Nach § 69 Strafgesetzbuch (StGB) muss das Gericht die Fahrerlaubnis entziehen, wenn der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Der Gesetzgeber hat in Absatz 2 der Vorschrift sogenannte Regeltatbestände festgelegt – Straftaten, bei deren Begehung die Ungeeignetheit in der Regel vermutet wird. Zu diesen zählen unter anderem:
Trotz dieser Regelwirkung kann im Einzelfall von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden – wenn besondere Umstände vorliegen, die die gesetzliche Vermutung der Ungeeignetheit widerlegen. Nachfolgend finden Sie eine Übersicht über ausgewählte Gerichtsentscheidungen, die dies veranschaulichen.
1. Trunkenheitsfahrt ohne Entziehung der Fahrerlaubnis
Bei einer Trunkenheitsfahrt mit mehr als 1,1 Promille liegt grundsätzlich ein Regeltatbestand nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor. Dennoch haben Gerichte in Einzelfällen von der Fahrerlaubnisentziehung abgesehen:
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LG Münster, Urteil vom 31.07.2024:
Trotz Trunkenheitsfahrt (1,92 Promille) und anschließender Unfallflucht mit erheblichem Fremdschaden (6.133,18 €) wurde keine Fahrerlaubnis entzogen, da der Angeklagte eine stationäre Therapie absolviert und Abstinenz nachgewiesen hatte. -
LG Düsseldorf, Urteil vom 28.03.2017:
Keine Entziehung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt, da der Angeklagte in der Zwischenzeit über 20 Monate beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hatte – ein starkes Indiz für wiedererlangte Eignung. -
AG Landstuhl, Beschluss vom 01.10.2014:
Ausnahme bei beruflicher Notwendigkeit eines LKW-Fahrers – hier wurde bei einer Trunkenheitsfahrt mit 1,1 Promille in der vorläufigen Entziehung auf eine Ausnahme erkannt. -
AG Verden, Beschluss vom 04.12.2013:
Eine Trunkenheitsfahrt auf einem Parkplatz über wenige Meter kann als atypischer Fall gewertet werden, der eine Ausnahme von der Regelwirkung erlaubt.
2. Unfallflucht ohne Fahrerlaubnisentziehung
Auch das unerlaubte Entfernen vom Unfallort mit bedeutendem Fremdschaden kann zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen (§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB). Doch auch hier erkennen Gerichte unter bestimmten Umständen Ausnahmen an:
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AG Bielefeld, Beschluss vom 09.10.2013:
Keine Entziehung der Fahrerlaubnis, da der Beschuldigte innerhalb von 1,5 Stunden freiwillig zur Polizei ging – Zeichen einer kurzfristigen Einsicht und Verantwortungsübernahme. -
LG Dortmund, Urteil vom 21.09.2012:
Keine Entziehung trotz 2.600 € Fremdschaden, weil der Angeklagte 57 Jahre alt, unvorbelastet und einsichtig war – die negative Prognose konnte widerlegt werden. -
LG Aurich, Beschluss vom 06.07.2012:
Der Unfall wurde 40 Minuten nach dem Verlassen der Unfallstelle bei der Polizei gemeldet. Aufgrund der zeitnahen Meldung wurde die Regelwirkung als durchbrochen angesehen.
Zwar sieht das Gesetz in § 69 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis als Regelfolge vor, doch kein Automatismus ist damit verbunden. Vielmehr ist stets eine Einzelfallprüfung erforderlich. In besonderen Situationen – etwa bei Einsicht, Therapie, langfristig beanstandungsfreiem Verhalten oder geringfügigem Fahrverhalten – kann von der Entziehung abgesehen werden.