Wer im Straßenverkehr durch Alkohol- oder Drogenkonsum auffällt, muss mit erheblichen Konsequenzen rechnen. Eine der häufigsten Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde ist die Anordnung einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU).
1. MPU-Anordnung: Voraussetzung für den Fahrerlaubnisentzug
Die Fahrerlaubnisbehörde kann ein medizinisch-psychologisches Gutachten anfordern, wenn Zweifel an der Fahreignung bestehen. Typische Auslöser sind:
- Trunkenheitsfahrten (ab 1,6 Promille oder wiederholt unterhalb dieser Grenze)
- Drogenfahrten oder Hinweise auf Drogenmissbrauch
- Aggressives oder unkontrolliertes Verhalten im Straßenverkehr
Wird das MPU-Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt, kann die Behörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung schließen. Aber nur dann, wenn die Anordnung der MPU rechtmäßig war.
2. Keine MPU – Führerschein weg?
Wichtig: Der Entzug der Fahrerlaubnis ist nur dann rechtmäßig, wenn auch die Anordnung der MPU formal korrekt erfolgt ist. Das bedeutet:
- Die Anordnung muss hinreichend bestimmt sein.
- Die Fragestellung zur MPU muss konkret benennen, welche Zweifel an der Fahreignung bestehen und was genau untersucht werden soll (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV).
Das OVG Schleswig-Holstein hat in seinem Beschluss vom 4. August 2021 (Az. 5 MB 18/21) ausgeführt:
Die scharfe Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständig rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus; es kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde.
Die Fahrerlaubnisbehörde kann nicht verlangen, dass der Betroffene selbst die Unklarheiten der Anordnung richtig interpretiert. Es obliegt der Behörde, die Problemstellung klar und nachvollziehbar zu formulieren.
3. Gericht prüft Rechtmäßigkeit der Anordnung im Klageverfahren
Wird dem Betroffenen die Fahrerlaubnis entzogen, weil er kein MPU-Gutachten beigebracht hat, kann er dagegen vor dem Verwaltungsgericht klagen.
Das Gericht prüft dabei unter anderem:
- War die MPU-Anordnung rechtmäßig?
- War die Fragestellung hinreichend bestimmt?
- Bestand ein berechtigter Anlass zur MPU-Anordnung?
Nur wenn diese Anforderungen erfüllt sind, kann die Nichtvorlage der MPU den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigen.
Dies gilt auch, wenn die MPU durchgeführt wurde, der Betroffene aber aufgrund eines negativen Ergebnisses das Gutachten nicht vorgelegt hat. Auch in diesem Fall muss die Anordnung rechtmäßig gewesen sein, damit die Fahrerlaubnis entzogen werden darf.
4. Praxisfall: Anordnung zu unpräzise – kein Fahrerlaubnisentzug
Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht die Bedeutung der korrekten Formulierung: Am 20. Mai 2023 wurde ein 16-Jähriger auf einem E-Scooter unter Drogeneinfluss gestoppt. Die Fahrerlaubnisbehörde forderte ein MPU-Gutachten an und untersagte ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge. Nachdem der Jugendliche kein Gutachten vorlegte, drohte die Behörde mit Zwangsgeld.
Das Verwaltungsgericht Göttingen (Beschl. v. 28.03.2024, Az. 4 B 59/24) hob die Maßnahme auf. Die Anordnung war zu unbestimmt, da nicht klar war, ob sie sich nur auf fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge oder generell auf die Fahreignung bezog. Folge: Die Maßnahme war rechtswidrig – der Jugendliche durfte vorerst weiterfahren.
5. Kosten der MPU – keine Ausrede bei rechtmäßiger Anordnung
Die Berufung auf finanzielle Gründe schützt nicht vor dem Fahrerlaubnisentzug. Bei berechtigter MPU-Anordnung muss der Betroffene die Kosten tragen – ggf. auch durch Aufnahme eines Darlehens.
6. Negatives MPU Gutachten der Behörde vorlegen?
Wurde die MPU durchgeführt und fällt das Gutachten negativ aus, d.h. die Begutachtungsstelle beantwortet die Fragen der Behörde dahingehend, dass die Fahreignungszweifel nicht ausgeräumt wurden, ist dringend davon abzuraten, das Gutachten an die Behörde weiterzuleiten. Denn ein freiwillig eingereichtes negatives Gutachten stellt eine neue Tatsache da, die von der Behörde bei ihrer Beurteilung der Fahreignung verwertet werden kann (so z.B. Bayerischer VGH – Beschluss vom 11.06.14). Das bedeutet, dass die Zweifel der Behörde sich bestätigt haben und der Betroffene nunmehr auch die in dem Gutachten dargelegten Argumente für seine Ungeeignetheit widerlegen muss, um wieder als fahrgeeignet zu gelten.
Auf die Frage, ob die MPU-Anordnung der Behörde rechtmäßig war, kommt es dann nicht mehr an.
War die Gutachtenanordnung rechtmäßig, kann es – je nach Lage des Falles – sinnvoll sein, einen Neuerteilungsantrag zurückzunehmen und ggf. neu zu stellen bzw. auf die Fahrerlaubnis zu verzichten.
Rechtsprechung:
- VG Göttingen – Beschluss vom 28.03.24: Eine nach § 3 Abs. 2 i.V.m. §§ 11 ff. FeV erfolgte Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens muss insbesondere auch dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen und eindeutig erkennen lassen, ob die Eignung des Betroffenen ausschließlich hinsichtlich des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen i.S.v. § 3 Abs. 1 FeV überprüft werden soll.
- OVG Schleswig – Beschluss vom 04.08.21: 1. Hinsichtlich des genauen Grades der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss, kommt es – wie unmittelbar § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV entnommen werden kann – auf die besonderen Umstände jedes Einzelfalls an; der Beibringungsanordnung muss sich indes zweifelsfrei entnehmen lassen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll. 2. Die scharfe Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständig rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus; es kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde.
- VG Düsseldorf – Beschluss vom 04.07.14: 1. Für den Betroffenen einer Begutachtungsanordnung muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. 2. Selbst dem Betroffenen bekannte Umstände müssen in der Anordnung zumindest so umschrieben sein, dass für ihn ohne Weiteres erkennbar ist, was im Einzelnen zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird. 3. Hohe Alkoholgewöhnung sagt für sich genommen noch nichts Hinreichendes über die Gefahr zukünftiger Trunkenheitsfahrten aus.
- Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr. – Beschluss vom 18.12.2012: Bei einer Fahrerlaubnisentziehung hat die Fahrerlaubnisbehörde die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu begründen und dabei auf die Umstände des Falls einzugehen. Eine allgemein gehaltene, formelhafte Begründung reicht nicht aus. Wenn die Fahrerlaubnisbehörde wegen bestehender Eignungszweifel nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 bis 9 FeV die Beibringung eines MPU-Gutachtens anordnet, muss sie ihr Ermessen ordnungsgemäß ausüben. Sie muss auch die Möglichkeit milderer Maßnahmen in Betracht ziehen. Bei der Ausübung dieses Ermessen ist auch zu berücksichtigen, ob die betreffende Fahrerlaubnis nur geschwindigkeitsreduzierte Fahrzeuge (hier: Klasse S, M und L) umfaßt, ob der Fahrerlaubnisinhaber erstmalig im Straßenverkehr auffällig wurde und ob er wegen des Vorfalls, der die Eignungszweifel auslöst, bereits anderweitig mit Sanktionen belegt wurde (Geldstrafe, verwaltungsbehördliche Verwarnung).
- VG Mainz – Beschluss vom 13.12.07: Fordert die Fahrerlaubnisbehörde zur Prüfung der Frage, ob die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, von dem Fahrerlaubnisinhaber eine MPU, so darf sie auf die Ungeeignetheit des Fahrerlaubnisinhabers schließen und die Fahrerlaubnis entziehen wenn das Gutachten nicht innerhalb der gesetzten Frist beigebracht wird. Voraussetzung ist jedoch, dass die Gutachtenanordnung rechtmäßig war. Dies ist i.d.R. nicht der Fall, wenn die festgesetzte Frist zur Beibringung des Gutachtens zu kurz bemessen ist. Die Angemessenheit der Frist bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Fordert der MPU-Gutachter einen Abstinenznachweis über einen bestimmten Zeitraum, so muß die Fahrerlaubnisbehörde dem Rechnung tragen und die Frist so bemessen, dass dem Fahrerlaubnisinhaber Gelegenheit gegeben wird, den Abstinenznachweis zu erbringen.