VG Düsseldorf - Beschluss vom 04.07.14

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Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Für den Betroffenen einer Begutachtungsanordnung muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen.

2. Selbst dem Betroffenen bekannte Umstände müssen in der Anordnung zumindest so umschrieben sein, dass für ihn ohne Weiteres erkennbar ist, was im Einzelnen zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird.

3. Hohe Alkoholgewöhnung sagt für sich genommen noch nichts Hinreichendes über die Gefahr zukünftiger Trunkenheitsfahrten aus.

 

 Verwaltungsgericht Düsseldorf

Beschluss vom 04.07.2014

14 K 232/14

 

Aus den Gründen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die zulässige Klage ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand begründet.

Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 17.12.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblich.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.12.2008 – 3 C 26.07 –, Rn. 16, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.04.2012 – 16 B 356/12 –, Rn. 6, juris.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet in § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV –) höchstwahrscheinlich keine Ermächtigungsgrundlage.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Dies setzt voraus, dass die Begutachtungsanordnung ihm gegenüber wirksam geworden ist und zudem in formeller und materieller Hinsicht rechtmäßig, namentlich anlassbezogen und verhältnismäßig war.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.2005 – 3 C 25.04 –, Rn. 19, juris; zu § 15b Abs. 2 StVZO a.F. ebenso BVerwG, Urteil vom 05.07.2001 – 3 C 13.01 –, Rn. 20, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.05.2012 – 16 A 1782/11 –, Rn. 11, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.02.2013 – 16 E 1257/12 –, Rn. 2, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.11.2013– 16 B 1146/13 –, Rn. 3, juris.

Da eine Begutachtungsanordnung nicht selbständig anfechtbar ist, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine daran anknüpfende Fahrerlaubnisentziehung oder sonstige in Rechte des Betroffenen eingreifende Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist es ein Gebot effektiven Rechtsschutzes, strenge Anforderungen zu stellen. Die Begutachtungsanordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2001 – 3 C 13.01 –, Rn. 24 ff., juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.02.2013 – 16 E 1257/12 –, Rn. 4, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.12.2007 – 16 B 749/07 –, Rn. 10, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.06.2011– 10 S 2785/10 –, Rn. 4 ff., juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.09.2004 – 10 S 1283/04 –, Rn. 19, juris.

Nach Maßgabe dieser Kriterien genügt die Begutachtungsanordnung vom 17.10.2013 jedenfalls in materieller Hinsicht nicht den Rechtmäßigkeitsanforderungen.

In materieller Hinsicht müssen der Anordnung tatsächliche Umstände zugrunde gelegt werden, die einen Eignungsmangel als nahe liegend erscheinen lassen. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte hat ihre Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, auf § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. a) Alt. 2 FeV gestützt und zur Begründung darauf verwiesen, der Kläger sei bei einem polizeilichen Einsatz in aggressivem und stark alkoholisiertem Zustand in seiner Wohnung angetroffen worden, habe dem Sachverhalt kaum folgen können und angegeben, Alkoholiker zu sein. Diese Begründung lässt indes nicht den Schluss auf die Annahme eines Alkoholmissbrauchs zu.

Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. a) FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn nach dem ärztlichen Gutachten (§ 11 Abs. 2 Satz 3 FeV) zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen (1. Alternative) oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (2. Alternative). Alkoholmissbrauch in diesem Sinne meint nicht – wie sonst umgangssprachlich – den übermäßigen Gebrauch von Alkohol, sondern liegt nach Ziffer 8.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV (nur dann) vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 – 3 C 32.07 –, Rn. 13, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.11.2013 – 16 B 1146/13 –, Rn. 5, juris; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage 2013, § 2 StVG, Rn. 46.

Zwar gestattet § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. a) Alt. 2 FeV grundsätzlich auch die Berücksichtigung nicht (unmittelbar) straßenverkehrsbezogener Alkoholauffälligkeiten. Allerdings reicht allein die Feststellung, dass bei einem Fahrerlaubnisinhaber (oder -bewerber) in der Vergangenheit einmal eine Alkoholkonzentration festgestellt wurde, die auf ein deutlich normabweichendes Trinkverhalten und eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung schließen lässt, nicht aus, um den Verdacht zu begründen, dass der Betroffene zukünftig ein Fahrzeug führen könnte, obwohl er hierzu aufgrund alkoholbedingter Beeinträchtigungen nicht mehr uneingeschränkt in der Lage ist. Denn hohe Alkoholgewöhnung sagt für sich genommen noch nichts Hinreichendes über die Gefahr zukünftiger Trunkenheitsfahrten aus. Vielmehr müssen weitere tatsächliche Umstände hinzukommen, die in der Gesamtschau mit der vermuteten Alkoholproblematik bei realistischer Betrachtung die Annahme rechtfertigen, dass das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können.

Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.11.2013 – 16 B 1146/13 –, Rn. 7, juris, m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.04.2013 – 16 A 2704/12 –; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2008 – 16 B 749/08 –; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.03.2014– 7 L 299/14 –, Rn. 6, juris.

Vorliegend kann der Begutachtungsanordnung (und der polizeilichen Mitteilung vom 22.09.2013) nicht entnommen werden, über welche Blutalkoholkonzentration der Kläger am 21.09.2013, dem Tag des polizeilichen Einsatzes überhaupt verfügte, so dass allein vor diesem Hintergrund die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Alkoholmissbrauchs im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. a) Alt. 2 FeV nicht als gegeben angesehen werden können. Denn augenscheinlich wurde seitens der Polizeibeamten weder eine Atemalkoholmessung durchgeführt noch die Bestimmung der Blutalkoholkonzentration durch einen Arzt veranlasst. Mangels Bestimmung der genauen Alkoholkonzentration ist daher nicht feststellbar, ob beim Kläger, der im Zeitpunkt des polizeilichen Einsatzes augenscheinlich stark alkoholisiert war und dem Sachverhalt kaum folgen konnte, tatsächlich ein normabweichendes Trinkverhalten und eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung gegeben ist.

Selbst wenn man jedoch die Äußerung des Klägers, er sei Alkoholiker, als Tatsache qualifiziert, die im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. a) Alt. 2 FeV auf ein deutlich normabweichendes Trinkverhalten und eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung schließen lässt, können der Begründung der Begutachtungsanordnung jedenfalls keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. a) Alt. 2 FeV ebenfalls erforderliches fehlendes Trennungsvermögen entnommen werden. Ob sich derartige Anhaltspunkte allein aus dem Umstand herleiten lassen, dass der Kläger gegenüber den Polizeibeamten am 21.09.2013 angegeben hat Alkoholiker und Berufskraftfahrer zu sein, kann vorliegend dahinstehen. Diese Aussage kann vom erkennenden Gericht nämlich nicht berücksichtigt werden, weil die Begutachtungsanordnung hierauf nicht gestützt ist.

Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.11.2013 – 16 B 1146/13 –, Rn. 9, juris.

Die Begutachtungsanordnung erwähnt zwar eingangs, dass der Kläger Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ist, rekurriert jedoch nachfolgend im Hinblick auf den, Zweifel an der Kraftfahreignung hervorrufenden Sachverhalt zur Begründung des angenommenen Alkoholmissbrauchs allein auf die im Zeitpunkt des polizeilichen Einsatzes augenscheinlich gegebene starke Alkoholisierung und die Angaben des Klägers gegenüber den Polizeibeamten, Alkoholiker zu sein. Es finden sich indes keine tiefergehenden Ausführungen zu dem Umstand, dass der Kläger gleichfalls angegeben hat Berufskraftfahrer zu sein. Angesichts der an die Begründung einer Begutachtungsanordnung gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV zu stellenden strengen Anforderungen ist es den Gerichten insoweit verwehrt, eine unzulänglich begründete Begutachtungsanordnung ihrerseits nachzubessern. Auch geht es nicht an, unzureichenden oder fehlenden behördlichen Ausführungen mit der Überlegung zu begegnen, der Betroffene werde schon wissen, worum es gehe. Selbst dem Betroffenen bekannte Umstände müssen in der Anordnung zumindest so umschrieben sein, dass für ihn ohne Weiteres erkennbar ist, was im Einzelnen zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2001 – 3 C 13.01 –, Rn. 25 ff., juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.11.2013 – 16 B 1146/13 –, Rn. 9, juris, m.w.N.

Der im Hinblick auf das Trennungsvermögen gegebene Begründungsmangel kann auch nicht dadurch als geheilt angesehen werden, dass die Beklagte im nachfolgend zwischen ihr und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers geführten Schriftwechsel sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren weitere Ausführungen dazu macht, dass sich ein fehlendes Trennungsvermögen daraus ergebe, dass der Kläger angegeben habe Berufskraftfahrer zu sein. Denn dem Recht des Klägers, einer Begutachtungsanordnung nicht Folge leisten zu müssen, von der er zutreffend erkannt hat, dass sie auf eine unzureichende Begründung gestützt war, würde der Boden entzogen, sähe man die Behörde als berechtigt an, nach einem Auswechseln der Gründe vom Eintritt der in § 11 Abs. 8 FeV bezeichneten Rechtsfolge auszugehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2001 – 3 C 13.01 –, Rn. 27, juris; VGH Bayern, Beschluss vom 24.08.2010 – 11 CS 10.1139 –, Rn. 60, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.02.2010– 10 S 221/09 –, Rn. 41, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2013 – 14 K 5811/13 –, Rn. 29, juris.

Entspricht damit die auf § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. a) Alt. 2 FeV gestützte Begutachtungsanordnung vom 17.10.2013 nicht den materiellen Rechtmäßigkeitsanforderungen, erweist sich die ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtswidrig, weil die Beklagte nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Klägers schließen durfte.

Angesichts der Rechtswidrigkeit der Fahrerlaubnisentziehung sind auch die in der Ordnungsverfügung vom 17.12.2013 enthaltenen Nebenentscheidungen hinsichtlich der Abgabe des Führerscheins, der Zwangsgeldandrohung und der Gebührenfestsetzung rechtswidrig.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.