AG Essen - Urteil vom 25.11.05

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Zum Inhalt der Entscheidung: Absehen vom Fahrverbot trotz fünf verwertbarer Voreintragungen im Verkehrszentralregister. Das Gericht hat eine Geldbuße von 1.000,-- € (Regelsatz 100,-- €) verhängt und von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen. Bedeutsam für das Absehen vom Fahrverbot war für das Gericht der konkret drohende Verlust des Arbeitsplatzes, der freiwillige Besuch eines Aufbauseminars und einer verkehrspsychologischen Beratung und der Umstand, dass die Mehrzahl der Voreintragungen bereits einige Zeit zurücklagen.

Amtsgericht Essen

Urteil vom 25.11.2005

49 OWi 82 Js 1374/05 (626/05)


Aus den Gründen:


Der am (...) in (...) geborene Betroffene ist ledig und kinderlos. Der gelernte Einzelhandelskaufmann ist derzeit als kaufmännischer Angestellter im Außendienst für die Firma (...) tätig. Dem Betroffenen stehen netto ca. 1.290,00 € zur Verfügung.

Der Betroffene ist straßenverkehrsrechtlich bereits mehrfach in Erscheinung getreten. Der Verkehrszentralregisterauszug vom 31.05.2005 enthält 7 Eintragungen:

1. Mit Bußgeldbescheid vom 23.06.2000 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h eine Geldbuße von 100,00 DM festgesetzt. Diese Eintragung ist tilgungsreif und darf daher nicht mehr verwertet werden.

2. Mit Bußgeldbescheid vom 15.05.2001 wurde der Betroffene wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 37 km/h eine Geldbuße von 225,00 DM festgesetzt. Die Entscheidung ist rechtskräftig seit 06.06.2001.

3. Am 03.07.2001 wurde gegen den Betroffenen wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstands zum vorausfahrenden Kraftfahrzeug, der Abstand betrug weniger als 2/10 des halben Tachowertes. Gemessene Geschwindigkeit: 159 km/h. Gemessener Abstand: 14,6 m (abzüglich der Toleranz). Es wurde eine Geldbuße von 300,00 DM und ein 1-monatiges Fahrverbot festgesetzt.

4. Die Fahrverbotsfrist lief am 19.02.2002 ab.

5. Am 23.11.2001 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 29 km/h eine Geldbuße von 107,37 €, sowie ein 1-monatiges Fahrverbot festgesetzt.

6. Am 22.11.2002 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 36 km/h eine Geldbuße von 155,00 € sowie ein 1-monatiges Fahrverbot festgesetzt.

7. Am 07.01.2004 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von 23 km/h eine Geldbuße von 50,00 € festgesetzt.

In der Sache hat das Gericht folgende Feststellungen getroffen:

Am 27.04.2004 gegen 00:04 Uhr befuhr der Betroffene mit dem PKW, amtliches Kennzeichen (...), die (...) in Essen. Zu dieser Zeit wurde an besagter Stelle mit dem Messgerät MU VR 6F (...), welches bis zum 31.12.2006 geeicht war, eine gezielte Geschwindigkeitsüberwachung über die Einhaltung der an dieser Stelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h durchgeführt. Dabei wurde der von dem Betroffenen gesteuerte PKW mit einer Geschwindigkeit von 102 km/h abzüglich Toleranz gemessen. Nachgewiesen werden konnte dem Betroffenen hier nur eine vorwerfbare Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 km/h.

Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der in der Hauptverhandlung vom 25.11.2005 erhobenen Beweise, wie sie sich aus der Sitzungsniederschrift der Hauptverhandlung ergeben.

Die protokollierte Geschwindigkeitsmessung hat zwar eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um vorwerfbare 42 km/h ergeben. Nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (...) waren jedoch weitere 2 km/h in Abzug zu bringen. Zur Klärung der Frage, ob die Geschwindigkeitsmessung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, hat das Gericht einen Sachverständigen beauftragt. In seinem Gutachten vom 18.10.2005 ist der Sachverständige Dipl.-Ing. (...) zu dem Ergebnis gekommen, dass sich keine Unstimmigkeiten oder Anhaltspunkte bei der Überprüfung der Radarmessung dahingehend ergeben, dass die Messung des betroffenen Fahrzeuges mittels des Radarmessverfahrens Multanova 6 F nicht korrekt gewesen sein könnte oder aber durch eine unsachgemäße Handhabung der Messperson zu Ungunsten des Betroffenen fehlerbehaftet war. Aufgrund einer erkennbaren Schrägstellung des Fahrzeugs des Betroffenen auf der Fahrbahn, welche einen Gierwinkel von ca. 1,6 Grad ergab, seien über die Verkehrsfehlergrenze hinaus jedoch weitere 2 km/h in Abzug zu bringen.

Der Sachverständige hat anhand der Auswertung des Radarfotos die exakte Fahrzeugposition des Fahrzeugs des Betroffenen auf der Fahrbahn vorgenommen. Anhand der Fotos und einer Besichtigung der Messstelle konnte der Betroffene ebenfalls die genauen geometrischen Verhältnisse der Fahrbahn, insbesondere die Länge des Freiraumes zwischen den Leitmarkierungen sowie die Breite ermitteln. Er führt weiter nachvollziehbar aus, dass sich aus den geometrischen Verhältnissen ein Gierwinkel, unter Berücksichtigung der an dem PKW des Betroffenen vorhanden Spurweitendifferenz der Vorder- und Hinterachse von ca. 1,6 Grad ermitteln lässt. Gemäß der Bedienungsanleitung des Radarmessgeräteherstellers sei für eine Abweichung von 1 Grad von dem geforderten Winkel zwischen Bewegungseinrichtung des gemessenen Fahrzeuges und dem Aufstellwinkel des Radarmessgerätes von 19 Grad, jedoch ein Abzug von 0,67 % der gemessenen Geschwindigkeit in Ansatz zu bringen. Bei einer gemessenen Geschwindigkeit von 106 km/h ergebe sich dabei bei einem Gierwinkel von ca. 1,6 Grad ein Wert von 2 km/h. Dieser könne über die Verkehrsfehlergrenze hinaus in Abzug gebracht werden. Die Ausführungen des Sachverständigen sind überzeugend und auch für einen Laien nachvollziehbar. Der Sachverständige belegt seine Angaben anhand von Skizzen und Fotos die mittels des Computers bearbeitet wurden. Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen hat das Gericht nicht.

Der Betroffene hat sich damit einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften von 40 km/h gemäß §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24, 25 StVG schuldig gemacht. Die Regelgeldbuße für einen solchen Verstoß beträgt nach Nr. 11.3.7 der Bußgeldkatalogverordnung 100,00 €. Tat- und schuldangemessen erschien unter Berücksichtigung der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und des Vorwurfs, der dem Betroffenen zu machen ist, sowie der persönlichen Verhältnisse die Regelgeldbuße zzgl. eines Zuschlages von 75 % angesichts der erheblichen Voreintragungen des Betroffenen, die überwiegend einschlägig waren.

Das Gericht sah es hier jedoch als vertretbar an, von der Verhängung des Regelfahrverbotes gemäß § 4 Abs. 4 BKatV ausnahmsweise gegen eine erhebliche Erhöhung der Regelgeldbuße abzusehen. Die Verhängung eines Fahrverbotes würde zu einer unangemessenen Härte für den Betroffenen führen. Der Betroffene würde bei Verhängung eines Fahrverbotes mit höchster Wahrscheinlichkeit seinen Arbeitsplatz verlieren. Der Betroffene ist im Außendienst tätig und damit ständig auf sein Fahrzeug angewiesen. Er legt für den Betrieb jährlich ca. 50.000 km zurück und kann durch andere Mitarbeiter des Unternehmens nicht ersetzt werden. Aufgrund der betrieblichen Situation kann dem Betroffenen auch kein Fahrer für die Dauer von 1 Monat zur Verfügung gestellt werden. Der Betroffene hatte dies belegt durch eine Bescheinigung seines Arbeitgebers. Der Arbeitgeber hat dort auch ausdrücklich angekündigt, dass bei einem Fahrverbot eine Kündigung nicht ausgeschlossen ist. Der Betroffene hat glaubhaft versichert, dass er auch keinen 1-monatigen Urlaub erhalten wird. Es sei bei seiner Tätigkeit auch nicht möglich, nur 2 Wochen zusammenhängenden Urlaub zu bekommen. Es sei daher wahrscheinlich, dass er seinen Arbeitsplatz verliere. Dies sei auch deshalb äußerst problematisch, da seine Freundin, die nicht berufstätig sei, ein Kind erwarte. Der Betroffene müsse daher mit seinem Gehalt sowohl Freundin, als auch demnächst sein Kind unterhalten. Der Verlust seines Arbeitsplatzes sei daher derzeit eine Katastrophe. Das Gericht hat hier nicht verkannt, dass der Betroffene bereits erheblich straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Die zum Teil erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen stammen jedoch fast ausschließlich aus den Jahren 2001 und 2002 und liegen damit bereits längere Zeit zurück. Obwohl diese Eintragungen damit natürlich noch verwertet werden können, geht das Gericht davon aus, dass es sich bei dem Betroffenen jedenfalls nicht mehr um einen Raser handelt. Die letzte Eintragung wurde aufgrund eines Verstoßes aus dem Jahre 2003 begangen. Diese Überschreitung war nicht so erheblich. Der Betroffene hat darüber hinaus freiwillig an einem Aufbauseminar teilgenommen und auch freiwillig an einer verkehrspsychologischen Beratung teilgenommen. Es kommt darin zum Ausdruck, dass der Betroffene ernsthaft an sich gearbeitet hat. Angesichts der ihm hier ganz konkret drohenden Konsequenzen der Arbeitslosigkeit in seiner derzeitigen Situation hielt es das Gericht daher noch einmal für vertretbar, vom Fahrverbot gegen eine erhebliche Erhöhung der Regelgeldbuße abzusehen. Angesichts der gesamten Umstände hielt das Gericht eine Erhöhung der Geldbuße auf 1.000,00 € für tat- und schuldangemessen.

(...)