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VG Gelsenkirchen – Urteil vom 22.01.08

Zum Inhalt der Entscheidung: Zu der Frage, inwieweit Fahrerlaubnisbhörden befugt sind, dem Inhaber einer in einem anderen EU-Mitgliedsstat ausgestellten Fahrerlaubnis das Recht abzuerkennen, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

 

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

Beschluss vom 22.01.2008

7 L 27/08

 

 

(…)

Gründe:

Der sinngemäß gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 146/08 des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 10. Dezember 2007 wiederherzustellen, soweit darin dem Antragsteller das Recht aberkannt worden ist, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, und die Vorlage des Führerscheins verfügt worden ist, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Es spricht bei der gebotenen summarischen Prüfung bereits vieles dafür, dass die angefochtene Ordnungsverfügung rechtmäßig ist. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf die Gründe der Verfügung des Antragsgegners, denen die Kammer folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Zur Vereinbarkeit der hier ausgesprochenen Aberkennung des Rechts, von einer EU-ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, hat die Kammer mit Beschluss vom 2. Juni 2006 – 7 L 621/06 – ergänzend Folgendes ausgeführt:

„Es spricht im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – C-476/01 – (Fall Kapper), NJW 2004, 1725 ff; EuGH, Beschluss vom 6. April 2006 – C-227/05 – (Fall Halbritter), (…)) vieles dafür, dass die Entscheidung des Antragsgegners auch europarechtskonform ist. Ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG, demzufolge die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden, ist nicht ersichtlich. Denn die Fahrerlaubnisentziehung, die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG und § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Wirkung einer Aberkennung des Rechts hat, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, fußt auf der grundsätzlichen Anerkennung des tschechischen Führerscheins und greift in das Recht, damit in den übrigen EU-Staaten uneingeschränkt und in anderen Ländern nach internationalem und deren nationalem Recht Kraftfahrzeuge führen zu dürfen, gerade nicht ein. Darüber hinaus spricht nach Ansicht der Kammer vieles dafür, dass auch kein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie vorliegt, die es den Mitgliedstaaten ausdrücklich erlauben, in ihrem Hoheitsgebiet ihre nationalen Vorschriften über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Der Europäische Gerichtshof hat betont, dass diese Norm als Ausnahmevorschrift restriktiv auszulegen sei und dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf sie berufen kann, um einer Person unbegrenzt die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften zu versagen, (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004, a.a.O., Rdnrn. 76, 77.)

Weiterreichendes hat der EuGH auch nicht in seiner jüngsten Entscheidung „Halbritter“ ausgesprochen. Dies zeigt sich bereits an der Wahl des Beschlussverfahrens nach Art. 104 § 3 Abs. 1 der EuGH- Verfahrensordnung, welches gewählt wird, wenn die Antwort auf die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der bisherigen Rechtsprechung (hier der Entscheidung „Kapper“) abgeleitet werden kann. Eine hinreichende Vorkehrung gegen eine zeitlich unbegrenzte Verweigerung der Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis bietet aber schon § 28 Abs. 5 FeV, dessen Rechtmäßigkeit der EuGH (a.a.O., Rdnr. 74) nicht in Abrede gestellt hat.

Zu eng ist dagegen die Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie dahingehend, dass nach Ablauf einer strafrechtlich gem. § 69 a StGB angeordneten Sperrfrist generell die Befugnis der deutschen Behörden ausgeschlossen sei, wegen der aus dem früheren Verstoß resultierenden Fahreignungszweifel aus Gründen der Gefahrprävention die nachfolgend erlangte ausländische Fahrerlaubnis zu entziehen, (so aber OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15. August 2005 – 7 B 11021/05.OVG -, NJW 2005, 3228, m.w.N.)

Eine solche generalisierende Aussage hat der EuGH nicht getroffen und sie lässt sich auch nicht auf die vorliegende Fallkonstellation übertragen.“

Diese Maßstäbe, die durch den Beschluss des EuGH vom 28. September 2006 – C- 340/05 – (Fall Kremer) nicht in Frage gestellt werden, (so auch OVG NRW, Beschluss vom 23. Februar 2007 – 16 B 178/07 -, bestätigt durch Beschluss vom 6. März 2007 -°16°B 236/07°-; anderer Ansicht hinsichtlich Ergebnis und Begründung: OVG Hamburg, Beschluss vom 22. November 2006 – 3 Bs 257/06 -, und OVG Schleswig, Beschluss vom 19. Oktober 2006 – 4 MB 80/06 -) gelten auch im vorliegenden Fall.

Im Gegensatz zu den vom EuGH zu entscheidenden Sachverhalten bestehen nämlich beim Antragsteller nach wie vor ganz erhebliche Bedenken gegen seine Kraftfahreignung, die auf der verkehrsrechtlich relevanten Vorgeschichte beruhen. Schon in den 90-iger Jahren ist er wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis, Trunkenheit am Steuer mit Verursachung eines Unfalls und wegen Unfallflucht bestraft und ihm ist die Fahrerlaubnis mit dreijähriger Sperrfrist entzogen worden. Im Wiedererteilungsverfahren legte er 1997 das von ihm geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vor, so dass die Fahrerlaubnis versagt wurde. Daraufhin wurde er 2001 noch einmal wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis bestraft. Um die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis, für die nach deutschem Recht gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 4 und 5 FeV eine medizinisch-psychologische Begutachtung erforderlich gewesen wäre, hat er sich danach nicht mehr bemüht. Stattdessen erwarb er am 20. April 2005 in Tschechien die Fahrerlaubnis, obwohl er dort keinen Wohnsitz hatte. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass ihm bewusst war, dass ihm nach deutschem Recht keine Fahrerlaubnis wiedererteilt werden konnte.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner den Antragsteller aufgefordert hat, ein medizinisch- psychologisches Gutachten beizubringen, und nach der Weigerung des Antragstellers gemäß § 11 Abs. 8 FeV von seiner Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen ist.

Unabhängig von allem Vorstehenden geht die Kammer in Übereinstimmung mit der oben zitierten Rechtsprechung des OVG NRW davon aus, dass auch eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung eindeutig zu Lasten des Antragstellers ausfällt, weil der vorliegende Fall alle wesentlichen Merkmale des sog. Führerscheintourismus aufweist und dem Betroffenen daher die Berufung auf europarechtliche Freiheitsverbürgungen versagt ist. Dass der Antragsteller Gemeinschaftsrecht in missbräuchlicher oder betrügerischer Absicht genutzt hat, um sich der Anwendung nationalen Rechts zu entziehen, ergibt sich vor allem aus dem Schreiben der Firma vom 9. November 2004, bei der er den tschechischen Führerschein erworben hat (Bl. 90 f der Verwaltungsvorgänge). Darin wurde ein „Voll-Service“ ohne Aufenthalt in Tschechien, ohne Prüfung und insbesondere ohne medizinisch-psychologische Untersuchung angeboten. dass dies nicht rechtens sein konnte, hätte sich dem Antragsteller aufdrängen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der Praxis bei Streitigkeiten um die Fahrerlaubnis der Klasse B.