OLG Hamm - Beschluss vom 06.09.07

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Zum Inhalt der Entscheidung: Das Bußgeldurteil muß Feststellungen zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten, so dass es dem Rechtsbeschwerdegericht ermöglicht wird zu prüfen, ob die Verhängung eines Fahrverbots etwa wegen besonderer Umstände in den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen eine unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt.

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom 06.09.2007

3 Ss OWi 319/07

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Minden hat mit dem angefochtenen Urteil gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaft eine Geldbuße von 75,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Durch Beschluss vom 12.03.2007 hat das Amtsgericht den Tenor des vorgenannten Urteils dahin ergänzt, dass die Vier-Monats-Frist gewährt wird.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

"Gegen den Betroffenen, der ein geregeltes Einkommen hat und gegen den im Verkehrsregister zwei Eintragungen vorhanden sind, die lauten:

1. Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von 50 km/h mit 72 km/h um 22 km/h am 23.08.2004, 11.00 Uhr in Q, Rechtsgrundlagen §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG, 11.3.4 Bkat.

2. Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 70 km/h mit 108 km/h um 38 km/h am 23.06.2005, 17.11 Uhr in Q2, Rechtsgrundlagen §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG, 11.3.6 Bkat

ist folgender Bußgeldbescheid ergangen:

Sehr geehrter Herr O,

Ihnen wird vorgeworfen, am 07.03.2006 um 16.13 Uhr in N B 482, Abs. 12, km 1,9 als Führer und Halter des Pkw Jaguar ####lgende Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG begangen zu haben:

Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 100 km/h; festgestellte Geschwindigkeit (abzgl. Toleranz) 130 km/h.

§ 3 Abs. 3, § 49 StVO; § 24, § 25 Abs. 2 a StVG; 11.3.5 Bkat

Regelgeldbuße erhöht, da schon Eintragungen beim Kraftfahrt-Bundesamt.

Fahrverbot, da bereits 2. Überschreitung von mindestens 26 km/h innerhalb eines Jahres

Bemerkungen/Tatfolgen: Riegl. LR 90-235/P, Serien-Nr.: 1177/96, geeicht bis 12/06, Lasermessung. Es wurde eine Geldbuße von 75,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat unter Zubilligung der Abgabefrist von vier Monaten festgesetzt."

In den Urteilsgründen wird sodann ausgeführt:

"Der Betroffene hat Fahrereigenschaft und Messwert nicht bestritten. Er hat zumindest fahrlässig die Geschwindigkeit von 100 km/h um 30 km/h überschritten.

Messwert: 135 km/h

Toleranz 5 km/h.

Messung mit geeichtem Gerät Riegl. LR 90 L 35 P, geeicht bis 12/06."

Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht im Anschluss an die wörtliche Wiedergabe eines Schreibens des Steuerberaters des Betroffenen und der Anmerkung, dass sich der Betroffene in der Sitzung auf diesen Schriftsatz berufen habe, wie folgt begründet:

"Dies konnte jedoch nicht dazu führen vom Fahrverbot abzusehen. Der Betroffene ist zweimal wegen Geschwindigkeitsüberschreitung aufgefallen, - letztmalig am 23.06.2005 wegen einer Überschreitung von 38 km/h. Er hat ein Aufbauseminar gem. § 4 VIII StVG (ASP) vom 12.08.2006 bis 26.08.2006 besucht, d. h. dies geschah vorausschauend wegen der hier zugrundeliegenden dritten Tat.

Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch das Fahrverbot sind zwar nicht von der Hand zuweisen. Diese reichend jedoch keinesfalls aus, vom Fahrverbot abzusehen. Eine Organisation der Tätigkeit ggf. Fahren mit dem Taxi bieten sich als Überbrückung an. Deshalb war – wie im Tenor niedergelegt – zu entscheiden. Die Vier-Monats-Frist sollte gewährt werden, wurde aber vergessen."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der sowohl die Verletzung formellen als auch materiellen Rechts gerügt wird.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat mit der erhobenen Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Angesichts dessen konnte es dahingestellt bleiben, ob die außerdem erhobene Verfahrensrüge hier durchgreift, da sie der Rechtsbeschwerde im Falle ihrer Begründetheit zu keinem weitergehenden Erfolg hätte verhelfen können.

Der Schuldausspruch des angefochtenen Urteils kann schon deshalb keinen Bestand haben, da die Urteilsgründe seine Überprüfung dem Rechtsbeschwerdegericht nicht ermöglichen. An die Urteilsgründe in Bußgeldsachen sind zwar keine hohen Anforderungen zu stellen. Die Gründe müssen aber gleichwohl so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung (hinsichtlich der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale) entnehmen kann, welche Feststellungen der Amtsrichter getroffen hat (vgl. Seitz in Göhler, OWiG 14. Aufl, § 71 Rdnr. 42). Hier lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht feststellen, ob der Amtsrichter lediglich den Inhalt des Bußgeldbescheides aus den Akten übernommen hat, oder ob er insoweit in der Hauptverhandlung eigene Feststellungen getroffen hat. Eine Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid ist aber, wenn die Voraussetzungen für eine abgekürzte Urteilsbegründung nicht vorliegen, was hier der Fall ist, nicht zulässig. Das Gericht muss sich vielmehr selbst mit der Beschuldigung, den hierzu in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen auseinandersetzen; es kann sich also nicht auf den Akteninhalt beschränken (vgl. Seitz, a.a.O.).

Aber selbst, wenn der Amtsrichter eigene Feststellungen entsprechend dem Inhalt des in den Urteilsgründen wiedergegebenen Bußgeldbescheides getroffen haben sollte, hält der Schuldausspruch einer rechtlichen Prüfung nicht Stand, da das angefochtene Urteil auch keine Überprüfung der Beweiswürdigung und damit der Feststellungsgrundlagen ermöglicht. Hinsichtlich der Beweiswürdigung müssen die Urteilsgründe in der Regel auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob sowie gegebenenfalls aus welchen Gründen das Gericht dieser Einlassung folgt und inwieweit es seine Einlassung als widerlegt ansieht (vgl. Seitz, a.a.O., § 71 Rdnr. 43). Räumt der Betroffene die ihm vorgeworfene Tat nicht in vollem Umfang glaubhaft ein, so sind die tragenden Beweismittel und deren Würdigung anzugeben (vgl. Seitz, a.a.O., § 71 Rdnr. 43 a).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

Ein Geständnis des Angeklagten im oben beschriebenen Sinne ist nach den Urteilsgründen nicht erfolgt. Vielmehr hat der Betroffene lediglich "Fahrereigenschaft und Messwert nicht bestritten". Durch dieses Verhalten hat der Betroffene weder die ihm zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit noch seine Täterschaft vollumfänglich eingeräumt, so dass in den Urteilsgründen hätte dargelegt werden müssen, worauf die Angaben zu dem zur Anwendung gelangten Messverfahren, zu dem Messwert und zu dem in Abzug gebrachten Toleranzwert beruhen sowie insbesondere, worauf sich die Überzeugung des Amtsrichters von der Täterschaft des Betroffenen stützt. Es ist hier mangels dieser Angaben für das Rechtsbeschwerdegericht nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Feststellungen und Grundlagen der Amtsrichter den Betroffenen als der ihm zur Last gelegten Tat überführt angesehen hat.

Darüber hinaus hält auch der Rechtsfolgenausspruch einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.

Das angefochtene Urteil enthält nämlich keine Feststellung zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen des Betroffenen. Das in den Urteilsgründen wörtlich wiedergegebene Schreiben des Steuerberaters des Betroffenen ersetzt diese notwendigen Feststellungen nicht. Dem Rechtsbeschwerdegericht ist es daher nicht möglich zu prüfen, ob die Verhängung eines Fahrverbots etwa wegen besonderer Umstände in den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen eine unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt. Die Notwendigkeit, hierzu Feststellungen zu treffen, entfällt auch nicht deshalb, weil der Regelfall nach Bußgeldkatalogverordnung vorliegt. Denn gemindert ist in solchen Fällen für den Tatrichter allein der notwendige Begründungsaufwand (vgl. Senatsbeschluss vom 12.02.2003 – 3 SsOWi 21/04 – m. w. N.). Schließlich ist hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs zu beanstanden, dass dieser in Abweichung zu dem Urteilstenor keine Bußgeldzumessung enthält.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dabei hielt der Senat es für angebracht, von der Möglichkeit einer Zurückweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden gem. § 79 Abs. 6 OWiG (vgl. Seitz, a.a.O., § 79 Rdnr. 48) Gebrauch zu machen.

(...)