OLG Brandenburg - Beschluss vom 17.12.19

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Zum Inhalt der Entscheidung: Zur Zulassung der Rechtsbeschwerde bei nach Urteilszustellung nachgeschobenen Urteilsgründen.

 

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss vom 17.12.2019

1 Ss OWi 416/19, (1 Z) 53 Ss-OWi 721/19 (416/19)

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 5. September 2019 wird als unbegründet verworfen, da dem Betroffenen das rechtliche Gehör nicht versagt wurde und die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts nicht geboten ist (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

Der Senat nimmt Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 2. Dezember 2019, die durch die Ausführungen im Anwaltsschriftsatz vom 10. Dezember 2019 nicht entkräftet werden.

Zu ergänzen ist auf den Anwaltsschriftsatz vom 10. Dezember 2019 jedoch folgendes:

Die Abfassung eines Urteils ohne Gründe stellt zwar einen nicht unerheblichen Rechtsfehler dar, da kein Fall des § 77b OWiG gegeben ist. Jedoch führt allein die Tatsache, dass das Amtsgericht (zunächst) von einer Begründung des Urteils abgesehen hat, obwohl die Voraussetzungen des § 77b OWiG nicht vorliegen, noch nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde; erforderlich ist auch in einem solchen Fall die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OWiG (grundlegend: BGHSt 42, 187,189 ff. = NJW 1996, 3157 = NStZ 1997, 39 = VRS 92, 135; ebenso OLG Celle NdsRpfl. 1997, 52; OLG Köln NZV 1997, S 371; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 77b Rdnr. 8, § 80 Rdnr. 12, 13; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. statt vieler: Senatsbeschluss vom 9. November 20171 Z - 53 Ss-OWi 653/17 – 308/17; Senatsbeschluss vom 22. Mai 2012, 1 Z - 53 SS-Owi 256/12 - 136/12; Senatsbeschluss in: VRS 116, 279 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 11. März 2013, 1 Z - 53 Ss-OWi 80/13 - 64/13).

Das Fehlen der Urteilsgründe führt nicht zwingend zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Eine solche Auffassung würde auf der fehlerhaften Annahme beruhen, dass die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1, 2 OWiG nur an Hand der Urteilsgründe überprüft werden könnten. Damit aber würden sachlich-rechtliche Rechtsbeschwerdegrundsätze auf das Zulassungsverfahren ausgedehnt, ohne dass dies zwingend ist. Die bei Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht ausschließbare Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1, 2 OWiG. Hierzu hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass selbst in den Fällen, in denen die Sachrüge erhoben ist, die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde häufig ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden können. Dies gelte insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufzeigen und bei denen nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach § 80 OWiG vorliegen. Zur Prüfung der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist es möglich, den Bußgeldbescheid (vgl. dazu auch BGHSt 23, 336; BGHSt 23, 365; BGHSt 27, 271), den Zulassungsantrag, nachgeschobene Urteilsgründe oder dienstliche Äußerungen heranzuziehen; sonstige Umstände können selbst bei Vorliegen von Urteilsgründen berücksichtigt werden, wenn beispielsweise zu erwägen ist, ob ein rechtsfehlerhaftes Urteil sich als bloße Fehlentscheidung im Einzelfall darstellt (BGHSt 42, 187,189). All dies folgt schon daraus, dass es sich bei dem Zulassungsverfahren um ein Vorschaltverfahren handelt (vgl. KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 80 Rdnr. 5), bei dem ermittelt wird, ob ein Rechtsbeschwerdeverfahren durchzuführen ist (ständige Senatsrechtsprechung, Senatsbeschluss vom 14. Januar 2009, 1 Ss-OWi 238 Z/08, abgedr. bei juris; Senatsbeschluss vom 21. November 2011, 1 Z - 53 Ss-OWi 450/11 - 246/11; Senatsbeschluss vom 22. Mai 2012 1 Z - 53 SS-Owi 256/12 - 136/12; Senatsbeschluss vom 11. März 2013, 1 Z - 53 Ss-OWi 80/13 - 64/13).

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde bei Fehlen von Urteilsgründen ist auch nicht aus Gründen der Verfassung (Rechtsstaatsprinzip, Gewährung rechtlichen Gehörs) geboten. Denn durch den Verfahrensverstoß ist der Betroffene nicht gehindert, die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu beantragen und Umstände vorzutragen, die zu einer Zulassung führen können (BGHSt aaO., 190 f.). Da zudem die Zulassung der Rechtsbeschwerde einer einheitlichen und sachgerechten Rechtsprechung und nicht in erster Linie der Entscheidung des Einzelfalls dient, ist es von Verfassung wegen nicht geboten, allein aus dem Umstand, dass Urteilsgründe fehlen, einen Zulassungsgrund herzuleiten.

Dies heißt freilich nicht, dass das Fehlen von Urteilsgründen im Einzelfall nicht zur Begründetheit des Zulassungsantrags führen kann. Bei tatsächlich und rechtlich schwierigen Ordnungswidrigkeitsverfahren mag dies in Einzelfällen anders liegen. Kann ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht ohne weiteres beurteilt werden, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, und können solche Zweifel weder durch das abgekürzte Urteil, den Bußgeldbescheid, den Zulassungsantrag noch mit den nachgeschobenen Gründen, den dienstlichen Äußerungen oder sonstigen Umständen ausgeräumt werden, so führt in einem solchen Einzelfall das Fehlen von Urteilsgründen zur Begründetheit des Zulassungsantrags.

Im vorliegenden Fall ist eine Prüfung der Zulassungsgründe nach § 80 Abs. 1 OWiG möglich und führt zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vorliegen, weshalb der Zulassungsantrag als unbegründet zu verwerfen ist. Denn das Amtsgericht Oranienburg hat die Urteilsgründe „nachgeschoben“, mithin abgefasst, als das „Urteil ohne Gründe“ bereits zugestellt war. Das Fehlen der Urteilsgründe allein erfordert die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist – ungeachtet der Frage der hier nicht (ordnungsgemäß) erhobenen Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG) – nicht zu besorgen. Ausweislich der nachgeschobenen Urteilsgründe und des Hauptverhandlungsprotokolls hat sich das Tatgericht mit den von dem Betroffenen erhobenen Einwendungen und Beweisanträgen bzw. Beweisanregungen auseinander gesetzt und diese förmlich beschieden. Der Eichschein, das Messprotokoll, die Schulungsnachweis des Messbeamten, die Datenleisten des Messfotos und der Auszug aus dem FAER wurden zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.

Überdies ist obergerichtlich hinreichend geklärt, dass es sich bei dem Messverfahren mit dem Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan Speed M1 um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt (BGHSt 39, 291 ff.; zu PolyScan Speed vgl. statt vieler: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24. Oktober 2014, 2 (7) SsBs 454/14; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Mai 2014, 1 SsBs 41/13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Juli 2014, 1 RBs 50/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Januar 2010, IV-5 Ss (OWi) 206/09, 178/09 I, OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. April 2010, 2 Ss-OWi 236/10; jew. zit. nach juris; st. Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. Februar 2015, 1 Z (53 Ss-OWi 10/15) 20/15; vom 13. November 2014, 1 Z (53 Ss-OWi 553/14) 306/14; vom 11. April 2011, 1 Ss-OWi 36 B/11; vom 25. Februar 2010, 1 Ss-OWi 28 B/10; vom 10. März 2010, 1 Ss-OWi 48 Z/10). Konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung sind nicht ersichtlich und von dem Betroffenen auch nicht vorgetragen worden.