Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Um die Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung festzustellen genügt es nicht, dass der Fahrerlaubnisinhaber die Droge Khat konsumiert hat. Zwar sind die dem Konsum von Khat zugeschriebenen Wirkstoffe Cathinon nach der Anlage I zu § 1 BtmG ein nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel und Cathin nach der Anlage III zu § 1 BtmG ein verkehrsfähiges Betäubungsmittel. Das allein lässt aber noch nicht die Regelannahme einer Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zu.
2. Ausreichende Leistungsfähigkeit für eine Fahrerlaubnis der früheren Klasse 3 ist in der Regel gegeben, wenn bei den psychophysichen Tests in der MPU Prozentränge von 16 und mehr erreicht werden.
3. Bedenken gegen die Kraftfahreignung können sich auch aus widersprüchlichen Angaben des Fahrerlaubnisinhabers zu seinem Drogenkonsum ergeben.
Oberverwaltungsgericht Münster
Beschluss vom 31.10.08
Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage – 10 K 1275/08 – gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 21. April 2008 wiederherzustellen, ist zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für diesen Antrag ist nicht deshalb entfallen, weil die Klageschrift vom 20. Mai 2008 beim Verwaltungsgericht erst am 24. Mai 2008 und damit einen Tag nach Ende der Klagefrist eingegangen ist. Dennoch wird sich die Ordnungsverfügung – anders als bislang vom Verwaltungsgericht angenommen – nicht als bestandskräftig erweisen. Dem Antragsteller dürfte Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren sein. Es spricht derzeit Überwiegendes dafür, dass er ohne Verschulden gehindert war, die Klagefrist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO). Zur weiteren Begründung wird auf den Senatsbeschluss vom heutigen Tag in dem Beschwerdeverfahren – 16 E 838/08 – Bezug genommen.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Dabei prüft der Senat das gesamte Vorbringen des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren, nachdem dieser mit seinem Beschwerdevorbringen den auf die Prüfung der Zulässigkeit seines Antrags beschränkten Beschluss des Verwaltungsgerichts erfolgreich in Frage gestellt hat. (Vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab im Beschwerdeverfahren OVG NRW, Beschlüsse vom 18. März 2002 – 7 B 315/02 -, NVwZ 2002, 1390, und vom 8. Mai 2002 – 1 B 21/02 -, NVwZ-RR 2003, 50.)
Auch unter Berücksichtigung seines Sach- und Rechtsvorbringens im erstinstanzlichen Verfahren fällt aber die Abwägung des privaten Interesses des Antragstellers daran, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens im öffentlichen Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung zulasten des Antragstellers aus.
Bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen und möglichen summarischen Prüfung lässt sich allerdings nicht feststellen, dass die angefochtene Ordnungsverfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach hat die zuständige Behörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV in der Regel, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG) – ausgenommen Cannabis – konsumiert. Um die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung festzustellen, genügt es nicht, dass der Antragsteller Khat (auch Kath, Kat, Qat, Qad, Gat, Chat oder Miraa) konsumiert hat. Zwar sind die dem Konsum von Khat zugeschriebenen Wirkstoffe Cathinon nach der Anlage I zu § 1 BtmG ein nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel und Cathin nach der Anlage III zu § 1 BtmG ein verkehrsfähiges Betäubungsmittel. Das allein lässt aber noch nicht die Regelannahme zu, dass sich der Antragsteller als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. So ist nicht hinreichend geklärt, welche Auswirkungen der Konsum von Khat bzw. die Einnahme der Stoffe Cathinon und Cathin auf die Kraftfahreignung haben. Es fehlen Feststellungen dazu, ob und in welchen Konzentrationen in nach Deutschland eingeführtem Khat im allgemeinen und in den beim Antragsteller sichergestellten Pflanzenteilen im besonderen die Wirkstoffe Cathinon und Cathin enthalten sind. In diesem Zusammenhang sind unter Berücksichtigung der in den Strafverfahren gegen den Antragsteller getroffenen Feststellungen, seiner Angaben im vorliegenden Verfahren und seiner Einlassungen im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung auch noch die Dauer und der Umfang seines Khatkonsums aufzuklären. Von Bedeutung ist ferner, ob und gegebenenfalls seit wann der Antragsteller kein Khat mehr konsumiert. Auch die Anforderungen an den Nachweis der wiederhergestellten Kraftfahreignung sind noch nicht hinreichend bestimmt. Die aufgeworfenen Fragen sind – gegebenenfalls unter Einholung sachverständiger Äußerungen – im Klageverfahren zu klären. (Vgl. zu den rechtlichen Fragen Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15. März 2001 – 12 MA 1020/01 -; VG Stuttgart, Beschluss vom 17. September 2003 – 3 K 3079/03 -, juris; LG Freiburg, Urteil vom 2. August 2006, – 7 Ns 550 Js 179/05 – AK 38/06 u.a. -, Blutalkohol 44 (2007), 183; Geiger, DAR 2004, 690; Petersen, ZfSch 2002, 56; zu den tatsächlichen Fragen Gutachten des Bundeskriminalamts an den Bundesgerichtshof vom 2. Juli 2004 in dem gegen den Antragsteller geführten Strafverfahren; Kauert, Gutachten vom 24. Mai 2004 in dem gegen den Antragsteller geführten Strafverfahren; Schramm, Untersuchung zum Einfluss von Khat auf die Fahrtüchtigkeit – Probandenstudie und Interpretation authentischer Fälle; Toennes/Kaunert, Forensic Science International 140 (2004), S. 85.)
Die Ordnungsverfügung des Antragstellers ist aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig. Ausgehend von dem zugestandenen Khatkonsum des Antragstellers ergeben sich unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände des Einzelfalls jedenfalls erhebliche Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers.
Diese Zweifel beruhen zunächst auf dem medizinisch-psychologischen Gutachten vom 17. März 2008. Dieses Gutachten kann nicht außer Betracht bleiben, auch wenn es bei der Begutachtung offenbar zu Verständigungsschwierigkeiten mit dem Antragsteller gekommen ist. Auf Verständigungsschwierigkeiten deutet die Empfehlung des Gutachters, für eine eventuelle weitere Begutachtung einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Das Gutachten ist aber unter Berücksichtigung der Verständigungsschwierigkeiten erstellt worden. Außerdem enthält es Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Leistungsfähigkeit des Antragstellers, auf deren Gewinnung sich die Verständigungsschwierigkeiten nicht ausgewirkt haben dürften. Anhaltspunkte, dass der Gutachter in wesentlichen Punkten von einer falschen Tatsachengrundlage ausgegangen sein könnte, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Gutachter unterstellt dem Antragsteller auch nicht, in der Vergangenheit ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Betäubungsmitteln geführt zu haben. Soweit er formuliert hat, es sei zu erwarten, dass „der Untersuchte (auch) zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einwirkung von Betäubungsmitteln/Arzneimitteln führen wird“, greift er lediglich die vom Antragsgegner so formulierte Frage auf.
Das Gutachten weist auf seine Kraftfahreignung unmittelbar betreffende Leistungsdefizite des Antragstellers hin. Diese Ergebnisse legen nahe, dass der Antragsteller bereits bei einer geringfügigen weiteren Herabsetzung seiner Leistungsfähigkeit – etwa aufgrund des hier in Rede stehenden Khatkonsums – nicht mehr in der Lage ist, gefahrlos am Straßenverkehr teilzunehmen. Die bei der medizinisch-psychologischen Begutachtung des Antragstellers durchgeführten psychophysischen Tests haben insgesamt grenzwertige Ergebnisse in Bezug auf seine Leistungsfähigkeit ergeben. Diese liegen im unteren Bereich des zur Bejahung der Kraftfahreignung Erforderlichen. Ausreichende Leistungsfähigkeit für eine Fahrerlaubnis der früheren Klasse 3, über die der Antragsteller verfügte, ist in der Regel gegeben, wenn bei diesen Tests Prozentränge von 16 und mehr erreicht werden. Die vom Antragsteller erzielten Ergebnisse lagen bei dem Determinationstest zwischen 16 und 26. Bei dem zur Überprüfung der Schnelligkeit der optischen Wahrnehmungskapazität und der Reproduzierbarkeit von anschaulichen Gedächtnisinhalten dienenden Tachistoskoptest erzielte der Antragsteller lediglich einen Prozentrang von 4.
Angesichts der festgestellten Defizite bei der Leistungsfähigkeit des Antragstellers kann auch seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen Bedeutung zukommen. So leidet er offensichtlich unter Bluthochdruck. Zur Behandlung hat er sich bereits einem dreimonatigen stationären Krankenhausaufenthalt unterzogen. Derzeit nimmt er zwei zur Behandlung von Bluthochdruck bestimmte Medikamente ein. (Vgl. zur Fahreignungsrelevanz von Bluthochdruck Nr. 4.2 der Anlage 4 zur FeV.)
Die erheblichen Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers beruhen ferner auf seinen Einlassungen bei der Begutachtung sowie seinen weiteren Ausführungen im Verwaltungs- wie im Gerichtsverfahren. Danach ist derzeit nicht erkennbar, dass er sich mit seinem früheren Khatkonsum so kritisch auseinandergesetzt hat, dass zukünftiger weiterer Drogenkonsum mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Es erscheint vielmehr möglich, dass der Antragsteller aufgrund fehlenden Problembewusstseins zu einem durchgängig verantwortungsvollen Umgang mit berauschenden Mitteln noch nicht in der Lage ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Behauptung des Antragsteller zutrifft, seit Juli 2007 keine Drogen mehr konsumiert zu haben. Der Gutachter hat dies nicht bezweifelt. Die Bedenken gegen die Kraftfahreignung des Antragstellers ergeben sich vielmehr maßgeblich aus nach wie vor insgesamt widersprüchlichen Angaben zu seinem Khatkonsum. Während er im Rahmen des 2003 gegen ihn geführten Strafverfahrens erklärt hat, diese Droge seit seiner Jugend einzunehmen, hat er bei seiner medizinisch-psychologischen Begutachtung angegeben, sie erst 2003 bzw. nach seiner Einreise nach Deutschland erstmals konsumiert zu haben. Bei dieser Begutachtung hat der Antragsteller zudem behauptet, der letzte Konsum habe am 21. Juli 2007 stattgefunden. Im gerichtlichen Verfahren wird demgegenüber vorgetragen, der Antragsteller lebe seit Jahren drogenabstinent. Unterschiedlich sind auch die Angaben zur Häufigkeit seines Konsums. Während seine Einlassungen im Strafverfahren 2003 einen seinerzeit regelmäßigen Konsum nahe legen, hat er bei dem diagnostischen Gespräch im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung angegeben, nicht oft, manchmal nur zweimal im Jahr, konsumiert zu haben. Bei der medizinischen Untersuchung sprach er lediglich von zweimaligem Konsum im Jahr 2003 und einmaligem Konsum im Jahr 2007.
Lässt sich nach alledem weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung noch ihre offensichtliche Rechtswidrigkeit feststellen, kommt es für den Ausgang des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf die weitere, allgemeine Interessenabwägung an. Diese fällt zulasten des Antragstellers aus. Es besteht ein überragendes Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem hiermit verbundenen Schutz höchstrangiger Rechtsgüter. Angesichts der Gefahren, die von Personen ausgehen, die ein Kraftfahrzeug führen, obwohl sie unter dem Einfluss berauschender Mittel stehen, muss das private Interesse des betroffenen Kraftfahrzeugführers, vorläufig weiter am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu können, regelmäßig hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen. Der Senat kann wegen der erheblichen Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers seine (vorläufige) weitere Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr nicht verantworten. Umstände, die ein besonderes, über den Regelfall hinausgehendes Interesse des Antragstellers begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Dem Antragsteller steht es jedoch frei, unabhängig von oder in Ergänzung zu den im Hauptsacheverfahren erforderlichen Ermittlungen Umstände darzulegen, die die aufgezeigten erheblichen Zweifel an seiner Kraftfahreignung ausräumen. Voraussetzung hierfür dürfte zunächst eine schlüssige Darlegung seines bisherigen Khatkonsums sowie seiner Motive für eine Verhaltensänderung sein. Daneben kommen ein Nachweis der Drogenfreiheit durch für den Antragsteller unvorhersehbar anberaumte Drogenscreenings sowie die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung in Betracht. Jedenfalls nach Durchführung solcher Maßnahmen kann sich auch die Durchführung einer weiteren medizinisch-psychologischen Untersuchung unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers anbieten.