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Bußgeldverfahren ohne Verhandlung: Entscheidung durch Beschluss nach § 72 OWiG

Beschlussverfahren nach § 72 OwiG

Wenn die Bußgeldbehörde ein Verfahren an das zuständige Amtsgericht abgibt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass eine mündliche Hauptverhandlung stattfinden muss. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Gericht gemäß § 72 OWiG auch ohne Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Diese Verfahrensart bietet für Betroffene einige praktische und rechtliche Vorteile, kann aber auch erhebliche Nachteile mit sich bringen, insbesondere im Hinblick auf das Rechtsmittelverfahren.

Was bedeutet die Entscheidung im Beschlusswege nach § 72 OWiG?

§ 72 Abs. 1 OWiG ermöglicht es dem Amtsgericht, ohne mündliche Verhandlung per Beschluss zu entscheiden, wenn:

  • weder die Staatsanwaltschaft noch der Betroffene rechtzeitig widersprechen, und

  • das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält.

Dabei stützt sich das Gericht allein auf den Akteninhalt, also insbesondere auf die Beweismittel, die bereits im behördlichen Bußgeldverfahren erhoben wurden.


Vorteile für den Betroffenen

1. Kein Erscheinen vor Gericht nötig

Ein zentraler Vorteil liegt auf der Hand: Der Betroffene muss nicht persönlich zur Verhandlung erscheinen. Das ist besonders relevant, wenn das zuständige Amtsgericht örtlich weit entfernt ist oder die Anreise mit Aufwand verbunden wäre. Sofern keine Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen (§ 73 OWiG) möglich ist, kann das Beschlussverfahren eine erhebliche Erleichterung darstellen.

2. Kein Risiko der Verschlechterung

Ein weiterer bedeutender Vorteil ist das sogenannte Verschlechterungsverbot (§ 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG): Das Gericht darf nicht zu Lasten des Betroffenen von den im Bußgeldbescheid festgesetzten Rechtsfolgen abweichen.
Das bedeutet konkret:

  • Es darf keine höhere Geldbuße verhängt werden.

  • Es darf kein Fahrverbot neu angeordnet werden, wenn dieses nicht bereits im Bußgeldbescheid enthalten war.

Ausnahme: Wird im Beschlussverfahren vom Fahrverbot abgesehen, darf das Gericht eine erhöhte Geldbuße verhängen – dies gilt nicht als Verschlechterung, da das Fahrverbot entfällt.


Nachteile des Beschlussverfahrens

1. Eingeschränkter Rechtsschutz

Ein großer Nachteil liegt im Bereich des Rechtsmittelrechts:
Gegen Entscheidungen im Beschlussverfahren ist eine Rechtsbeschwerde nur eingeschränkt möglich.
Gemäß § 80 OWiG bedarf es einer besonderen Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn:

  • die Geldbuße 250 € nicht übersteigt, und

  • kein Fahrverbot verhängt wurde.

Zudem nennt § 80 OWiG ausdrücklich nur Urteile. Eine Zulassung gegen Beschlüsse ist gesetzlich nicht vorgesehen.
Fazit: Wer dem Beschlussverfahren nicht widerspricht, verliert unter Umständen sein Recht auf effektiven Rechtsschutz.

2. Gericht hat vollen Zugriff auf die Akte

Im Gegensatz zur Hauptverhandlung, in der Beweismittel förmlich eingeführt werden müssen, kann das Gericht im Beschlussverfahren frei aus den Akten schöpfen.
Taktische Verteidigungsstrategien, etwa das Rügen von Verfahrensfehlern wie eine unterlassene Verlesung eines Eichscheins, sind daher kaum durchsetzbar.


Widerspruch gegen das Beschlussverfahren – was ist zu beachten?

Das Gericht kann von sich aus mitteilen, dass es im Beschlusswege entscheiden möchte. Sowohl der Betroffene als auch die Staatsanwaltschaft haben dann zwei Wochen Zeit, um form- und fristgerecht zu widersprechen.
Wichtig: Geht kein Widerspruch ein, kann das Gericht auch dann im Beschlusswege entscheiden, wenn der Betroffene später noch widerspricht.

Wird jedoch trotz rechtzeitig erklärten Widerspruchs ein Beschluss nach § 72 OWiG erlassen, ist die Rechtsbeschwerde in jedem Fall zulässig (§ 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG).


Wann ist das Beschlussverfahren sinnvoll – und wann nicht?

Das Beschlussverfahren eignet sich besonders dann, wenn:

  • die Beweislage klar und unstreitig ist,

  • der Betroffene nicht persönlich erscheinen möchte,

  • nur über die Rechtsfolgen gestritten wird – etwa ein Absehen vom Fahrverbot.

Hält das Gericht die Beweislage für unklar oder bestreitet der Betroffene beispielsweise, das Fahrzeug gefahren zu haben, wird eine mündliche Verhandlung erforderlich sein.