LG Bielefeld - Urteil vom 14.09.07

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Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Im zu entscheidenden Fall hatte ein Motorrad eine abbremsende Fahrzeugkolonne überholt, an deren Spitze ein anderer Motorradfahrer zum Linksabbiegen angesetzt hatte. Das Gericht hat eine Haftungsverteilung von 80 zu 20 Prozent zu Lasten des überholenden Motorradfahrers angenommen.

2. Kreditzinsen sind als Schadensposition nur dann erstattungsfähig, wenn der Geschädigte darlegt, dass er den Kredit nur zur Finanzierung der Unfallregulierung aufgenommen hat oder dass er mit den beanpruchten Schadensersatzleistungen einen bestehenden Kredit tilgen will.

 

Landgericht Bielefeld

Urteil vom 14.09.2007

8 O 96/07

Aus dem Tatbestand:

Der Kläger macht Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 23.08.2006 in Minden geltend.

Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad, einer Harley Davidson mit dem amtlichen Kennzeichen (...), den P. Weg stadtauswärts in Fahrtrichtung K.. In Höhe des Hauses P. Weg (...) wollte er nach links in das dortige Grundstück einbiegen. Der P. Weg verfügt in diesem Bereich über eine Fahrbahn für jede Richtung; die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 km/h. Wegen der Örtlichkeiten wird im Übrigen auf die von dem Sachverständigen R. gefertigte Fotoanlage (Blatt 86-91 der Akte) verwiesen.

Bei seiner Annäherung an die Abbiegestelle fuhren zunächst drei Pkws hinter dem Kläger: direkt hinter dem Kläger folgte ein namentlich nicht erfasster Fahrer, hinter diesem fuhr die Zeugin C. D. und hinter dieser folgte die Zeugin U. H. Hinter diesen Pkws folgte wiederum der Beklagte zu 1) mit einem Motorrad der Marke Kawasaki mit dem amtlichen Kennzeichen (...), deren Halter der Beklagte zu 2) und welches zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert war. Der Beklagte zu 1) überholte die vor ihm fahrenden Fahrzeuge und kollidierte auf der Gegenfahrbahn mit dem im Abbiegevorgang befindlichen Motorrad des Klägers.

Dabei wurde das Motorrad des Klägers beschädigt und der Kläger erheblich verletzt.

Der Unfall wurde polizeilich aufgenommen; dabei wurde eine Verkehrsunfallanzeige, eine Verkehrsunfallskizze und eine Lichtbildmappe gefertigt.

Der Kläger beauftragte nach dem Unfall den Sachverständigen W. mit der Begutachtung der Beschädigungen seines Motorrades. Dieser ermittelte nach Besichtigung des Fahrzeuges in seinem Gutachten vom 24.8.2006 (Anlage K1, Blatt 5-15 der Akte) Reparaturkosten in Höhe von 18.052,74 € netto, einen Wiederbeschaffungswert von 19.000 € sowie einen Restwert von 4.000 €. Die Wiederbeschaffungsdauer gab er mit 16-20 Werktagen an. Für die Erstellung des Gutachtens stellte der Sachverständige W. dem Kläger unter dem 26.9.2006 einen Betrag von 959,09 € brutto in Rechnung (Anlage K2, Blatt 16 der Akte).

Der Kläger meldete gegenüber der Beklagten zu 3) mit anwaltlichen Schreiben vom 18.9. und 2.10.2006 seine Ansprüche an. Zuletzt forderte er mit anwaltlichem Schreiben vom 30.10.2006 unter Fristsetzung bis zum 7.11.2006 die Begleichung der zuvor geltend gemachten Schadensbeträge (Anlage K5, Blatt 71 der Akte)

Die Beklagte zu 3) leistete auf die geltend gemachten Schäden des Klägers auf der Grundlage einer Haftungsquote von 70 % einen Betrag von 11.996,62 €.

Der Kläger trägt vor:

Bei seiner Annäherung an die Grundstückseinfahrt habe er in den Rückspiegel geschaut, den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und die Fahrgeschwindigkeit verlangsamt. Nach entsprechenden Schulterblicken sei er in Begriff gewesen, nach links abzubiegen. Als er den Abbiegevorgang bereits nahezu vollendet gehabt habe, sei der Beklagte zu 1) "wie aus dem Nichts" aufgetaucht. Sein Vorderrad habe sich nur wenige Zentimeter vor der Grundstückseinfahrt befunden, als er laute Kollisionsgeräusche und einen starken Einschlag am Heck seines Motorrades vernommen habe.

Der Beklagte zu 1) habe die vor ihm fahrenden Fahrzeuge, welche ihre Fahrweise und ihre Geschwindigkeit angepasst hätten, mit übersetzter Geschwindigkeit überholt. Der Kläger habe seinen Abbiegevorgang nach links in dem Moment ausgeführt habe, als der Beklagte zu 1) die Zeugin H. überholte, was für den Kläger nicht erkennbar gewesen sei.

Seine materiellen und immateriellen Ansprüche beziffert er mit 5.141,41 €, wobei er folgende Schadensberechnung zugrundelegt:

- Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert: 15.000,00 €

- Abschleppkosten: 258,49 €

- Sachverständigenkosten: 959,09 €

- Schmerzensgeld: 900,00 €

- Kostenpauschale: 20,45 €

17.138,03 €

-abzüglich gezahlter 11.996,62 €

5.141,41 €

Hinsichtlich der geltend gemachten Zinsforderung trägt er vor, dass er einen Bankkredit in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe in Anspruch nehme, den er mit 8 % p.a. zu verzinsen habe. Hierzu verweist er auf einen als Anlage K6 zur Klageschrift vorgelegten Jahreskontoauszug 2006 der V.-bank M.–H.–P. (Blatt 23-24 der Akte).

Der Kläger beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 5.141,41 € nebst 8 % Jahreszinsen seit dem 8.11.2006 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen vor:

Aus dem Unfallgeschehen ergebe sich, dass der Kläger es an der gebotenen Aufmerksamkeit beim Abbiegen auf das Grundstück habe missen lassen. Sie bestreiten mit Nichtwissen, dass der Kläger seine Abbiegeabsicht rechtzeitig und deutlich angezeigt habe. In jedem Falle habe er aber dem Gebot der doppelten Rückschau nicht entsprochen. Hätte der Kläger zweite Rückschau gehalten, hätte er den im Überholvorgang befindlichen Beklagten zu 1) nicht übersehen können. Für ein alleiniges Verschulden des Klägers als Abbiegenden spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins.

Die Beklagten bestreiten den geltend gemachten Zinsschaden nach Grund und Höhe; das Darlehen, auf welches der Kläger sich beziehe, sei bereits im Februar 2006 ausgezahlt worden und habe infolgedessen mit dem hier in Rede stehenden Unfallgeschehen nichts zu tun.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeuginnen C. D. und U. H. sowie durch ein mündlich erstattetes Gutachten des Sachverständigen H. –D. R.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10.8.2007 nebst Anlagen verwiesen (Blatt 82-96 der Akte).

 

Aus den Entscheidungsgründen:

Die zulässige Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I.

Die Beklagten haften dem Kläger für seinen Schaden aus dem Unfallereignis vom 23.8.2006 gemäß §§ 7 Abs. 1 (Beklagter zu 2), 18 Abs. 1 S. 1 (Beklagter zu 1) , 3 Nr. 1 PflVG (Beklagter zu 3) – nach einer Quote von 80 %. Danach hat er einen Schadensersatzanspruch von noch 1.713,80 € gegen die Beklagten als Gesamtschuldner (§ 3 Nr. 2 PflVG).

1. Die Haftung ist weder für den Kläger noch für die Beklagten nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da der Unfall nicht durch höhere Gewalt verursacht worden ist. Durch § 7 Abs. 2 StVG sollen solche Risiken ausgeschaltet werden, die nichts mit dem Kraftfahrzeugbetrieb zu tun haben und bei rechtlicher Beurteilung nicht diesem, sondern ausschließlich einem Drittereignis zuzurechnen sind. Im vorliegenden Fall ist das Unfallereignis zweifelsfrei dem Kraftfahrzeugbetrieb der unfallbeteiligten Motorräder zuzurechnen.

2.

Der Unfall war auch für keine der Parteien unabwendbar gemäß § 17 Abs. 3 StVG und der Beklagte zu 1) konnte sich nicht nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG exkulpieren.

Für den Unabwendbarkeitsnachweis nach § 17 Abs. 3 StVG trägt derjenige die Beweislast, der sich darauf beruft. Als unabwendbar gilt ein Unfallereignis aber nur dann, wenn die äußerst mögliche Sorgfalt beachtet worden ist.

a)

Der Beklagte zu 1) hat nicht nur die äußerst mögliche Sorgfalt, sondern darüber hinaus auch die verkehrserforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen noch ergeben wird. Dementsprechend haben die Beklagten auch nicht die Verschuldensvermutung aus § 18 Abs. 1 S. 2 StVG widerlegt.

b)

Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme (§ 286 ZPO) konnte aber auch der Kläger nicht den Nachweis der Unabwendbarkeit des Unfalls führen. Zwar ist – wie noch auszuführen sein wird – ein verkehrswidriges Verhalten des Klägers nicht feststellbar. Doch kann auch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass der Kläger die äußerst mögliche Sorgfalt beachtet hat.

Eine Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens für den Kläger könnte nur dann angenommen werden, wenn er unmittelbar vor Beginn seines Abbiegevorgangs – also zum Zeitpunkt der sogenannten zweiten Rückschaupflicht (§ 9 Abs. 1 S. 4 StVO) – das Überholen des Beklagten zu 1) nicht hätte erkennen können. Dies ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme indes nicht feststellbar; vielmehr ist das Unfallgeschehen diesbezüglich nicht hinreichend aufklärbar.

Der Kläger hat hierzu in seiner persönlichen Anhörung nachvollziehbar erklärt, dass er sich unmittelbar vor dem Abbiegen noch einmal umgeschaut und dabei das andere Motorrad überhaupt nicht gesehen habe. Daraus kann aber noch nicht gefolgert werden, dass das überholende Motorrad für ihn zu diesem Zeitpunkt auch nicht erkennbar war. Die Aussage der Zeugin H. gibt hierzu nichts her. Sie hat bekundet, nicht gesehen zu haben, wie das Motorrad zum Überholen angesetzt habe; sie habe es erst gesehen, als es sich neben ihr auf der Gegenfahrbahn befunden habe.

Auch aus der Aussage der Zeugin D. kann nicht zuverlässig auf den genauen Ablauf geschlossen werden Sie hat bekundet, als das andere Motorrad von hinten gekommen sei, habe sich das andere Motorrad bereits im Abbiegevorgang befunden. Das von hinten kommende Motorrad habe gerade zum Überholen angesetzt, als sie in den Spiegel geschaut habe. Aus dieser Schilderung der Zeugin kann aber nicht zuverlässig auf den genauen zeitlichen Ablauf geschlossen werden; die Zeugin konnte das Motorrad des Beklagten zu 1) erst nach dem Überholen im Rückspiegel auf der Gegenfahrbahn erkennen. Die Zeugin hat angegeben, dass das Abbiegen und das Herannahen "etwa zeitgleich" gewesen sei; die Zeugin konnte aber nicht gleichzeitig nach vorne und nach hinten schauen. Ob das von ihr beschriebene Ansetzen zum Überholen erst nach dem Zeitpunkt der dem Kläger obliegenden zweiten Rückschau erfolgt ist, kann aus ihrer Aussage daher nicht mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden.

Schließlich bleibt auch unter Berücksichtigung der Feststellungen des gerichtsbekannten und erfahrenen Sachverständigen R. offen, ob der Kläger unmittelbar vor dem Abbiegen den Beklagten zu 1) hätte erkennen können oder nicht. Der Sachverständige hat unter sorgfältiger Auswertung der ihm zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen die Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) berechnet und dabei eine Mindestgeschwindigkeit von 74 km/h ermittelt; ebenso könnten nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen auch Geschwindigkeiten von bis zu 101 km/h errechnet werden. Eine genauere Eingrenzung sei im Hinblick auf den Auslauf eines Krades nicht möglich. Auch unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeuginnen H. und D. ist insoweit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, mit welcher Geschwindigkeit der Beklagte zu 1) unterwegs war. Die Zeuginnen haben zwar bekundet, dass das überholende Fahrzeug schnell unterwegs gewesen sei. Aus den Aussagen der Zeuginnen kann allerdings nicht auf eine Geschwindigkeit geschlossen werden, die (deutlich) über die von dem Sachverständigen ermittelte Mindestgeschwindigkeit von 74 km/h hinausgeht. Erst bei der Annahme einer Geschwindigkeit im Bereich von 100 km/h ist es aber nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen, denen das Gericht beitritt, möglich, dass das überholende Motorrad beim Abbiegen für den Kläger noch nicht zu erkennen war.

Nach alledem ist für das Gericht nicht mit der für ein positives Beweisergebnis hinreichenden Gewissheit feststellbar, dass für den Kläger unmittelbar vor dem Abbiegen das Überholen des Beklagten zu 1) nicht erkennbar war.

3.

In die danach vorzunehmende Haftungsabwägung sind neben der aus § 7 Abs. 1 StVG folgenden Betriebsgefahr nur solche gefahrerhöhenden Umstände einzubeziehen, deren Vorliegen feststeht, die also unstreitig oder nach dem Beweismaß des § 286 ZPO bewiesen sind. Dabei hat grundsätzlich jede Partei, die dem Unfallgegner ein verkehrswidriges Verhalten vorwirft, den entsprechenden Nachweis zu führen.

Im vorliegenden Fall ist danach einzubeziehen, dass der Beklagte zu 1) mit überhöhter Geschwindigkeit bei unklarer Verkehrslage überholt hat. Ein verkehrswidriges Verhalten des Klägers ist dagegen nicht feststellbar.

a)

Für das Gericht steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Beklagte zu 1) unter Verstoß gegen § 3 StVO mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist und entgegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bei unklarer Verkehrslage überholt hat.

aa)

Hinsichtlich der von dem Beklagten zu 1) gefahrenen Geschwindigkeit ist allerdings nur von einer Geschwindigkeit von 74 km/h auszugehen. Dagegen kann – wie bereits ausgeführt – eine Geschwindigkeit von 100 km/h nicht festgestellt werden. Aus den Aussagen der Zeuginnen D. und H. kann nicht zuverlässig auf eine über die von dem Sachverständigen R. festgestellte Mindestgeschwindigkeit von 74 km/h geschlossen; denn bei den Angaben der Zeuginnen, die ihre eigenen Fahrzeuge führten, handelt es naturgemäß um bloße Schätzungen. Im Hinblick auf die Geschwindigkeitsangaben kommt den Zeugenaussagen schon wegen der grundsätzlichen Schwierigkeit zutreffender Geschwindigkeitsangaben kein eigentlicher Beweiswert zu.

bb)

Ferner hat der Beklagte zu 1) bei unklarer Verkehrslage überholt. Eine unklare Verkehrslage, die nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ein Überholen verbietet, liegt vor, wenn nach allen Umständen mit ungefährdetem Überholen nicht gerechnet werden darf. Sie ist auch dann gegeben, wenn sich nicht sicher beurteilen lässt, was Vorausfahrende gleich tun werden. Dies ist dann der Fall, wenn bei einem Vorausfahrenden der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird und dies der nachfolgende Verkehr erkennen konnte (vgl. KG, NZV 2003, 89).

Im vorliegenden Fall ergab sich die unklare Verkehrslage für den Beklagten zu 1) aus der Fahrweise des Klägers und der nachfolgenden Fahrzeuge. Vor dem Beklagten zu 1) fuhren mehrere Fahrzeuge nacheinander. Die Zeugin H. hat bestätigt, dass der Kläger sich vor dem Abbiegen nach links eingeordnet, seine Fahrt verlangsamt und geblinkt hat. Die Zeugin D. hat ebenfalls bestätigt, dass der Kläger vor dem Abbiegen seitlich versetzt nach links fuhr und dass die hinter dem Kläger fahrenden Fahrzeuge langsamer geworden sind. Die nachfolgenden Fahrzeuge haben also die Abbiegeabsicht des Klägers erfasst und ihre Fahrweise entsprechend angepasst. Ungeachtet dessen hat sich der Beklagte zu 1) dazu entschlossen, die vor ihm fahrenden Pkws zu überholen. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, ob der Beklagte zu 1) vor dem Ausscheren zum Überholen den Kläger bereits erkennen konnte oder ob dieser durch die anderen Fahrzeuge verdeckt gewesen ist. Zum einen würde sich die unklare Verkehrslage in diesem Falle bereits daraus ergeben, dass in diesem Falle mehrere Fahrzeuge ohne ersichtlichen Grund auf freier Strecke ihre Fahrzeuge verlangsamt hätten. Zum anderen ergab sich für ihn die unklare Verkehrslage zumindest während des Überholvorganges. Denn spätestens nach dem Ausscheren und Ansetzen zum Überholen hätte er angesichts des von den Zeuginnen H. und D. glaubhaft bestätigten Fahrverhaltens des Klägers erkennen können und müssen, dass der Kläger beabsichtigt, nach links abzubiegen. Insoweit hätte er auf das Überholen verzichten müssen oder zumindest spätestens nach dem Überholen des ersten Fahrzeuges den Überholvorgang abbrechen und wieder einscheren müssen. Die unklare Verkehrslage hat sich also spätestens im Verlauf des von dem Beklagten zu 1) geplanten Überholens mehrerer Fahrzeuge ergeben. Nichtsdestotrotz hat er seinen Überholvorgang fortgesetzt und damit bei unklarer Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO überholt.

b)

Dagegen ist nicht feststellbar, dass der Kläger beim Abbiegen in das Grundstück gegen die Sorgfaltsanforderungen aus §§ 9 Abs. 1, 5 StVO verstoßen hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten spricht kein Anscheinsbeweis gegen den Kläger. Die Anwendung des Anscheinsbeweises bei Verkehrsunfällen setzt Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach allgemeiner Lebenserfahrung zunächst der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (OLG Hamm, NJW-RR 2004, 172). Kommt es zwischen einem nach links abbiegenden Kraftfahrer und einem überholenden Fahrzeug zum Unfall, spricht regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der nach links abbiegende Kraftfahrer die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt hat (KG, NZV 2005, 413).

Allein das Kerngeschehen einer Kollision eines Linksabbiegers mit einem Überholenden als solches reicht aber dann als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfalles bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (OLG Hamm, NJW-RR 2004, 172). Davon ausgehend hat das OLG Hamm in einer Entscheidung vom 23.2.2006 (NZV 2007, 77) einen Anscheinsbeweis für den Fall verneint, dass der von hinten kommende Fahrzeugführer dem Linksabbieger nicht unmittelbar gefolgt ist, sondern eine kleine Kolonne (zwei Fahrzeuge) überholt hat und dann mit dem abbiegenden Spitzenfahrzeug zusammengestoßen ist. In dem dortigen Fall ließ sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen, dass der Linksabbieger unmittelbar vor dem Abbiegen nicht hinreichend auf den Verkehr geachtet hat, weil nicht feststellbar war, ob der Überholende unmittelbar vor dem Abbiegen für den Linksabbieger erkennbar war.

So liegt der Fall hier ebenfalls. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nicht feststellbar, ob der Beklagte zu 1) unmittelbar vor dem Abbiegen für den Kläger erkennbar war. Dies hängt – wie bereits ausgeführt – von der Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) ab, die aber nicht abschließend geklärt werden kann. Nach den Feststellungen des Sachverständigen kann eine Mindestgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) von 74 km/h sicher angenommen werden. Aber auch Geschwindigkeiten von bis zu 101 km/h können danach aus technischer Sicht ohne weiteres berechnet werden. Bei einer Geschwindigkeit von 101 km/h ergibt sich aber die Möglichkeit, dass der Beklagte zu 1) beim Abbiegen für den Kläger noch nicht erkennbar war. Letztlich ist dieser Umstand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht hinreichend aufklärbar; dies geht zu Lasten der Beklagten. Es ist nämlich verfehlt, den Anscheinsbeweis an ein Einzelelement des Sachverhalts, nämlich das Linksabbiegen anzuknüpfen. Angesichts des Umstandes, dass der Beklagte zu 1) dem Kläger nicht unmittelbar gefolgt ist, sondern erst mehrere andere Pkws überholt hat und dann mit dem Kläger kollidiert ist, lässt sich eine konkrete Typizität nicht annehmen. Eine Sorgfaltspflichtverletzung lässt sich in dieser Konstellation auch nicht im Wege des Anscheinsbeweises feststellen.

Die Beklagten haben den ihnen danach obliegenden vollen Nachweis einer Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers beim Abbiegen nicht führen können. Wie bereits ausgeführt ist aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeuginnen H. und D. davon auszugehen, dass der Kläger den linken Blinker gesetzt und sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet hat. Dass der Kläger gegen die zweite Rückschaupflicht aus § 9 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen hat, konnten die Beklagten nicht beweisen. Denn insoweit ist nicht hinreichend aufklärbar, ob der Beklagte zu 1) unmittelbar vor dem Abbiegen für den Kläger überhaupt erkennbar war.

c)

Bei der nach §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge überwiegt die schuldhaft herbeigeführte Erhöhung der Betriebsgefahr des von dem Beklagten zu 1) geführten Motorrades deutlich.

In die Abwägung dürfen – wie bereits ausgeführt – nur solche gefahrerhöhenden Umstände einbezogen werden, deren Vorliegen feststeht. Im vorliegenden Fall ist daher als verkehrswidrige Verhaltensweise zum Nachteil der Beklagten die überhöhte Geschwindigkeit von 74 km/h und das Überholen bei unklarer Verkehrslage zu berücksichtigen. Im übrigen bleibt der Unfallablauf nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ungeklärt.

Die feststehende verkehrswidrige Fahrweise des Beklagten zu 1) bewirkt eine Haftungsverschiebung zu Ungunsten der Beklagten. Die Betriebsgefahr des vom Kläger geführten Motorrades, welche durch das Linksabbiegen in eine Grundstückszufahrt erhöht worden ist, tritt hinter dem feststellbaren Fehlverhalten des Beklagten zu 1) aber nicht völlig zurück. Nach dem Dafürhalten des Gerichts ist davon ausgehend eine Haftungsquote von 80 % zu 20 % zu Lasten der Beklagten angemessen.

4.

Ausgehend von dieser Haftungsquote kann der Kläger 80 % der ihm entstandenen Schäden ersetzt verlangen. Der unfallbedingte Schaden des Klägers aus dem Unfallereignis vom 23.8.2006 ist unstreitig in Höhe von 17.138,03 € ersatzfähig.

Unter Berücksichtigung der Haftungsquote von 80 % folgt daraus eine Schadensersatzforderung von 13.710,42 €. In Höhe von 11.996,62 € ist die Forderung durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB), so dass noch ein Anspruch in Höhe von 1.713,80 € verbleibt.

II.

Daneben hat der Kläger einen Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit dem 8.11.2006 aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB.

Die Beklagten sind nach Ablauf der in dem Schreiben vom 30.10.2006 bis zum 7.11.2006 gesetzten Frist in Verzug geraten. Der Kläger hat danach gemäß § 288 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

Dagegen kann der Kläger keinen Ersatz von aufgewendeten Kreditzinsen in Höhe von 8 % Jahreszinsen verlangen. Nach § 288 Abs. 4 BGB ist die Geltendmachung einer höheren, also über § 288 Abs. 1 BGB hinausgehenden Zinsforderung nicht ausgeschlossen. Der Zinsschaden kann dabei in der Aufwendung von Kreditzinsen bestehen. Der Kläger hat durch die Vorlage des Jahreskontoauszuges 2006 der V-Bank (...) (Anlage K6, Blatt 22 der Akte) dargelegt, dass er einen mit 8 % Jahreszinsen verzinslichen Bankkredit in Anspruch genommen hat. Es ist auch nicht notwendig, dass der Gläubiger – hier der Kläger – gerade wegen der Klageforderung einen Kredit aufgenommen hat (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Auflage, § 288, Rn. 14). Ungeachtet dessen rechtfertigt es sich nicht, die Aufwendung der Kreditzinsen als erstattungsfähigen Zinsschaden zu berücksichtigen. Macht der Gläubiger den Ersatz zusätzlicher Kreditzinsen geltend, so hat er grundsätzlich darzulegen und zu beweisen, dass ihm ein entsprechender Schaden entstanden ist. Dabei ist danach zu differenzieren, ob der Kredit bereits vor oder erst nach Verzugseintritt aufgenommen wurde. Hat der Gläubiger bereits vor Verzugseintritt einen Kredit aufgenommen und verlangt er Ersatz der dafür aufgewandten Zinsen für den Zeitraum des Verzuges, so ist er für die Absicht, bei rechtzeitiger Zahlung des Schuldners den Kredit entsprechend abzutragen, darlegungs- und beweispflichtig (LG Koblenz, NJW-RR 1991, 171, 172). Hier hat der Kläger das Darlehen ausweislich des vorgelegten Jahreskontoauszuges bereits im Februar 2006 und mithin vor Verzugseintritt aufgenommen. Im Zusammenhang mit dem Zinsanspruch hat er aber nichts dazu vorgetragen, dass bei rechtzeitiger Zahlung der Beklagten eine Verringerung des Kreditvolumens möglich und beabsichtigt war.

(...)