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OVG Bautzen – Beschluss vom 04.04.16

Zum Inhalt der Entscheidung: Bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis wegen gelegentlichem Cannabis-Konsum ist die Wiedererlangung der Fahreignung durch eine MPU nachzuweisen. Eine Drogenabstinenz allein reicht nicht aus.

Oberverwaltungsgericht Bautzen

Beschluss vom 04.04.2016

3 B 63/16

Aus den Gründen:

Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO beschränkt ist, ergeben nicht, dass es das Verwaltungsgericht zu Unrecht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Januar 2016 wiederherzustellen oder anzuordnen. Mit diesem Bescheid entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S (Nr. 1 des Bescheids), forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, den Führerschein binnen einer näher bestimmten Frist abzugeben (Nr. 2 sowie Nr. 4) und ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung Nr. 1 an (Nr. 3).

Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat die Ablehnung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO damit begründet, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nach summarischer Prüfung rechtmäßig sei. Der Bescheid sei dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nach den Regeln des Verwaltungszustellungsgesetzes ordnungsgemäß bekannt gegeben worden. Dass keine schriftliche Vollmacht vorgelegen habe, sei unschädlich, da für die Wirksamkeit der Zustellung die bloße Existenz einer wirksamen Vollmacht ausreiche. Der Antragsteller sei zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung i. S. d. § 11 Abs. 7 FeV fahrungeeignet. In seiner Person liege ein Mangel nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV i. V. m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 Fahrerlaubnis-​Verordnung (künftig: Anlage 4 FeV) vor, der seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließe. In diesem Fall müsse ihm die zuständige Verwaltungsbehörde gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entziehen. Der Antragsteller sei ungeeignet, da er gelegentlich Cannabis konsumiere und nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen von Kraftfahrzeugen trenne. Der bei der Blutprobe des Antragstellers am 29. Mai 2015 gemessene Wert von THC in Höhe von 2,1 ng/ml belege eindeutig einen Verstoß gegen das Trennungsgebot bei der durch die Polizeikontrolle beendeten Autofahrt. Die Höhe der festgestellten THC-​Konzentration liege nämlich über dem Wert von 1 ng/ml, der nach neuester höchstrichterlicher Rechtsprechung noch keine Risikoerhöhung für den Straßenverkehr zur Folge habe. Wegen des Abbauverhaltens von THC habe der Antragsteller zum Zeitpunkt seines Anhaltens durch die Polizei in einem stärkeren Grad unter der akuten Wirkung von Cannabis stehen müssen. Ob er sich der Beeinträchtigung seiner Fahrtauglichkeit bewusst gewesen sei, sei genauso ohne Belang wie, ob er überhaupt gemerkt habe, dass er unter der Wirkung von THC gefahren sei. Bei ihm liege auch gelegentlicher Cannabiskonsum, d. h. mindestens zweimaliger selbständiger Konsum vor, da der bei der Blutentnahme festgestellten Wert von THC-​Carbonsäure in Höhe von 100,8 ng/ml für einen gelegentlichen Konsum spreche. Dies folge auch daraus, dass er bei der Begutachtung durch den DEKRA e. V. Dresden am 28. Oktober 2015 den mehrfachen Konsum seit Januar 2015 eingeräumt habe. Seine Behauptung, er habe die in seinem Blut festgestellten Substanzen mindestens 18 Stunden vor Fahrantritt zu sich genommen, müsse aufgrund der Blutwerte falsch sein. Denn die noch bei der Blutentnahme vorhandene Konzentration von THC und THC-​Carbonsäure sei bei dem von ihm angegebenen Konsumverhalten nicht erklärbar. In diesem Fall hätten die festgestellten Blutwerte bei dem medizinisch nachweisbaren Abbauprozess dieser Stoffe im Blut nämlich weit niedriger sein müssen. Besondere persönliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die den Eignungsmangel hätten kompensieren können, seien nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht. Er habe bis zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung seine Fahreignung auch nicht wiedererlangt, da die von ihm beigebrachten vier Drogenscreenings allenfalls einen Abstinenzzeitraum oder eine Konsumpause von etwa vier Monaten belegen würden. Auch fehle es an der Beibringung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV. Die Nebenentscheidungen seien daher ebenfalls rechtmäßig. Gesichtspunkte, die es gebieten würden, dem Widerspruch des Antragstellers im Wege einer isolierten Interessenabwägung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, seien nicht erkennbar. Solange Eignungszweifel bestünden, sei der Sofortvollzug zum Schutz von Leib und Leben aufrechtzuerhalten. Auf die vom Antragsteller angeführten beruflichen Gründe komme es daher nicht an.

Dem hält der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung mit Schriftsatz vom 19. Februar 2016 entgegen, dass keine Zustellbevollmächtigung für den in Streit stehenden Entziehungsbescheid bestanden habe. Daher sei der Bescheid nicht wirksam zugegangen. Er habe keine anderen Rauschmittel eingenommen und sei davon ausgegangen, dass keinerlei Beeinträchtigungen vorlägen. Hätte er solche Ausfallerscheinungen gehabt, wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gefahren. Daher habe er zwischen Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr getrennt. Er werde zu Unrecht als gelegentlicher Konsument mit demjenigen gleichgestellt, der abhängig sei. Er habe am Verfahren mitgewirkt. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei unverhältnismäßig, weil er „clean“ sei, im zurückliegenden Zeitraum von über acht Monaten sich beanstandungsfrei verhalten habe und keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet habe. Er sei kein gelegentlicher Konsument von Cannabis mehr.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen in Frage zu stellen.

Soweit der Antragsteller anführt, der Bescheid sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1, § 41 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwVfG durch Bekanntgabe an seinen Prozessbevollmächtigten wirksam geworden, ist darauf hinzuweisen, dass sein Prozessbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 10. März 2016 nunmehr eine Kopie der diesem vom Antragsteller am 15. Dezember 2015 erteilten Vollmacht vorgelegt hat. Unter Nr. 7 der dort aufgeführten Bestimmungen ermächtigt die Vollmacht auch zur Entgegennahme und Bewirkung von Zustellungen im außergerichtlichen Bereich. Damit ist geklärt, dass die Bekanntgabe des in Streit stehenden Entziehungsbescheids gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gegenüber vorgenommen werden konnte.

Auch treffen die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen im Hinblick auf die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu. Den ausführlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die gelegentliche Einnahme von Cannabis ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten. Dies gilt auch im Hinblick auf die detaillierten Feststellungen zur Aussagekraft der festgestellten Blutwerte und insbesondere auch zur Schilderung seines Konsumverhaltens seit Januar 2015 anlässlich seiner Begutachtung am 28. Oktober 2015. Sein Hinweis, er nehme angeblich seit dem Vorfall am 29. Mai 2015 kein Cannabis mehr zu sich, richtet sich allein gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Wiedererlangung seiner Eignung nach abgeschlossenem Konsum. Allerdings hat sich der Antragsteller nicht mit den diesbezüglichen Erläuterungen des Verwaltungsgerichts befasst, dass es für die Wiedererlangung der Fahreignung neben der nachgewiesenen Drogenabstinenz über eine gewisse Zeitdauer hinaus auch des Nachweises eines stabilen Verhaltens- und Einstellungswandels insbesondere auch durch die Beibringung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens bedarf (SächsOVG, Beschl. v. 28. Oktober 2015 – 3 B 289/15 -, juris Rn. 7 m. w. N.). Auf das Erfordernis einer ergänzenden Begutachtung zur Feststellung der Nachhaltigkeit des Drogenverzichts hat im Übrigen auch die Gutachterin in ihrem Gutachten vom 10. Dezember 2015 hingewiesen. Dass er bisher nicht wieder im Straßenverkehr auffällig geworden ist, kann auch auf die mangelnde Kontrolldichte im Straßenverkehr zurückgeführt werden und ist mithin kein Beleg für eine nachhaltige und dauerhafte Änderung des Konsumverhaltens. Daher reichen – anders als der Antragsteller meint – die von ihm bisher auf Anforderung der Antragsgegnerin eingereichten Drogenscreenings vom 24. Juli sowie 28. August 2015 nicht aus, um von einer Wiedererlangung seiner Fahreignung auszugehen.

Das Verwaltungsgericht hat sein Konsumverhalten auch nicht mit dem eines Drogenabhängigen gleichgestellt, sondern zutreffend danach differenziert, dass die bei Abhängigkeit vorliegende regelmäßige Einnahme von Cannabis gemäß 9.2.1 Anlage 4 FeV die Fahreignung grundsätzlich ausschließt, während die hier zu bejahende gelegentliche Einnahme dies nach Nr. 9.2.2 Anlage 4 FeV nur dann vermag, wenn der Konsument nicht zwischen dem Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennt. Dass letzteres hier der Fall war, hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die bei der Blutentnahme festgestellten Befunde unter Heranziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 23. Oktober 2014 – 3 C 3/13 -, juris Rn. 35 ff.) ohne weiteres bejahen können. Dabei hat das Gericht auch zutreffend darauf hingewiesen, dass es wegen der von ihm ausführlich beschriebenen Auswirkungen von Cannabis im Straßenverkehr nicht auf die persönliche Einschätzung der Fahreignung ankommt.

Schließlich ist der Antragsteller auch den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen nicht substanziiert entgegengetreten, dass bei fortbestehenden Fahreignungszweifeln die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung angesichts der erheblichen Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer selbst dann nicht zugunsten des Betroffenen ausgehen kann, wenn er aus hier nicht weiter dargelegten beruflichen Gründen auf seine Fahrerlaubnis angewiesen wäre (SächsOVG a. a. O. Rn. 8 m. w. N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 3 GKG und folgt der Streitwertsetzung des Verwaltungsgerichts im erstinstanzlichen Verfahren, gegen die keine Einwände erhoben wurden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).