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OLG Hamm – Beschluss vom 10.11.15

Zum Inhalt der Entscheidung: Bei einem Wiederholungstäter (Trunkenheitsfahrt) kann der gesetzlich vermutete Eignungsmangel nur ganz ausnahmsweise und sicherlich nicht allein durch die Bekundungen einer Therapeutin, die der Angeklagte privat zum Zwecke einer psychotherapeutischen Behandlung aufsucht, ausgeräumt werden. Vielmehr bedarf es der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung, § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV.

 

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom 10.11.2015

5 RVs 125/15

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Aus den Gründen:

I.

Das Amtsgericht – Strafrichterin – Essen hat den Angeklagten am 14. Januar 2015 wegen „fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und wegen Verkehrsunfallflucht in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Zugleich hat das Amtsgericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, dass ihm vor Ablauf von noch 18 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.

Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die X. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen „vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort“ zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt. Das Landgericht hat von einer Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) sowie einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§ 69 a StGB) abgesehen und sich zur Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB auf die Bekundungen einer Therapeutin des Angeklagten – der Zeugin Z – gestützt, die als Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig ist und bei der sich der Angeklagte seit dem 17. Februar 2015 in Behandlung befunden hat. Für den Zeitpunkt der Tatbegehung hat das Landgericht eine BAK in Höhe von mindestens 2,14 Promille bei dem Angeklagten angenommen.

Die Staatsanwaltschaft Essen hat gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt und diese mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Im Rahmen der Revisionsbegründung hat die Staatsanwaltschaft näher ausgeführt, die Strafkammer habe zu Unrecht von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen. Das Landgericht habe sich angesichts der Höhe der zum Tatzeitpunkt festgestellten BAK und des Umstandes, dass der Angeklagte Wiederholungstäter sei, nicht allein auf die Bekundungen der Zeugin Z stützen dürfen. Vielmehr habe die Strafkammer eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) des Angeklagten anordnen müssen, um verlässliche Feststellungen zur Eignung des Angeklagten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, treffen zu können. Jedenfalls habe das Landgericht versäumt, ein Fahrverbot nach § 44 Abs. 1 StGB anzuordnen.

Der Angeklagte hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft Essen – unter Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch – beigetreten und hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen.

II.

Die Revision ist zulässig und hat in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch und in diesem Umfang zur Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen.

1.

Die Entscheidung des Landgerichts, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB als widerlegt anzusehen und deshalb keine Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB anzuordnen, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Sie ist nicht tragfähig begründet worden.

§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB enthält eine Regelvermutung dafür, dass bei Begehung der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) Umstände in der Person des Angeklagten wirksam geworden sind, welche die Schlussfolgerung auf Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zulassen. Umstände, welche die Indizwirkung der vorgenannten Katalogtat widerlegen und daher zu einer Ausnahme von der Regelvermutung führen, sind positiv festzustellen. Die Entscheidung ist eingehend zu begründen. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 69 Rdnr. 22, 34).

Allerdings sind an eine Widerlegung der Regelvermutung nochmals gesteigerte Anforderungen zu stellen, sofern es sich um einen Wiederholungstäter handelt, gegen den bereits früher Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB verhängt worden sind. So ist es hier. Der Angeklagte war bereits durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 25. März 2014 – also gerade einmal 4 ½ Monate vor den im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Straftaten – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (durch Trunkenheit) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem hatte das Amtsgericht Bottrop die Fahrerlaubnis des Angeklagten entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch 3 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Fahrerlaubnis war dem Angeklagten hiernach am 25. Juni 2014 wieder erteilt worden. Angesichts der einschlägigen Vorbelastung des Angeklagten und der Tatsache, dass er die hier abgeurteilten Straftaten nur 6 Wochen nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis begangen hat, sind die Anforderungen an eine Widerlegung der Regelvermutung denkbar hoch. In einem solchen Fall kann der gesetzlich vermutete Eignungsmangel nur ganz ausnahmsweise und sicherlich nicht allein durch die Bekundungen einer Therapeutin (Heilpraktikerin), die der Angeklagte privat zum Zwecke einer psychotherapeutischen Behandlung aufsucht, ausgeräumt werden. Vielmehr bedarf es der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung, § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV; vgl. Fischer, a.a.O., § 69 Rdnr. 36), das sich eingehend und nach Maßgabe anerkannter Begutachtungsrichtlinien zur Eignung des Angeklagten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, verhält (s. auch OLG Köln, Beschluss vom 01. März 2013 – 1 RVs 36/13 –; LG Oldenburg, ZfSch 2002, 354, 355).

Die Notwendigkeit, ein solches medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, ergibt sich für den vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der Wertungen, die in den Regelungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) und c) FeV zum Ausdruck gebracht worden sind. Dort ist für das Verwaltungsverfahren ausdrücklich bestimmt, dass zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn – wie im Fall des Angeklagten – wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden oder ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die vorgenannte Vorschrift auch dem Strafrichter eine Leitlinie bietet, in welchen Fällen er bei beabsichtigter Abweichung von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gehalten ist, ein entsprechendes Gutachten einzuholen oder von dem Angeklagten beibringen zu lassen (so auch OLG Naumburg, ZfSch 2000, 554, 556).

2.

Soweit die Staatsanwaltschaft mit der Revision auch beanstandet, das Landgericht hätte jedenfalls ein Fahrverbot nach § 44 Abs. 1 StGB verhängen müssen, weist der Senat für die neue Verhandlung und Entscheidung auf Folgendes hin:

Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis schließen einander grundsätzlich aus, weil § 44 StGB voraussetzt, dass sich der Täter nicht als ungeeignet im Sinne der Maßregel des § 69 StGB erwiesen hat (vgl. Fischer, a.a.O., § 44 Rdnr. 3). Das Fahrverbot selbst ist Nebenstrafe. Es ist vorwiegend spezialpräventiv als repressive Warnungs- und Besinnungsstrafe gedacht und dient nicht – wie die Entziehung der Fahrerlaubnis – der präventiven Gefahrenabwehr.

Für die Anordnung des Fahrverbotes gelten die allgemeinen Strafzumessungsregeln nach § 46 StGB, namentlich das Erfordernis der Schuldangemessenheit. Als Nebenstrafe darf es zudem nur verhängt werden, wenn der mit ihm angestrebte spezialpräventive Zweck mit der Hauptstrafe allein nicht erreicht werden kann. Im Fall einer Geldstrafe als Hauptstrafe ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob nicht im Einzelfall eine Erhöhung der Geldstrafe ausreichend ist, um den Täter zu warnen.

Sollte im vorliegenden Fall aufgrund eines medizinisch-psychologischen Gutachtens die Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ausnahmsweise widerlegt und in diesem Zusammenhang zugleich eine (erfolgreiche) psychologische Nachschulung und/oder Durchführung einer Verkehrstherapie festgestellt werden, müssten diese Gesichtspunkte auch bei der Frage nach der Verhängung eines Fahrverbotes positiv berücksichtigt werden. Ein Absehen vom Fahrverbot bedürfte ungeachtet dessen ebenfalls einer sehr eingehenden Begründung, zumal der Angeklagte – wie bereits ausgeführt – als Wiederholungstäter anzusehen ist (vgl. hierzu OLG Frankfurt, Urteil vom 29. September 1976 – 2 Ss 501/76 –, BeckRS 1976, 01143).

Allein der Umstand, dass auf ein etwa zu verhängendes Fahrverbot von höchstens 3 Monaten die Dauer der bereits länger währenden vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis anzurechen wäre (§ 51 Abs. 5 StGB), das Fahrverbot also tatsächlich bereits erledigt sein würde, stünde einer Anordnung nicht entgegen. Denn das Fahrverbot wäre im Fall einer erneuten (namentlich einschlägigen) Verurteilung des Angeklagten eine geeignete Grundlage für Erwägungen zur Strafzumessung bzw. zur erneuten Anordnung von Maßregeln.

3.

Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Strafe und Maßregel (vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 101) bzw. gegebenenfalls zwischen Haupt- und Nebenstrafe (vgl. König, a.a.O., § 44 StGB Rdnr. 20 f.) kann auch die vom Landgericht verhängte Gesamtgeldstrafe keinen Bestand haben. Nach erneuter Verhandlung wird das Landgericht insgesamt neu über die Rechtsfolgen der abgeurteilten Straftaten zu befinden haben. Dies gilt auch für die Kosten der Revision.