OLG Hamm - Beschluss v. 27.05.21

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Zum Inhalt der Entscheidung: Ein Smartphone, das hochkant auf der Mittelkonsole eines PKW liegt und auf dem sichtbar die App "blitzer.de" aktiviert ist, gilt als vom Fahrzeugführer mitgeführt, auch wenn es ihm nicht gehört.

 

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom 27.05.2021

111-3 RBs 91/21

 

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen (Entscheidung des mitunterzeichnenden Einzelrichters).
2. Die Sache wird auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden übertragen (Entscheidung des mitunterzeichnenden Einzelrichters).
3. Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
4. Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO).

 

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen am 29. Oktober 2020 wegen vorsätzlichen betriebsbereiten Mitführens eines technischen Geräts, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen, zu einer Geldbuße in Höhe von 75,00 Euro verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 15. März 2020 um 0:13 Uhr mit seinem Pkw Daimler-Benz mit dem amtlichen Kennzeichen (...) in (...) die BAB (...) in Höhe des Kilometers (...) in Fahrtrichtung Hannover. Dabei befand sich in der Mittelkonsole das eingeschaltete Smartphone des Zeugen (...) auf welchem die App „blitzer.de“ aufgerufen war. Diese App dient dazu, Autofahrer während der Fahrt vor stationären und mobilen Geschwindigkeitsmessgeräten zu warnen. Sobald eine GPS-Verbindung hergestellt ist, zeigt das Gerät vor dem Passieren einer Messstelle die bei dem Betreiber hinterlegten Geschwindigkeitsmessanlagen an.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich ferner, dass das Smartphone hochkant in der Mittelkonsole stand und von dem Betroffenen als Fahrzeugführer einzusehen war.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 3. November 2020 die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und seinen Antrag nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 24. November 2020 mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2020 näher begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und vertritt zusammengefasst die Auffassung, das Tatgericht habe mit seiner Auslegung das Tatbestandsmerkmal des Mitführens überdehnt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen und diese als unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen. Die Frage, ob ein technisches Gerät, das dem Kraftfahrzeugführer zwar nicht gehört, sich jedoch in einer solchen räumlichen Nähe zum Fahrzeugführer befindet, dass er die optischen oder akustischen Warnungen wahrnehmen kann, unter die Verbotsnorm des § 23 Abs. 1c StVO fällt, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden.

Die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage ist- wie die Generalstaatsanwaltschaft im Ergebnis zu Recht ausführt - durch die seit dem 28. April 2020 in Kraft getretene Neuregelung in § 23 Abs. 1 c Satz 3 StVO nicht entfallen. Denn § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO besitzt nach wie vor Geltung, so dass diese Vorschrift auch weiterhin das Betreiben oder betriebsbereite Mitführen technischer Geräte, die dafür bestimmt sind, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören, verbietet. Lediglich Smartphones fallen nach der seit dem 28. April 2020 geltenden Fassung nicht mehr in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO, sondern in den des § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO (s.u.).

2. Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Satz 1 OWiG war das Verfahren daher zugleich dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.

3. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die auf die erhobene Sachrüge erfolgte Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen aufgedeckt. Die Rechtsbeschwerde war deshalb gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. m. § 349 Abs. 2 StPO auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Die vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen ein vorsätzliches betriebsbereites Mitführen eines technischen Gerätes, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahme anzuzeigen. Näherer Erörterung bedarf mit Blick auf den Zulassungsgrund lediglich Folgendes:

a) Nach § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO alter und neuer Fassung handelt u.a. ordnungswidrig im Sinne des § 24 des Straßenverkehrsgesetzes, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über sonstige Pflichten des Fahrzeugführers nach § 23 Abs. 1c StVO verstößt. Wer ein Fahrzeug führt, darf ein technisches Gerät nicht betreiben oder betriebsbereit mitführen, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören, § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO. Nach § 23 Abs. 1c Satz 2 StVO gilt dies insbesondere für Geräte zur Störung oder Anzeige von Geschwindigkeitsmessungen (Radarwarn- oder Laserstörgeräte). Der seit dem 28. April 2020 geltende § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO bestimmt nunmehr, dass bei anderen technischen Geräten, die neben anderen Nutzungszwecken auch zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen verwendet werden können, die entsprechenden Gerätefunktionen nicht verwendet werden dürfen.

b) Obergerichtlich geklärt ist, dass es sich bei einem vom Fahrzeugführer mitgeführten Smartphone mit aufgerufener „Blitzer-App“ („Blitzer-de“) um ein technisches Gerät im Sinne von § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO in der bis zum 27. April 2020 geltenden Fassung handelt, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 3. November 2015 - 2 Ss (OWi) 313/15 -juris; OLG Rostock, Beschluss vom 22. Februar 2017 - 21 Ss OWi 38/17 (Z) - juris, [jeweils für den seinerzeit gleichlautenden § 23 Abs. 1b Satz 1 StVO]). Dies wird vom Betroffenen auch nicht in Abrede gestellt.

c) Inzwischen hat der Gesetzgeber dies im Ergebnis durch den neu eingefügten § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO klargestellt jedoch gleichzeitig solche Geräte aus dem Anwendungsbereich des Satz 1 ausgegliedert, die - wie etwa Smartphones - neben anderen Nutzungszwecken auch zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen verwendet werden können (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage, § 23 StVO, Rdnr. 34).

d) Zutreffend hat das Amtsgericht zunächst ausgeführt, dass es nicht darauf ankommt, ob das Smartphone mit „aktiver Blitzer-App“ im Eigentum des Fahrzeugführers oder einer anderen Person steht. Auch dies wird vom Betroffenen nicht in Abrede gestellt.

e) Ebenfalls zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Begriff des „Mitführens“ weit gefasst ist und weder Eigentumsrechte des Fahrzeugführers noch eine direkte Bedienung durch diesen erfordert.

aa) Die weite Auslegung des § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO entspricht sowohl dem Willen des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers als auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn maßgeblicher Gesichtspunkt beim „Mitführen“ im Sinne von § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO alte wie neue Fassung ist die sich aus der Nutzung eines derartigen Geräts ergebende Gefahr für Verkehrsüberwachungsmaßnahmen.

§ 23 Abs. 1c StVO (vormals § 23 Abs. 1b StVO) beruht auf der durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. März 2001 (StVRÄndG) in § 6 Abs. 1 Nr. 3 i) StVG eingefügten Ermächtigungsgrundlage. Durch diese wurde der Verordnungsgesetzgeber zum Erlass eines Verbots, das die Verwendung technischer Einrichtungen am oder im Kraftfahrzeug untersagt, die dazu bestimmt sind, die Verkehrsüberwachung zu beeinträchtigen, ermächtigt. Bereits in der Begründung des StVRÄndG zur Aufnahme der genannten Ermächtigungsgrundlage heißt es (vgl. BT-Drs 14/4304, Seite 10,11):

„Die Änderung verfolgt das Ziel, den Verordnungsgeber zum Erlass eines Verbotes zu ermächtigen, mit dem die Verwendung technischer Einrichtungen im Kraftfahrzeug untersagt wird, die dafür bestimmt sind, die Verkehrsüberwachung zu beeinträchtigen. Dem liegen folgende Überlegungen zugrunde:

Bei der Durchsetzung von Geboten und Verboten im Straßenverkehr spielt die präventive Wirkung der für Zuwiderhandlungen vorgesehenen Sanktionen eine wichtige Rolle. Dabei ist erfahrungsgemäß nicht allein die Höhe der Sanktion, sondern auch das Entdeckungsrisiko bedeutsam. Speziell für das Straßenverkehrsrecht wurde dies wiederholt auf dem Deutschen Verkehrsgerichtstag (vgl. 31. und 37. Deutscher Verkehrsgerichtstag; jeweils Empfehlungen des Arbeitskreises III) bekräftigt. Auch die Bundesanstalt für Straßenwesen hat in einer Studie aus dem Jahr 1996 („Polizeiliche Verkehrsüberwachung“, Bericht vom Juli 1996) ein vom Verkehrsteilnehmer als hoch empfundenes Entdeckungsrisiko als entscheidend für regelkonformes Verhalten beurteilt. Würde also hingenommen, dass sich die Kraftfahrer gegen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen wirksam schützen, so hätte dies nachhaltig negative Auswirkungen auf den verantwortungsvollen Umgang mit den Verkehrsregeln.

Mit den Radarwarngeräten stehen jetzt Anlagen zur Verfügung, die bei zunehmender Verbreitung die präventive Wirkung der Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung mindestens teilweise (z.B. auf den Autobahnen) erheblich beeinträchtigen können. Auch wenn manche Geräte noch nicht in allen Situationen verlässlich und rechtzeitig warnen, fördern auch sie die Begehung von Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen. Andere Geräte besitzen bereits heute einen höheren Wirkungsgrad und versetzen den Autofahrer in die Lage, Geschwindigkeitskontrollen zu unterlaufen. Dies kann angesichts der Bedeutung, die gerade Zuwiderhandlungen in diesem Bereich für das Unfallgeschehen haben, nicht hingenommen werden.

Zwar eröffnen die Sicherheits- und Ordnungsgesetze der Bundesländer grundsätzlich schon heute die Möglichkeit, Radarwarngeräte und vergleichbare technische Einrichtungen in bestimmten Fällen sicherzustellen und zu vernichten. Dies ist von den Gerichten in Einzelfällen bereits bestätigt worden (Bay VGH NZV 1998, 520). Aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Erhöhung der Prävention soll der Verordnungsgeber aber ermächtigt werden, ein klares Verbot zu normieren.

Eine entsprechende Empfehlung hatte auch die Europäische Verkehrsministerkonferenz ausgesprochen (Dokument CEMT/CM [96] 11). In einer ganzen Reihe mitteleuropäischer Staaten mit vergleichbaren Verkehrsverhältnissen bestehen bereits entsprechende Regelungen.

Die konkrete Ausgestaltung der Verbotsnorm soll dem Verordnungsgeber überlassen werden, um noch nicht absehbaren technischen Entwicklungen zukünftig besser Rechnung tragen zu können. Die Aufnahme eines eigenständigen Bußgeldtatbestandes unmittelbar in das StVG wäre erforderlich, wenn eine höhere Bußgelddrohung als die des §17 Abs. 1 OWiG (2000 DM) vorgesehen werden müsste. Das ist aber weder aus systematischen Gründen noch wegen des in der Zuwiderhandlung liegenden Unrechtsgehalts angezeigt. Bei den Zuwiderhandlungen gegen Verhaltensvorschriften des Straßenverkehrsrechts gilt derzeit bis auf wenige Ausnahmen die allgemeine Bußgeldobergrenze. Eine verschärfte Bußgelddrohung ist grundsätzlich für solche Zuwiderhandlungen vorzusehen, die - wie etwa Verstöße gegen die Promillegrenze und gegen das Verbot zum Fahren unter Drogeneinfluss - nachweislich besonders gefährlich sind. Ein hiermit vergleichbares Gefährdungspotential weist die Verwendung von Radarwarngeräten und ähnlichen Einrichtungen nicht auf.

Die Änderung beschränkt sich deshalb darauf, die Ermächtigungsgrundlage für den Verordnungsgeber zu schaffen. Dass damit die Einziehung der Geräte nicht spezial gesetzlich festgeschrieben werden kann, ist unproblematisch. Nach Schaffung des Bußgeldtatbestandes finden insofern die Sicherheits- und Ordnungsgesetze der Bundesländer Anwendung.

Zu den Änderungen im Einzelnen:

Dementsprechend heißt es in der Begründung des Verordnungsgebers (BR-Drs 751/01, Seite 5):

„Mit der Aufnahme des Verbotes zum Betreiben von Radarwarnanlagen und ähnlichen Einrichtungen im Kraftfahrzeug wird von der mit Gesetz vom 19. März 2001 (BGBl. I S 386) neu geschaffenen Verordnungsermächtigung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe i StVG) Gebrauch gemacht. Die Neuregelung soll, der Intention des Gesetzgebers folgend, vor Allem zur Sicherung einer erfolgreichen Bekämpfung von Geschwindigkeitsverstößen und anderen Verkehrszuwiderhandlungen beitragen. Sie soll verhindern, dass sich Kraftfahrer durch technische Vorkehrungen im Kraftfahrzeug Maßnahmen der Verkehrsüberwachung entziehen können. Darüber hinaus dient sie der Rechtsklarheit.“

bb) Zudem spricht auch ein vergleichender Blick in die Strafgesetze für eine weite Auslegung des „betriebsbereiten Mitführens“. So setzt „Beisichführen“ im Sinne von § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) und b) StGB nicht voraus, dass der Täter oder Teilnehmer den Gegenstand in der Hand hält oder am Körper trägt; es genügt, wenn er sich in Griffweite befindet oder sich der Täter des Gegenstands ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen kann (vgl. Fischer, StGB, 68. Auflage, § 244, Rdnr. 27 m.w.N.). Ähnlich ist es beim „Mitsichführen“ im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG. Ein Mitsichführen in diesem Sinne ist gegeben, wenn der Täter den betreffenden Gegenstand bei der Tat bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich seiner jederzeit bedienen kann (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03 - NStZ 2004, 111; Körner/Patzak/Volkmer/Patzak, 9. Aufl. 2019, BtMG, § 30a, Rdnr. 78 m.w.N.). Dies gilt auch für Waffen, die nicht dem Täter gehören. Denn eine jederzeit zu realisierende Herrschaftsmöglichkeit besteht für alle Tatbeteiligten, wenn sie an der Waffe Mitbesitz haben, etwa wenn sie so verwahrt wird, dass jeder die Möglichkeit hat, bei Bedarf darauf zuzugreifen (vgl. Weber BtMG/Weber, 5. Aufl. 2017, § 30a, Rdnr. 148 f.).

cc) Angesichts der o.g. Erwägungen ist die Auffassung des Amtsgerichts, von einem Mitführen im o.g. Sinne sei jedenfalls dann auszugehen, wenn sich das Gerät, auf Welchem die Blitzer-App betrieben wird, in einer solchen räumlichen Nähe zum Fahrzeugführer befindet, dass er die optischen oder akustischen Warnungen der App wahrnehmen kann, zutreffend und rechtlich nicht zu beanstanden.

Da der subjektive Tatbestand zumindest in Form des dolus eventualis angesichts der Positionierung des Smartphones in der Mittelkonsole hier auf der Hand liegt, bedurfte es entgegen der Antragsbegründung keiner weiteren ausdrücklichen Feststellungen dahin, ob dies auf Geheiß oder mit stillschweigender bzw. ausdrücklicher Billigung des Betroffenen erfolgte.