Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Ein gelegentlicher Konsum von Cannabis kann auch dann vorliegen, wenn lediglich ein zweimaliger Konsum, der auch mehrere Jahre auseinander liegen kann (hier 2005 und 2007), nachgewiesen wird.
2. Ein mangelndes Trennvermögen kann vorliegen, wenn der Betreffende vor Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat. Sofern der Betreffende nach dem Konsum zeitnah am Straßenverkehr teilnimmt, kommt es auf den Nachweis eines bestimmten THC-Wertes nicht an.
Verwaltungsgericht Münster
Urteil vom 21.07.2008
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch den Beklagten.
Im Jahre 2005 gab der Kläger im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung zu, im November 2004 zwei Gramm Marihuana zum Eigenverbrauch erworben zu haben und das Betäubungsmittel konsumiert zu haben.
In der Nacht vom 14. September 2007 auf den 15. September 2007 wurde der Kläger zusammen mit zwei anderen Personen, Herrn F. und Herrn I., in einem Fahrzeug auf einem Parkplatz in S. von der Polizei angetroffen. Nach Darstellung der Polizei gab der Kläger zu, als Fahrer eines Pkw mit zwei Freunden nach Holland gefahren zu sein und sich dort eine Cannabiszigarette geteilt zu haben. Auf Nachfrage habe der Kläger ausdrücklich zugegeben, auch selbst geraucht zu haben. Danach sei er mit dem Pkw wieder nach Deutschland auf den Parkplatz gefahren. Hier hätten sich alle drei wiederum eine Cannabiszigarette geteilt. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten von Prof. Dr. Q. vom 22. Oktober 2007 über die chemisch-toxikologische Untersuchung der vom Kläger abgegebenen Blutprobe stand der Kläger zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter akuter Cannabiseinwirkung mit einer THC-Konzentration im Blut von 2,1 ng/ml.
Unter dem 10. Dezember 2007 erging gegen den Kläger ein Bußgeldbescheid, in dem ihm vorgeworfen wurde, am 14. September 2007 ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss geführt zu haben. Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Kläger unter dem 13. Dezember 2007 Einspruch ein. Das Amtsgericht Bocholt stellte am 12. Juni 2008 das Bußgeldverfahren gegen den Kläger gem. § 47 Abs. 2 des Ordnungswidrigkeitengesetzes ein.
Mit Ordnungsverfügung vom 13. Dezember 2007 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis, ordnete die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis an, forderte den Kläger auf, seinen Führerschein innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung der Verfügung abzugeben, und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Zur Begründung trug er vor: Aus einer Beschuldigtenvernehmung der Kreispolizeibehörde Borken gehe hervor, dass der Kläger nach eigenen Angaben im November 2004 Cannabisprodukte konsumiert habe. Nach dem Bericht der Kreispolizeibehörde Borken vom 15. September 2007 habe der Kläger am 14. September 2007 in S. unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln (Cannabis) ein Kraftfahrzeug geführt. Auf Grund dieser Tatsachen sei nachgewiesen, dass er gelegentlich Cannabisprodukte konsumiere und zudem nicht in der Lage sei, zwischen dem Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs sicher zu trennen. Damit sei er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet. Aus diesem Grund sei ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Hiergegen hat der Kläger am 11. Januar 2008 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Er habe zu keiner Zeit unter dem Einfluss von Drogen ein Kraftfahrzeug geführt.
Der Kläger beantragt,
die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. Dezember 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf den Inhalt der angefochtenen Verfügung.
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C., F. und I.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der Bußgeldakte des Amtsgerichts Bocholt 99 Js 146/08 Owi Bezug genommen.
Aus den Entscheidungsgründen
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger wird durch die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. Dezember 2007 nicht rechtswidrig in seinen Rechten verletzt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die mit der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. Dezember 2007 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers beruht auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV. Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ist die Fahreignung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Betroffene gelegentlich Cannabis einnimmt und nicht in der Lage ist, zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Fahrzeugs zu trennen. Diese Voraussetzungen liegen in der Person des Klägers vor.
Der Kläger nimmt gelegentlich Cannabis ein, weil er das Betäubungsmittel nicht nur einmal, sondern in mindestens zwei Fällen konsumiert hat. Bei einer Beschuldigtenvernehmung im Jahre 2005 hat der Kläger eingeräumt, Marihuana erwoben und konsumiert zu haben. Des weiteren hat er am Abend des 14. September 2007 Cannabis eingenommen. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten von Prof. Dr. Q. vom 22. Oktober 2007 über die chemisch-toxikologische Untersuchung der vom Kläger abgegebenen Blutprobe stand er zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter akuter Cannabiseinwirkung mit einem THC-Wert von 2,1 ng/ml sowie einem THC-COOH-Wert von 22,0 ng/ml. Die Tatsache, dass zwischen den beiden Cannabiseinnahmen ein Zeitraum von fast drei Jahren liegt, steht der Annahme eines gelegentlichen Cannabiskonsums nicht entgegen. Vielmehr deutet der Umstand, dass der Kläger eigens in die Niederlande gereist ist, um sich dort Cannabis zu beschaffen, auf einen Konsum hin, der nicht nur einmalig erfolgt ist.
Darüber hinaus ist der Kläger nicht in der Lage, zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen. Nach der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger am 14. September 2007 in den Niederlanden Cannabis konsumiert hat und anschließend als Führer eines Kraftfahrzeuges mit seinen Freunden, den Zeugen F. und I., nach S. zurückgefahren ist. Der Zeuge C. hat glaubhaft bekundet, er habe in seiner Eigenschaft als Polizeibeamter den Kläger sowie seine beiden Freude am 14. September 2007 in ihrem PKW auf einem Parkplatz in S. angetroffen und sowohl der Kläger als auch der Zeuge F. hätten ihm gegenüber eingeräumt, dass der Kläger vor Fahrtantritt in den Niederlanden Cannabis konsumiert habe. Diese Aussage deckt sich inhaltlich vollständig sowohl mit der von dem Zeugen C. gefertigten Verkehrsordnungswidrigkeitenanzeige vom 15. September 2007, in der die Einlassung des Klägers, er habe vor der Fahrt mit seinen beiden Kollegen einen Joint geraucht, wiedergeben ist, als auch mit der schriftlichen Äußerung des Polizeioberkommissars C. vom 30. Januar 2008. Der Zeuge konnte in der mündlichen Verhandlung auch glaubhaft ausschließen, dass der Kläger die Frage nach einem Cannabiskonsum vor Fahrtantritt falsch verstanden haben könnte.
Demgegenüber erweisen sich die Angaben des Klägers sowie die Aussagen der Zeugen F. und I., der Kläger habe vor Fahrtantritt in den Niederlanden kein Cannabis konsumiert und weder der Kläger noch der Zeuge F. hätten gegenüber der Polizei einen Cannabiskonsum des Klägers in den Niederlanden eingeräumt, als unglaubhaft. Während sich der Kläger an das Geschehen am Abend des 14. September 2007 fast vollständig erinnern konnte und in der Lage war, die Abläufe genau wiederzugeben, zeigte er bei der Frage, welche Angaben er gegenüber dem Polizeibeamten gemacht habe, ein unsicheres und ausweichendes Antwortverhalten. Er gab an, er wisse nicht mehr, was er genau gesagt habe. Vielleicht habe der Polizeibeamter es falsch verstanden und gemeint, er hätte gesagt, auch in Holland geraucht zu haben. Diese Einlassung kann dem Kläger nicht abgenommen werden. Wenn er den Cannabiskonsum in den Niederlanden vor Fahrtantritt gegenüber der Polizei in keiner Weise eingeräumt hätte, könnte er sich daran – wie auch an das übrige Geschehen an dem Abend – genau erinnern. Auch der Zeuge F. wirkte auf die Frage, was er gegenüber der Polizei angegeben habe, im Gegensatz zu seinem sonstigen Aussageverhalten unsicher und erklärte, er wisse nicht mehr genau, was er gesagt habe. Seine Aussage, es könne sein, er habe gegenüber der Polizei gesagt, dass sie zusammen geraucht hätten, er habe aber – was den Kläger angehe – nur Zigaretten gemeint, erweist sich als völlig lebensfremd und schon deshalb unglaubhaft. Es war dem Zeugen F. völlig klar, dass die Polizei nach einem Cannabiskonsum des Klägers gefragt hat. Auch der Zeuge I. konnte nicht glaubhaft bekunden, dass der Kläger sowie Herr F. gegenüber der Polizei einen Cannabiskonsum des Klägers in den Niederlanden nicht eingeräumt hätten. Auch er berief sich darauf, insoweit keine genauen Angaben machen zu können. Das ausweichende Aussageverhalten des Klägers sowie der Zeugen F. und I. belegt, dass sie die wahren Umstände nicht offenbaren wollten und die Aussage des Zeugen C., sowohl der Kläger als auch Herr F. hätten ihm gegenüber den Cannabiskonsum des Klägers vor der Fahrt eingeräumt, den Tatsachen entspricht. Haben der Kläger sowie die Zeugen F. und I. insoweit unrichtige Angaben gemacht, sind ihre Behauptungen, der Kläger habe in den Niederlanden keine Betäubungsmittel konsumiert, ebenfalls unglaubhaft. Die Angaben des Klägers und des Herrn F. gegenüber der Polizei lassen nur den Schluss zu, dass der eingeräumte Cannabiskonsum des Klägers in den Niederlanden tatsächlich stattgefunden hat.
Indem der Kläger in den Niederlanden Cannabis konsumiert hat und anschießend als Führer eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilgenommen hat, hat er gezeigt, dass er nicht in der Lage ist, zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeuges zu trennen. Das gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass nicht genau festgestellt werden konnte, wie hoch der Wert des Cannabiswirkstoffs THC im Blut des Klägers zum Fahrtzeitpunkt war. In dem rechtsmedizinischen Gutachten über die Untersuchung der vom Kläger abgegebenen Blutprobe wurde ein THC-Wert von 2,1 ng/ml festgestellt. Auch wenn zum Zeitpunkt der Straßenverkehrsteilnahme eine geringere THC-Konzentration im Blut des Klägers bestanden hat – weil der Kläger nach Beendigung der Fahrt und vor Entnahme der Blutprobe erneut Cannabis konsumiert hat -, kann das Trennungsvermögen nicht bejaht werden. Denn für die Frage, ob jemand in der Lage ist, zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeuges und dem Konsum von Cannabis zu trennen, kommt es auf die Höhe der festgestellten THC-Konzentration im Blut nicht entscheidend an. Das Erreichen oder Überschreiten bestimmter Grenzwerte allein ermöglicht nur in beschränktem Maße Aussagen über die konkrete Fahrtauglichkeit, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2007 – 16 B 907/07 -, Blutalkohol 44, 336, mit weiteren Nachweisen.
Es kommt auch nicht darauf an, dass beim Kläger während der Teilnahme am Straßenverkehr keine drogenbedingten Auffälligkeiten und Ausfallerscheinungen nachgewiesen werden konnten, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2007, a.a.O: Fehlendes Trennungsvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen ist unabhängig von der beim Fahrerlaubnisinhaber ermittelten THC-Konzentration jedenfalls dann zu bejahen, wenn in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges drogenbedingte Auffälligkeiten oder Ausfallerscheinungen festgestellt werden, die einen Bezug zur aktuellen Fahrtüchtigkeit aufweisen.
Das fehlende Trennungsvermögen resultiert im vorliegenden Fall bereits daraus, dass der Kläger sich zusammen mit seinen beiden Freunden eine Cannabiszigarette geteilt hat, sich kurze Zeit später an das Steuer eines Kraftfahrzeugs gesetzt hat und eine nicht ganz unerhebliche Strecke – von den Niederlanden bis nach S. – zurückgelegt hat. Die Frage, ob ein bestimmter THC-Wert im Blut erreicht ist oder drogenbedingte Ausfallerscheinung feststellbar sind, spielt dann eine Rolle, wenn der Betäubungsmittelkonsum längere Zeit zurückliegt und der Betroffene davon ausgehen konnte, der Drogenkonsum beeinträchtige das Fahrvermögen nicht mehr. Wenn aber jemand – so wie der Kläger – kurze Zeit nach dem Konsum von Cannabis als Führer eines Kraftfahrzeugs am Straßenverkehr teilnimmt, kann er nicht auf seine Fahrtauglichkeit vertrauen, da die Wirkung des Cannabiskonsum weit schwieriger einzuschätzen ist als insbesondere die Wirkung von Alkohol. Er kann nicht sicher ausschließen, dass eine drogenbedingte Fahruntauglichkeit bereits erreicht ist und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Wer in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit einem Cannabiskonsum ein Kraftfahrzeug führt, zeigt nicht das Verantwortungsbewusstsein, das erforderlich ist, um zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und dem Führen eines Kraftfahrzeuges hinreichend sicher trennen zu können.
Die Aufforderung, den Führerschein bei dem Straßenverkehrsamt des Beklagten abzugeben, folgt aus § 47 Abs. 1 FeV. Die Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwangs beruht auf den einschlägigen Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.(…)