regelfahrverbot absehen, weil dieses den Betroffenen aus familiären und beruflichen Gründen besonders hart treffe, so ist diese Bewertung mit Tatsachen zu belegen. Gehen diese auf die Einlassung des Betroffenen zurück, bedarf es einer kritischen Würdigung und gegebenenfalls Überprüfung.
- OLG Bamberg – Beschluss vom 13.08.18: Die eine Fahrverbotsprivilegierung wegen eines substantiiert vorgebrachten und als wahr unterstellten Arbeitsplatzverlustes durch Kündigung versagende Wertung, ein Härtefall scheide schon deshalb aus, weil der Betroffene bei der gegebenen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungslage „unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“ werde, bedarf einer durch tatrichterliche Feststellungen belegten, die Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick nehmenden Tatsachengrundlage. (Rn. 7).
- OLG Zweibrücken – Beschluss vom 10.12.15: Zum Absehen vom Fahrverbot bei drohender Existenzgefährdung eines Selbständigen.
- OLG Karlsruhe – Beschluss vom 02.11.15: Macht der Betroffene geltend, dass ihm durch ein Fahrverbot eine besondere berufliche Härte droht, muss das Tatgericht den Sachverhalt umfassend aufklären. Dem Betroffenen muss klar sein, welche Angaben das Gericht hierzu für erforderlich hält. Eine Beweislast trifft den Betroffenen nicht.
- OLG Saarbrücken – Beschluss vom 12.02.13 1. Ein Absehen vom Fahrverbot aufgrund beruflicher Nachteile muss vom Tatgericht eingehend begründet werden. Grundsätzlich ist es Aufgabe des Betroffenen, die mit dem Fahrverbot verbundenen Nachteile durch Maßnahmen wie z.B. die Inanspruchnahme von Urlaub, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis, die Heranziehung eines Angehörigen oder Angestellten als Fahrer, die vorübergehende Beschäftigung eines Aushilfsfahrers oder durch eine Kombination dieser Maßnahmen auszugleichen. 2. Die Teilnahme an einem Aufbauseminar rechtfertigt für sich genommen kein Absehen vom Fahrverbot.
- OLG Hamm – Beschluss vom 19.01.10: Der Tatrichter hat im Rahmen der Verhängung des Fahrverbotes stets zu prüfen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ausnahmsweise, insbesondere unter Beachtung des Übermaßverbotes, das Absehen vom Regelfahrverbot rechtfertigen, was dann der Fall ist, wenn erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände vorliegen, die einen Ausnahmefall begründen.
- OLG Hamm – Beschluss vom 06.09.07: Das Bußgeldurteil muß Feststellungen zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten, so dass es dem Rechtsbeschwerdegericht ermöglicht wird zu prüfen, ob die Verhängung eines Fahrverbots etwa wegen besonderer Umstände in den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen eine unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt.
- OLG Hamm – Beschluss vom 30.10.06: Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge des angeordneten Fahrverbotes, wie z.B. die Inanspruchnahme von Urlaub sowie die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen sind als selbstverschuldet hinzunehmen. Sie reichen nicht aus, um von der Festsetzung eines Regelfahrverbots abzusehen. Notfalls muss ein Kredit aufgenommen werden.
- OLG Hamm – Beschluss vom 03.07.06: Die mit dem Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung kann in manchen Fällen auch mit einer empfindlicheren Geldbuße erreicht werden.
- AG Essen – Urteil vom 25.11.05: Absehen vom Fahrverbot trotz fünf verwertbarer Voreintragungen im Verkehrszentralregister. Das Gericht hat eine Geldbuße von 1.000,– € (Regelsatz 100,– €) verhängt und von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen. Bedeutsam für das Absehen vom Fahrverbot war für das Gericht der konkret drohende Verlust des Arbeitsplatzes, der freiwillige Besuch eines Aufbauseminars und einer verkehrspsychologischen Beratung und der Umstand, dass die Mehrzahl der Voreintragungen bereits einige Zeit zurücklagen.
- OLG Hamm – Beschluss vom 03.03.05: Wenn der Betroffene schwerwiegende berufliche Folgen geltend macht, darf ein Fahrverbot nur dann verhängt werden, wenn das Tatgericht konkrete, auf Tatsachen gestützte Feststellungen zu den möglichen beruflichen Härten und zur Zumutbarkeit von Alternativen (z. B. Urlaubsnahme) trifft. Pauschale Annahmen genügen den Anforderungen an die Begründung nicht.

