OLG Bamberg - Beschluss vom 18.12.07

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Zum Inhalt der Entscheidung: Der Beschluss befaßt sich mit der Frage, ob das VAMA-Abstandsmeßverfahren noch als standardisiertes Meßverfahren gelten kann, wenn anstatt der laut Hersteller erforderlichen JVC-Kameras Geräte anderer Hersteller verwendet werden.

 

Oberlandesgericht Bamberg

Beschluss vom 18.12.2007

3 Ss OWi 1662/07



Aus den Gründen:


Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der statthaften und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 II StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG). Zur Begründung nimmt der Senat zunächst auf die zutreffende, durch die Gegenerklärung des Verteidigers nicht entkräftete Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bezug. Die Rechtsbeschwerde gibt dem Senat jedoch die Gelegenheit, zu der Verwendung des Charaktergenerators vom Typ CG-P 50 E im Rahmen des von der bayerischen Polizei bis vor dem 05.07.2007 praktizierten mobilen Brückenabstandsmessverfahrens ergänzend wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Für den Charaktergenerator CG-P 50 E wurde durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) mit Zulassungsschein-Nr. 1.23-3242.61/P50E (PTB-Zulassungszeichen: 18.13/88.04) am 05.01.1988 die Bauartzulassung zur Eichung erteilt. Bei dem Charaktergenerator handelt es sich um einen Videobildzähler, wobei sich die Zeitmessung aus dem Videobildtakt der Kamera und der Zählfunktion des Charaktergenerators ergibt. Nach der JVC-Bedienungsanleitung, die zu den Bauartzulassungsunterlagen gehört, ist der Charaktergenerator nur in Kombination mit JVC-Videokameras verwendbar. Für die Verbindung der Videokamera mit dem Charaktergenerator einerseits und einem Videorekorder andererseits sieht diese Bedienungsanleitung Kabel mit einer Länge von 30 cm bzw. 2,5 m vor. Demgegenüber verwendete die bayerische Polizei – soweit ersichtlich durchgängig - Kameras anderer Hersteller (u.a. der Marken Panasonic, SANYO und SONY) mit der Folge, dass bereits hierdurch – unabhängig von den regelmäßig eingesetzten Kabellängen von mehr als 3 m – die Voraussetzungen der genannten Bauartzulassung als wesentliche Grundlage zur Anerkennung eines standardisierten Messverfahrens verfehlt wurden.

2. Erfüllt die Geschwindigkeits- oder Abstandsermittlung die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens, genügt es im Regelfall, wenn sich die Verurteilung auf die Mitteilung des Messverfahrens und die nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Ergebnis-Werte stützt. Denn mit der Mitteilung des angewandten Messverfahrens sowie des berücksichtigten Toleranzwertes wird im Rahmen eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens eine für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in aller Regel hinreichende Entscheidungsplattform zur Beurteilung einer nachvollziehbaren tatrichterlichen Beweiswürdigung geschaffen (jeweils für Geschwindigkeitsüberschreitungen rechtsgrundsätzlich BGHSt 39, 291/301 ff. und 43, 277/282 ff.; vgl. ferner neben BayObLGSt 1993, 55/56 f. u.a. Senatsbeschlüsse vom 14.02.2006 – 3 Ss OWi 1402/05; vom 20.04.2006 – 3 Ss OWi 464/06; vom 01.06.2006 - 3 Ss OWi 716/06 sowie eingehend zur Bedeutung des ‚standardisierten’ Messverfahrens für die Darstellung der Urteilsgründe bei Vorliegen eines Geständnisses des Betr. Senatsbeschluss vom 11.07.2006 - 3 Ss OWi 906/06 = OLGSt StPO § 267 Nr. 18; zu den Anforderungen an die Anerkennung eines ‚standardisierten’ Messverfahrens zuletzt instruktiv auch Beschlüsse des OLG Stuttgart vom 24.10.2007 - 4 Ss 264/07 und vom 14.08.2007 - 4 Ss 23/07.

3. Kann – wie hier – nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden, darf sich das Tatgericht bei der Feststellung und Darstellung der Beweisgründe im Urteil nicht auf die bloße Mitteilung des Messverfahrens und die – gegebenenfalls nach Abzug der Messtoleranzen - ermittelten Ergebnis-Werte der Messung, namentlich die ermittelten Zeit-, Geschwindigkeits- und Abstandswerte beschränken. Vielmehr bedarf es dann weiterer konkreter Feststellungen, zumal die Voraussetzungen eines ‚qualifizierten’ Geständnisses des Betroffenen (vgl. Senatsbeschluss vom 11.07.2006 - 3 Ss OWi 906/06 = OLGSt StPO § 267 Nr. 18) in Fallgestaltungen wie vorliegend regelmäßig nicht erfüllt sein dürften.

Insoweit kann durch die Tatgerichte für den hier behandelten Tatzeitraum vor dem 05.07.2007 auf die in der nachfolgenden Übersicht zusammengestellten Ergebnisse der (retrospektiven) Überprüfungen der aus der Übersicht im Einzelnen nach Polizeidienststelle und Geräte-Identifikationsnummer (Gerätenummer) ersichtlichen Charaktergeneratoren des Typs CG-P 50 E durch das Eichamt München-Traunstein, Dienststelle Traunstein, vom 3., 6. und 10.09.2007 zurückgegriffen werden. Die seitens des Senats kritisch nachvollzogene Überprüfung der einzelnen Videoabstandsmessanlagen führte zu dem Ergebnis, dass bei allen 27 nach ihrer jeweiligen Indentifikations-Nummer bezeichneten und vor dem 05.07.2007 im Einsatz befindlichen Charaktergeneratoren die in der Eichordnung vorgeschriebene Eichfehlergrenze von 0,05 % der gemessenen Zeit vermehrt um 0,01 s bei weitem eingehalten wurde.

[Es folgt eine Aufzählung der einzelnen in Bayern verwendeten Meßgeräte mit Angabe der bei dem jeweiligen Gerät festgestellten Meßtoleranz]

In den Urteilsgründen genügt dann, soweit nicht sonstige die ordnungsgemäße Durchführung des Messverfahrens in Frage stellende konkrete Anhaltspunkte hinzu treten, neben den auch für ein standardisiertes Messverfahren ohnehin gebotenen Angaben die Bezeichnung der die Abstandsmessung durchführenden Polizeidienststelle sowie des bei der verfahrensgegenständlichen Abstandmessung konkret eingesetzten, in der Übersicht aufgeführten Charaktergenerators nach seiner - regelmäßig dem bei den Akten befindlichen Messprotokoll über die Abstandsmessung und/oder dem Eichschein zu entnehmenden - Geräteidentifikations-Nummer. Beide Angaben können neben der Verlesung der genannten Dokumente im Wege des Urkundsbeweises auch durch die Einvernahme des polizeilichen Messbeamten zum Gegenstand der Beweisaufnahme im Rahmen der Hauptverhandlung gemacht werden. Der Erhebung eines Sachverständigenbeweises bedarf es dann unter dem Gesichtspunkt der tatgerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 II StPO; § 77 I 1 OWiG) nicht mehr.

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