Wie genau ist die „Rotzeit“ wirklich?
Bei einem Rotlichtverstoß kommt es auf Sekundenbruchteile an. Entscheidend für die rechtliche Bewertung – etwa ob es sich um einen einfachen oder qualifizierten Rotlichtverstoß handelt – ist die sogenannte vorzuwerfende Rotzeit. Doch diese Zeitangabe ist keineswegs identisch mit der technisch gemessenen Rotzeit. Denn laut der Richtlinie PTB-A 18.12 sind verschiedene Einflussgrößen automatisch zugunsten des Betroffenen zu berücksichtigen.
In diesem Artikel zeigen wir Ihnen, welche Toleranzen und Korrekturen bei der Berechnung der Rotzeit berücksichtigt werden müssen – und wie daraus eine effektive Verteidigungsstrategie entstehen kann.
Was ist die vorzuwerfende Rotzeit?
Die vorzuwerfende Rotzeit ist die Zeitspanne zwischen dem Beginn der Rotphase einer Ampel und dem Überfahren der Haltelinie durch ein Fahrzeug, wie sie durch eine Rotlichtüberwachungsanlage erfasst wird. Sie ist grundlegend für die Sanktion:
- unter 1 Sekunde = einfacher Rotlichtverstoß
- über 1 Sekunde oder bei Gefährdung = qualifizierter Rotlichtverstoß (mit Fahrverbot!)
Doch gemäß PTB-A 18.12 ist nicht die brutto gemessene Rotzeit entscheidend, sondern ein tatsächlich zuzurechnender, korrigierter Wert, der zugunsten des Fahrers berechnet wird.
Einflussgrößen, die abgezogen werden müssen
Die PTB schreibt ausdrücklich vor:
Bei der geräteinternen Berechnung der vorzuwerfenden Rotzeit t sind alle Einflussfaktoren (insbesondere Messtoleranzen) automatisch zugunsten des Betroffenen zu berücksichtigen, so dass eine nachträgliche Korrektur der eingeblendeten vorzuwerfenden Rotzeit um mögliche Unsicherheiten nicht erforderlich ist. Wird die Rotzeit direkt an der Haltelinie gemessen (t H), sind bei der Berechnung der vorzuwerfenden Zeit t nur die Toleranzen bei der Zeitmessung ∆t und ggf. die Lampenverzögerungszeit tLV zu berücksichtigen
1. Toleranzen bei der Zeitmessung (Δt)
Selbst modernste Messanlagen unterliegen technischen Abweichungen. Diese zeitlichen Messtoleranzen müssen bei der internen Berechnung automatisch berücksichtigt werden. Dabei gilt der Grundsatz: Im Zweifel für den Betroffenen.
Der in der Anlage programmierte Toleranzwert wird also von der technisch gemessenen Zeit abgezogen – etwa 0,01 oder 0,02 Sekunden – bevor die „vorzuwerfende Rotzeit“ überhaupt angezeigt wird.
2. Lampenverzögerungszeit (tLV)
Die Lampenverzögerungszeit (tLV) beschreibt die Verzögerung zwischen dem elektrischen Schaltsignal und dem sichtbaren Aufleuchten der roten Ampel. Je nach Leuchtmittel (z. B. Glühbirne, LED) kann diese Zeit zwischen 0,1 und 0,3 Sekunden liegen.
Auch diese Zeit muss also abgezogen werden, wenn sie bei der jeweiligen Ampelanlage relevant ist.
3. Sensorposition (bei Rückrechnung)
Nicht alle Sensoren befinden sich direkt an der Haltelinie. Liegt der Sensor hinter der Haltelinie, muss die Messanlage den tatsächlichen Überfahrzeitpunkt durch Rückrechnung bestimmen. Dabei kommen weitere Faktoren ins Spiel:
- Abstand des Sensors zur Haltelinie (D1)
- geschätzte Fahrzeuggeschwindigkeit (v)
- zusätzliche Messtoleranzen durch Weg-Zeit-Messung
Auch hier gilt: Alle Unsicherheiten müssen zugunsten des Fahrers verrechnet werden.
Was bedeutet das für Betroffene?
Für Betroffene bedeutet das: Nicht jede angezeigte Rotzeit ist belastbar. Es kommt darauf an, ob und ggf. welche Einflussgrößen von dem verwendeten Messgerät automatisch berücksichtigt werden oder manuell abgezogen werden müssen. Insbesondere bei Geräten älterer Bauart verlangt die obergerichtliche Rechtsprechung, dass sich das amtsgerichtliche Bußgeldurteil dazu verhält, welche Einflußgrößen bei der Berechnung der vorzuwerfenden Rotzeit berücksichtigt wurden (OLG Köln – Beschluss vom 29.11.24).
Link: PTB-A 18.12 (Stand Dez. 2014)