Im Ordnungswidrigkeitenverfahren sind die Urteilsgründe für die gerichtliche Kontrolle von zentraler Bedeutung. Sie bilden die Grundlage für eine sachlich-rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Fehlen wesentliche Angaben oder sind die Gründe fehlerhaft oder lückenhaft, liegt ein Darstellungsmangel vor. Dieser kann zur Aufhebung des Urteils führen.
1. Begriff des Darstellungsmangels
Ein Darstellungsmangel liegt vor, wenn die Urteilsgründe keine tragfähige Grundlage für die rechtliche Würdigung bilden. Die gesetzlichen Anforderungen an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren richten sich nach § 71 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 und 3 StPO.
Das Rechtsbeschwerdegericht muss anhand der Urteilsgründe nachvollziehen können,
- welche Feststellungen das Gericht zum objektiven und subjektiven Tatbestand getroffen hat,
- wie die Beweiswürdigung erfolgt ist und
- welche Überlegungen der Rechtsfolgenentscheidung (z. B. Geldbuße, Fahrverbot) zugrunde liegen.
Fehlen diese Elemente ganz oder teilweise, liegt ein Darstellungsmangel vor.
2. Typische Arten von Darstellungsmängeln
a) Lückenhafte oder fehlende Feststellungen zum Tatgeschehen
Wenn das Urteil nicht konkret beschreibt, worin das tatbestandsmäßige Verhalten bestanden hat, fehlt die erforderliche Tatsachengrundlage. Dies betrifft vor allem Unterlassungsdelikte, bei denen dargelegt werden muss, welche Handlungspflicht bestand und warum diese verletzt wurde.
Beispiel: BayObLG, Beschluss vom 4.8.2022 – 202 ObOWi 850/22 (BeckRS 2023, 5132):
„Die Verurteilung eines Erziehungsberechtigten wegen der Verletzung der bußgeldbewehrten Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass minderjährige Schulpflichtige regelmäßig am Unterricht teilnehmen (Art. 76 Satz 2 i.V.m. Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG), leidet unter grundlegenden Darstellungsmängeln, wenn tatsächliche Feststellungen dazu, in welchem konkreten Verhalten oder Unterlassen des Betroffenen das Tatgericht die Ordnungswidrigkeit erblickt, unterbleiben.“
b) Fehlende oder formelhafte Beweiswürdigung
Eine bloße Wiedergabe von Zeugenaussagen ohne Bewertung oder das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen stellt einen erheblichen Darstellungsmangel dar. Die Beweiswürdigung muss nachvollziehbar und frei von Widersprüchen sein.
c) Widersprüche in den Urteilsgründen
Ein Urteil leidet auch dann an Darstellungsmängeln, wenn sich die Urteilsgründe in sich widersprechen. Das kann etwa der Fall sein, wenn das Gericht einerseits von einer vorsätzlichen Begehung ausgeht, andererseits aber von einem fahrlässigen Verhalten spricht, ohne diesen Widerspruch aufzulösen.
d) Verletzung von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen
Ein weiterer Darstellungsmangel liegt vor, wenn das Urteil gegen logische Grundregeln oder allgemein anerkannte Erfahrungssätze verstößt. Dies ist z. B. gegeben, wenn Schlussfolgerungen im Urteil objektiv nicht nachvollziehbar sind.
e) Fehlende Erwägungen zu den Rechtsfolgen
Auch die Bemessung der Geldbuße oder die Anordnung eines Fahrverbots müssen begründet werden. Fehlt es an jeglicher Darstellung der für die Rechtsfolgenentscheidung relevanten Aspekte (z. B. Voreintragungen, wirtschaftliche Verhältnisse), liegt ein Darstellungsmangel vor.
3. Folgen eines Darstellungsmangels
Ein Darstellungsmangel kann zur Aufhebung des Urteils im Rahmen der Rechtsbeschwerde führen. Dabei hebt das Rechtsbeschwerdegericht das Urteil ganz oder teilweise auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück (§ 79 OWiG i.V.m. § 353 StPO).
In der Praxis ist die Darstellungsrüge oft ein sehr effektives Mittel, um unzulänglich begründete Verurteilungen zu Fall zu bringen, insbesondere weil das Rechtsbeschwerdegericht an den Inhalt der schriftlichen Urteilsgründe gebunden ist und nicht auf die Akte zurückgreifen darf.
Rechtsprechung zu Darstellungsmängeln