OLG Düsseldorf - Beschluss vom 29.06.00

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Zum Inhalt der Entscheidung: Bei dem System "Provida" handelt es sich um ein standardisiertes Meßverfahren. Zum Ausgleich systemimmanenter Meßungenauigkeiten reicht ein Toleranzabzug von 5 % von der gemessenen Geschwindigkeit aus.

 

Oberlandesgericht Düsseldorf

Beschluss vom 29.06.2000

2 b Ss (OWi) 95/00

 

 

Aus den Gründen:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen" vorsätzlicher Zuwiderhandluhg gegen §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 400,-- DM verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das zulässige Rechtsmittel ist teilweise begründet und führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.

I.

Soweit der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde den Schuldspruch angreift, ist das Rechtsmittel unbegründet. Insoweit hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§§ 349 Abs. 2 und 3 StPO, 79 Abs. 3 OWiG). Jedoch war der Schuldspruch entsprechend den getroffenen Feststellungen zu berichtigen.

1.

Insbesondere enthalten die Feststellungen und die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils zu den gemessenenen Geschwindigkeiten des Betroffenen keinen Rechtsfehler.

Das nach den getroffenen Feststellungen angewandte ProViDa-System ist sowohl zur Geschwindigkeits- als auch zur gleichzeitigen Abstandsmessung seit über 10 Jahren in ständigem Gebrauch und als standardiesiertes Meßverfahren für Geschwindigkeitsmessungen anerkannt (vgl. OLG Köln VRS 97, 442; OLG Celle VRS 77, 464; 81, 210; 92, 435; OLG Braunschweig NZV 1995, 367). Zum Ausgleich systemimmanenter Meßungenauigkeiten reicht ein Toleranzabzug von 5 % von der gemessenen Geschindigkeit aus (vgl. OLG Celle VRS 92, 435 unter Hinweis auf eine gutachterliche Stellungnahme der Physikalisch-Technichen Bundesanstalt vom 31.8.1996; OLG Köln aaO).

Da die Messungen der von dem Betroffenen gefahrenen Geschindigkeiten mit anerkannten Geräten in einem weithin standardisierten und tagtäglich praktizierten Verfahren durchgeführt worden sind, genügte - wie geschehen - grundsätzlich die Angabe des angewandten Verfahrens und der nach Abzug der Meßtolleranz ermittelten Meßergebnisse (BGHSt 39, 291; BGH NStZ 1993, 95). Erörterungen zu möglichen Geräte- und Bedienungsfehlern wären nur dann geboten gewesen, wenn dazu ein begründeter Anlaß bestanden hätte. Das war nach der Urteilsbegründung jedoch nicht der Fall. Danach hat der als Zeuge vernommene Polizeibeamte das Meßverfahren erläutert und angegeben, daß des Gerät ordnungsgemäß gearbeitet habe. Das Amtsgericht hat dies durch die Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung bestätigt gefunden. In der Hauptverhandlung hat der Betroffene keine Umstände geltend gemacht, die Zweifel an der fehlerfreien Bedienung des Gerätes oder dessen ordnungsmäßiger Funktion begründen könnten. In der Rechtsbeschwerdebegründung vorgetragene mögliche Fehlerquellen, für die zudem keine Anhaltspunkte vorliegen, betreffen im wesentlichen die Geschwindigkeitsmessung aus einem nachfahrenden Fahrzeug unter Ablesung der Geschindigkeit vom Tachometer. Für das ProViDa-System, bei dem die Geschindigkeitsmessung elektronisch erfolgt, sind sie ohne Bedeutung:

2.

Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zu den gemessenen Abständen enthalten ebenfalls keine Rechtsfehler. Zwar erfolgen die Abstandsmessungen im ProViDa-System nicht elektronisch, sondern unter Auswertung der Videoaufzeichnungen anhand darauf erkennbarer Fixpunkte, so daß das Verfahren insoweit nicht standardisiert ist. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, hat das Amtsgericht die von dem Zeugen W gemessenen Abstände durch Inaugenscheinnahme des Videofilms überprüft und bestätigt gefunden. Zudem hat der Betroffene - wie in dem Urteil ausgeführt ist - die Richtigkeit seiner festgestellten Fahrweise, die ihm anhand des Videofilms vor Augen geführt worden ist, bestätigt, indem er sich eingelassen hat, er habe es eilig gehabt und sei deshalb so gefahren.

Angesichts dieser Einlassung ist auch die Feststellung des Amtsgerichts, daß der Betroffene vorsätzlich gehandelt hat, nicht rechtsfehlerhaft.

3.

Zu Recht hat sich das Amtsgericht nicht ausdrücklich mit der Frage befaßt, ob das Verhalten des Betroffenen angesichts der von ihm behaupteten beruflichen Gründe durch einen rechtfertigenden Notstand i.S.d § 16 OWiG gerechtfertigt war. Die mehrfache grob verkehrswidrige und andere Verkehrsteilnehmer erheblich gefährdende Fahrweise des Betroffenen war - die Richtigkeit der angegebenen Gründe unterstellt - nicht gerechtfertigt, denn sie war kein angemessenes Mittel, die behauptete Gefahr abzuwenden (§ 16 Satz 2 OWiG). Wenn - wie der Betroffene behauptet - bei seinem Unternehmen der Hinweis auf einen geplanten Geldtransportüberfall vorlag, war, was auch dem Betroffenen als ehemaligem Polizeibeamten bewußt sein mußte, die einzige richtige und erfolgversprechende Maßnahme, die Polizei zu alarmieren. Wenn der Betroffene, der nicht in der Lage und nicht berufen war, einen solchen Überfall zu verhindern, stattdessen - ersichtlich - ohne Verständigung der Polizei in grob verkehrswidriger und -gefährdender Weis unter vielfacher Mißachtung von Verkehrsvorschriften von Bergher nach Hagen fuhr, so war das nicht gerechtfertigt.

II.

Einen sachlich-rechtlichen Fehler enthalten jedoch die Ausführungen des Amtsgerichts zur Bemessung des Bußgeldes und zur Verhängung des Fahrverbotes.

Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, daß sich das Amtsgericht der Wechselwirkung zwischen Bußgeld und Fahrverbot und der Möglichkeit bewußt war, daß von der Verhängung eines Fahrverbotes unter Verhängung einer angemessen erhöhten Geldbuße abgesehen werden kann (§ 2 Abs. 4 BKatV). Ausführungen hierzu wären erforderlich gewesen, auch wenn die von dem Betroffenen behaupteten Umstände - ihre Richtigkeit unterstellt - aus den oben dargelegten Gründen keinen Anlaß geben, ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen. Daß der Betroffene früher Polzeibeamter war, gibt zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlaß. Für ihn war unschwer erkennbar, daß sein Verhalten ungeeignet und unvertretbar war, um einen möglicherweise drohenden Überfall auf einen Geldtransport zu verhindern.

Die - teilweise - Aufhebung des Urteils beruht auf §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 StPO. Die Zurückverweisung der Sache im Umfang der Urteilsaufhebung für die Vorinstanz folgt aus § 79 Abs. 6 OWiG.

Der Senat hat von der weiteren Möglichkeit des § 79 Abs. 6 OWiG, in der Sache selbst zu entscheiden, keinen Gebrauch gemacht, da nicht auszuschließen ist, daß die neue Hauptverhandlung weitere, für die Rechtsfolgenentscheidung bedeutsame Ergebnisse erbringt.