I. Einführung
Die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nach §§ 79 ff. OWiG ein häufiger Verfahrensfehler. Wird ein form- und fristgerechter Beweisantrag in der Hauptverhandlung gestellt, so darf dieser vom Gericht nur unter den in § 244 Abs. 3 bis 6 StPO geregelten Voraussetzungen abgelehnt werden.
Im Bußgeldverfahren ist das Beweisantragsrecht über § 71 Abs. 1 OWiG entsprechend anwendbar. Die nicht gerechtfertigte Ablehnung eines Beweisantrags kann – bei ordnungsgemäßer Begründung – mit der Verfahrensrüge nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO angegriffen werden.
II. Der Beweisantrag – Inhaltliche Anforderungen
Seit der Reform des § 244 Abs. 3 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 gilt ein Antrag bereits dann als Beweisantrag, wenn:
- eine konkrete Beweistatsache behauptet wird,
- ein bestimmtes Beweismittel benannt wird,
- und dargelegt wird, warum dieses Beweismittel geeignet ist, die Beweistatsache zu bestätigen.
Es reicht dabei aus, wenn der Antragsteller ernsthaft die Beweiserhebung verlangt und eine Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel besteht. Weitere Anforderungen, wie etwa die Plausibilität des Beweisergebnisses oder eine Übereinstimmung mit dem bisherigen Verfahrensstand, sind nicht mehr zulässig (vgl. BGH, Beschl. v. 11.10.2021 – 5 StR 188/21).
Beispiel:
Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen zur Frage, ob der Betroffene ein verkehrspsychologisches Aufbauseminar besucht hat, ist wirksam, wenn der Zeuge konkret benannt wird und die Beweistatsache nachvollziehbar behauptet wird. Eine Ablehnung mit dem bloßen Hinweis, dies sei „unerheblich“ oder „nicht glaubhaft“ genügt den Anforderungen nicht.
III. Zulässige Ablehnungsgründe – Wann darf das Gericht den Beweisantrag ablehnen?
Ein Beweisantrag kann im Sinne des § 244 Abs. 3–5 StPO insbesondere dann abgelehnt werden, wenn:
- die Tatsache unerheblich ist,
- das Beweismittel unerreichbar ist,
- das Beweismittel ungeeignet ist,
- die Beweiserhebung zur Verzögerung des Verfahrens beantragt wurde (§ 244 Abs. 6 StPO),
- oder das Gericht bereits über die Tatsache überzeugt ist (sog. „richterliche Überzeugung“, § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 5 StPO).
Allerdings sind diese Ablehnungsgründe eng auszulegen. Das Gericht muss im Urteil bzw. im Ablehnungsbeschluss ausführlich und tragfähig begründen, warum der Antrag nicht berücksichtigt wurde.
IV. Fehlerhafte Ablehnung – Voraussetzungen der zulässigen Rüge
Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags ist eine Verfahrensrüge nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Um Erfolg zu haben, muss sie sorgfältig und vollständig begründet werden.
Erforderlich sind insbesondere:
- Vollständige Wiedergabe des Beweisantrags, einschließlich Beweistatsache und benanntem Beweismittel,
- Darlegung der gerichtlichen Ablehnungsgründe (aus dem Protokoll oder Urteil),
- Begründung, warum die Ablehnung rechtsfehlerhaft war,
- Darstellung der Auswirkungen auf das Urteil, also warum die Durchführung der Beweiserhebung zu einem günstigeren Ausgang für den Betroffenen hätte führen können.
Wird ein Beweisantrag etwa mit der Begründung abgelehnt, er sei „nicht erforderlich“ oder „nicht erheblich“, ohne dass sich dies aus der Hauptverhandlung ergibt, ist die Rüge begründet, wenn die Beweistatsache zur Beurteilung der Fahrereigenschaft, Messwertverwertung oder Rechtsfolgenfrage von Bedeutung war.
V. Abgrenzung zur Aufklärungsrüge
Die Rüge einer fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags ist nicht mit der Aufklärungsrüge identisch, obwohl beide auf das Unterlassen einer Beweiserhebung zielen.
Unterschiede:
Rügeform | Antragsbezug | Prüfungsmaßstab | Ziel |
---|---|---|---|
Beweisantragsrüge | Formgerechter Antrag gestellt | § 244 Abs. 3–6 StPO | Fehlerhafte Ablehnung |
Aufklärungsrüge | Kein oder fehlerhafter Antrag | Amtsermittlungsgrundsatz (§ 244 Abs. 2 StPO / § 77 OWiG) | Unterlassene Amtsermittlung |
Wichtig: Wurde in der Hauptverhandlung kein Antrag gestellt, kann nur die Aufklärungsrüge greifen. Wird ein Antrag abgelehnt, ist vorrangig die Beweisantragsrüge zu prüfen.
VI. Rechtsprechungsbeispiele
- BGH, Beschl. v. 11.10.2021 – 5 StR 188/21: Das LG hatte einen Beweisantrag abgelehnt, weil nicht dargelegt sei, warum der Zeuge etwas anderes als bisher festgestellt aussagen würde. Der BGH hob das Urteil auf und betonte, dass diese zusätzliche Anforderung mit der Reform des § 244 Abs. 3 StPO unzulässig ist.
- OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015: Wird ein Beweisantrag unter Berufung auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt, muss das Gericht im Urteil nachvollziehbar begründen, warum die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich war.
Die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags ist ein häufiger Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegrund in Bußgeldsachen. Durch die Reform des Beweisantragsrechts hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die Antragstellung deutlich vereinheitlicht und vereinfacht. Gerichte dürfen die Erhebung angebotener Beweise nicht mehr mit überzogenen Begründungen ablehnen.
Wichtig ist jedoch, dass der Beweisantrag formgerecht gestellt und eine spätere Rüge präzise und vollständig begründet wird. Verteidiger sollten dies bereits in der Hauptverhandlung mit Blick auf ein mögliches Rechtsmittel berücksichtigen.
Rechtsprechung zur fehlerhaften Ablehnung von Beweisanträgen