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VG Gelsenkirchen – Beschluss vom 28.10.15

Zum Inhalt der Entscheidung: Ermahnungen und Verwarnungen gemäß § 4 StVG, die noch vor der Umstellung des Punktesystems erfolgt sind, gelten auch nach neuem Recht, d.h. sie müssen nicht wiederholt werden.

 

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

Beschluss vom 28.10.2015

7 L 2115/15

Aus den Entscheidungsgründen:

 

Der sinngemäß gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 4470/15 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 10. September 2015 anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑ zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Wegen der Begründung verweist die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in der angegriffenen Ordnungsverfügung, denen sie im Wesentlichen folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Mit Rücksicht auf das Antrags- und Klagevorbringen wird ergänzend Folgendes ausgeführt:

Gemäß § 4 Abs. 9 des Straßenverkehrsgesetzes in der ab dem 5. Dezember 2014 geltenden Fassung (StVG n. F.) hat eine Anfechtungsklage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG n. F. keine aufschiebende Wirkung. Die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kommt nur dann in Betracht, wenn die Anordnung der Behörde offensichtlich rechtswidrig wäre oder wenn aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung anzuerkennen wäre. Dies ist nicht der Fall.

Bedenken gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 10. September 2015 sind nicht ersichtlich. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG n. F. Nach dieser Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich 8 oder mehr Punkte nach dem Punktesystem ergeben. Dann gilt der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich der Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung, hier also der 10. September 2015.

Die Verfügung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Sollte dem Antragsteller, wie er mit Klage- und Antragsschrift geltend macht, das Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 24. Juli 2015 nicht zugegangen sein, so wäre ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt, weil der Antragsteller mit Klage und Antrag auf Regelung der Vollziehung die Gelegenheit zur Stellungnahme wahrgenommen hat und die Anhörung bis zum Abschluss des Verfahrens erster Instanz nachholbar ist (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 der Vorschrift).

Die Fahrerlaubnisentziehung ist auch in der Sache gerechtfertigt. Die Bewertung der vom Antragsteller begangenen Ordnungswidrigkeiten nach dem Punktesystem begegnet keinen Bedenken. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG n.F. ist die Behörde an rechtskräftige Entscheidungen über Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gebunden. Eine Überprüfung, ob diese Entscheidungen rechtmäßig sind, was der Antragsteller infrage stellt, findet in diesem Verfahren nicht statt. Sämtliche Eintragungen sind rechtskräftig. Die von der Antragsgegnerin verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis war daher gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG n. F. zwingend. Ein Ermessen steht der Antragsgegnerin nicht zu.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend von einem Punktestand von 10 Punkten ausgegangen. Das Stufenverfahren nach § 4 Abs. 3 StVG a. F. wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Im Einzelnen:

Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller mit Schreiben vom 29. Januar 2013 bei einem damaligen Punktestand von 13 Punkten gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG a. F. verwarnt. In der Zeit vom 24. Januar bis zum 8. Februar 2014 hat der Antragsteller auf Anordnung der Antragsgegnerin hin an einem Aufbauseminar teilgenommen. Zum damaligen Zeitpunkt waren 16 Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen. Gleichzeitig hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass bei einem Punktestand von 18 Punkten die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Dieser am 1. Mai 2014 geltende Punktestand von 17 Punkten war in 7 Punkte umzurechnen.

Obgleich der Antragsteller unmittelbar nach Abschluss des Aufbauseminars und noch vor Inkrafttreten der Neuregelung des StVG bereits eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung am 3. März 2014 begangen hat, war diese bei der Umrechnung in das neue Punktesystem noch nicht zu berücksichtigen, da die Eintragung ins Verkehrszentralregister erst nach Rechtskraft der Entscheidung über diese Ordnungswidrigkeit, die am 8. Mai 2014 eintrat, erfolgte (§ 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG). Mit dieser Ordnungswidrigkeit war ein Punktestand von 8 Punkten nach neuem Punktesystem erreicht. Durch die Ordnungswidrigkeiten vom 11. Februar 2015 und 14. März 2015 ist der Punktestand auf 10 gestiegen, so dass die Antragsgegnerin, nachdem ihr dies bekannt geworden war, verpflichtet war, dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne nochmals nach Inkrafttreten des neuen Rechts die Verwarnungen zu wiederholen. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des neuen Fahrerlaubnisregisters die Absicht verfolgt hat, dass die Fahrerlaubnisbehörden in jedem Fall die bereits erteilten Verwarnungen nach dem alten Recht unter Bezugnahme auf die neuen Vorschriften wiederholen,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2015 -16 B 205/15-, www.nrwe.de; VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 26. Januar 2015 -14 L 3058/14- und vom 19. Mai 2015 -14 L 1351/15-, juris.

Die mit der Entziehung der Fahrerlaubnis verbundenen Schwierigkeiten und beruflichen Härten hat der Antragsteller hinzunehmen, weil gegenüber seinen Belangen das Interesse am Schutz von Leib, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer eindeutig überwiegt. Gerade die berufliche Nutzung der Fahrerlaubnis hat zu den zahlreichen, gefährlichen Verkehrszuwiderhandlungen geführt.

Angesichts dessen ist auch die Zwangsmittelandrohung nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes ‑ GKG ‑ und entspricht der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren, vgl. Beschluss vom 4. Mai 2009 ‑ 16 E 550/09 ‑, juris.