Zum Inhalt der Entscheidung: Eine Fahrtenbuchauflage kann auch gegenüber einer GmbH erfolgen wenn deren Geschäftsführer sich auf ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht beruft.
Verwaltungsgericht Saarlouis
Beschluss vom 06.09.12
Aus den Gründen:
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 26.07.2012 gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung des Antragsgegners vom 29.06.2012, durch die der Antragstellerin das Führen eines Fahrtenbuches für das auf sie zugelassene Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen (…) oder ein entsprechendes Ersatzfahrzeug für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben wurde, ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 80 Abs. 5 i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Zunächst hat der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung in einer den Formerfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise damit begründet, dass das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs im Allgemeinen und dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer im Besonderen, das durch ein umfassendes, disziplinierendes straßenverkehrsrechtliches Sanktionsregularium abgesichert werde, das private Interesse der Antragstellerin, bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Verfügung kein Fahrtenbuch führen zu müssen, überwiege. Insoweit muss nämlich gesehen werden, dass sich im Bereich des Verkehrsrechts in Fällen der vorliegenden Art das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig gerade aus den Gesichtspunkten ergibt, die für den Erlass des Verwaltungsaktes selbst maßgebend sind.
Ständige Rechtsprechung der Kammer, u. a. Beschlüsse vom 08.02.2011, 10 L 54/11, und vom 21.02.2011, 10 L 81/11
Die vom Gericht in der Sache zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich danach, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen behördlichen Verfügung gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von ihr eingelegten Rechtsbehelfs schwerer wiegt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Im Rahmen dieser vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem zum Entscheidungszeitpunkt gegebenen Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird; bei offensichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs überwiegt demgegenüber regelmäßig das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.
Hiervon ausgehend kann die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs nicht beanspruchen, da die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Fahrtenbuchauflage im Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage keinen ernstlichen Zweifeln unterliegt.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Verfügung ist § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für einen oder mehrere auf ihn zugelassene oder zukünftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Dabei müssen Verkehrsvorschriften in nennenswertem Umfang verletzt worden sein. Ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß, der sich nicht verkehrsgefährdend auswirken kann und auch keinen Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt, reicht nicht aus.
Vgl. zu diesem rechtlichen Maßstab u. a. BVerwG, Beschluss vom 09.09.1999, 3 B 94.99, ZfS 2000, 368; ferner Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage 2011, § 31 a StVZO, Rdnrn. 3 und 8
Für die erforderliche Gewichtung des betreffenden Verkehrsverstoßes ist regelmäßig das Punktesystem des § 4 StVG i. V. m. der Anlage 13 zu § 40 FeV heranzuziehen, weil in diesem in rechtlich verbindlicher Weise (vgl. § 4 Abs. 3 StVG) eine typisierende Bewertung von Verkehrsverstößen nach dem Maße ihrer Gefährlichkeit vorgegeben wird. Dabei ist anerkannt, dass bereits die erstmalige Begehung eines wenigstens mit einem Punkt bewerteten Verkehrsverstoßes hinreichenden Anlass für eine Fahrtenbuchauflage gibt, ohne dass es auf die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes erhöhende Umstände im Einzelfall ankommt.
Vgl. dazu Urteile der Kammer vom 29.10.2008, 10 K 276/07, und vom 02.04.2008, 10 K 40/07, m. w. N.
Danach ist im vorliegenden Fall eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften von einigem Gewicht im Sinne des § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO gegeben. Mit dem auf die Antragstellerin zugelassenen Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen (…) wurde am 14.01.2012 außerhalb einer geschlossenen Ortschaft die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 21 km/h überschritten, so dass eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, die im Fall der Ahndung gemäß Nr. 7 der Anlage 13 zu § 40 FeV mit einem Punkt bewertet worden wäre.
Vgl. dazu ferner die bei Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, a. a. O., § 31 a StVZO, Rdnr. 8 beschriebenen Einzelfälle aus der Rechtsprechung
Die Feststellung des für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Fahrzeugführers war auch nicht binnen der dreimonatigen Verfolgungsverjährung (§ 26 Abs. 3 StVG i. V. m. §§ 31 ff. OwiG) möglich. Die Unmöglichkeit einer Feststellung des Fahrzeugführers im Sinne von § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist gegeben, wenn die Verwaltungsbehörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Dabei darf die Verwaltungsbehörde ihre Ermittlungstätigkeit an den Erklärungen des Fahrzeughalters bzw. bei juristischen Personen des für sie handelnden Organs, ausrichten und regelmäßig auf zeitraubende, kaum Erfolg versprechende weitere Aufklärungsmaßnahmen verzichten, wenn der Fahrzeughalter erkennbar nicht gewillt ist, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitzuwirken. Dies gilt unabhängig von den Gründen, warum der Fahrzeughalter bzw. dessen organschaftliche Vertretung zu einer Mitwirkung nicht gewillt ist, und unbeschadet dessen, ob diese zu einer Mitwirkung auch verpflichtet sind. Weitere Ermittlungen können in einer solchen Situation nur ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn hohe Verdachtsmomente vorliegen, die in eine bestimmte Richtung deuten und eine Aufklärung auch ohne Mitwirkung des Fahrzeughalters bzw. seiner organschaftlichen Vertretung aussichtsreich erscheinen lassen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.05.1993, 11 B 50.93, ZfS 1994, 70, sowie OVG des Saarlandes, Beschluss vom 05.04.2004, 1 Q 54/03, m. w. N.; ferner VG München, Gerichtsbescheid vom 06.05.2009, M 23 K 09.1259, zitiert nach juris
Gemessen daran war hier die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers deshalb nicht möglich, weil die Antragstellerin der ihr als Fahrzeughalterin insoweit grundsätzlich obliegenden Mitwirkungspflicht nicht in der rechtlich gebotenen Weise nachgekommen ist. Zwar hat die Prokuristin der Antragstellerin aufgrund des ihr von der Polizei mit Schreiben vom 01.02.2012 übersandten Zeugenfragebogens unter dem 29.02.2012 mitgeteilt, dass das Fahrzeug zur Tatzeit einem in Frankreich wohnhaften Geschäftsführer der Antragstellerin überlassen worden war. Damit hatte die Antragstellerin allerdings nicht bereits alles ihr Zumutbare und Mögliche zur Feststellung des Fahrzeugführers beigetragen. Denn der im Anschluss an die Mitteilung der Prokuristin vom 29.02.2012 befragte Geschäftsführer der Antragstellerin hat nach Bekanntgabe des Sachverhalts und Belehrung ausweislich des ihm am 01.03.2012 übersandten Zeugenfragebogens von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 52, 55 StPO Gebrauch gemacht und damit zu erkennen gegeben, dass er auf Seiten der Antragstellerin als Fahrzeughalterin auch als deren handelndes Organ an der Klärung der Frage, wer das Fahrzeug zum maßgeblichen Tatzeitpunkt, zu dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 km/h festgestellt worden war, geführt hat, nicht mitwirken will. Dass der Geschäftsführer der Antragstellerin keine Angaben zu dem verantwortlichen Fahrzeugführer gemacht hat, ist der Antragstellerin dabei ungeachtet dessen zuzurechnen, dass dieser nicht ihr einziger und auch nicht allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer ist.
Weitergehende Ermittlungstätigkeiten der Verwaltungsbehörde waren entgegen der Auffassung der Antragstellerin aufgrund der Berufung ihres Geschäftsführers, dem das fragliche Fahrzeug zum Tatzeitpunkt zur alleinigen Verfügung überlassen war, auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht geboten. Insbesondere hätte nicht etwa ein von der Antragstellerin geforderter Passbildabgleich über das französische Konsulat vorgenommen werden müssen. Weitere Ermittlungen scheiden regelmäßig aus, wenn der Halter eines Fahrzeuges im Wege der Aussageverweigerung als Beschuldigter oder unter Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht jede Aufklärung darüber ablehnt, wer das Fahrzeug im maßgeblichen Tatzeitpunkt geführt hat. In diesem Fall darf die Verwaltungsbehörde grundsätzlich davon ausgehen, dass weitere Ermittlungen zu zeitaufwendig wären und kaum Aussicht auf Erfolg bieten würden. Dies gilt fallbezogen umso mehr, als ein etwaiges an die zuständigen französischen Behörden zu richtendes Amtshilfeersuchen und der damit verbundene Personal- und Arbeitsaufwand angesichts des in Rede stehenden Verkehrsverstoßes als unverhältnismäßiger Ermittlungsaufwand anzusehen wäre.
Dass dem fraglichen Geschäftsführer der Antragstellerin im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht zur Zeugnisverweigerung zustand, steht der Annahme einer der Antragstellerin zurechenbaren Mitwirkungsverweigerung und der Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, nicht entgegen. Ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht berechtigt dazu, Angaben im Ordnungswidrigkeitenverfahren zu verweigern, um zu verhindern, dass der Berechtigte im Rahmen der Verfolgung einer Verkehrszuwiderhandlung gegenüber dem Fahrer belastende Angaben machen muss. Das Recht bezieht sich damit allein auf das Bußgeldverfahren; es schützt den Fahrzeughalter nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung dagegen nicht vor einer Fahrtenbuchauflage. Ein „doppeltes Recht“ des Fahrzeughalters bzw. der für ihn handelnden organschaftlichen Vertretung, nach einem Verkehrsverstoß in Wahrnehmung eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts die Täterfeststellung zu vereiteln und zugleich trotz fehlender bzw. nicht ausreichender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht. Ein solches Recht widerspräche dem Zweck des § 31 a StVZO, der der Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer dient.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.06.1995, 11 B 7.95, ZfS 1995, 397; ferner OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 06.09.2011, 1 A 293/11, und vom 03.05.2010, 1 B 101/10, m. w. N.
Schließlich lässt die von dem Antragsgegner verfügte Fahrtenbuchauflage auch keine Ermessensfehler erkennen. Insbesondere verstößt die Anordnung der Fahrtenbuchauflage für die Dauer von sechs Monaten angesichts des gegebenen Verkehrsverstoßes nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte des Hauptsachewertes und damit auf 1.200,– Euro festgesetzt, wobei unter Berücksichtigung der Empfehlung in Nr. 46.13 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 ein Betrag von jeweils 400,– Euro je Monat der Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage angemessen erscheint.