AG Tiergarten - Urteil v. 20.04.17

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Zum Inhalt der Entscheidung: Keine Entziehung der Fahrerlaubnis bei Trunkenheitsfahrt (3,12 Promille)  mit Unfall (über 3.000,-- € Fremdschaden) nach ca. einjähriger Verkehrstherapie und nachgewiesener Abstinenz. 

Amtsgericht Berlin Tiergarten

Urteil vom 20.04.2017

(315 Cs) 3023 Js 2034/16 (254/16)

Tenor:

Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 30 (dreißig) Tagessätzen zu je 20,00 (zwanzig) € verurteilt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Revision und seine notwendigen Auslagen.

Aus den Gründen:

(Fassung gemäß § 267 Abs. 5 StPO)

I.

Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 66 Jahre alte Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger, verheiratet und hat 4 volljährige Kinder. Er war zuletzt als Kraftfahrer tätig und ist nunmehr Altersrentner. Er hat monatliche Einkünfte von rund 940 Euro.

Der Angeklagte ist — ausweislich seines Bundeszentralregisters — bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.

II.

Der an Alkohol gewöhnte Angeklagte nahm im Laufe des 11. Februar 2016 eine nicht mehr genau feststellbare Menge Alkohol zu sich. Als der Angeklagte mit seinem Hund Gassi ging, fiel ihm auf, dass er seinen Haustürschlüssel vergessen hatte. Um einen Ersatzschlüssel, der sich bei seiner Schwiegertochter, die rund 1 km von seiner Wohnung entfernt wohnt, zu holen, stieg er in seinen Pkw, amtliches Kennzeichen (...). und fuhr zu dieser.

Auf dem Rückweg befuhr er unter anderem die (...) in 12687 Berlin. Vor dem Kreuzungsbereich (...) fuhr der Angeklagte um 14.50 Uhr auf den vor ihm verkehrsbedingt haltenden Pkw des Zeugen L., amtliches Kennzeichen (...), wobei ein Fremdschaden in Höhe von 3.059,95 Euro (ohne MwSt) entstand, der von der Versicherung des Angeklagten reguliert wurde.

Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte der Angeklagte 3,12 Promille Alkohol im Blut und hätte bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können, dass er infolge des Alkoholgenusses fahruntauglich war und andere gefährden konnte. Trotz seines Rauschzustandes war bei Begehung der Tat die Fähigkeit des Angeklagten das Unrecht der Tat einzusehen, nicht beeinträchtigt, seine Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln, auch nicht aufgehoben, jedoch im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert.

Der Führerschein wurde am 11. Februar 2016 beschlagnahmt, befand sich seither in amtlicher Verwahrung und wurde am Ende der Hauptverhandlung an den Angeklagten ausgehändigt.

Der Angeklagte hat selbständig den Alkoholkonsum seit dem 3. April 2016 aufgegeben und ist seitdem trocken. In der Zeit vom 18. April 2016 bis zum 4. April 2017 befand sich der Angeklagte in einer verkehrspsychologischen Einzelberatung bei Dipl-Psych. R. und nahm an 18 Einzelsitzungen (ä 50 Minuten) durchschnittlich einmal alle zwei Wochen statt. Inhaltlich hat sich der Angeklagte dabei unter anderem mit den Ursachen für sein Trinken, seiner Alkoholfahrt und einer dauerhaften Verhaltensänderung in Bezug auf Alkohol beschäftigt. Die verkehrspsychologische Beratung wurde erfolgreich abgeschlossen. Daneben hat er bislang vier spontan stattfindende Urin-Screenings im Rahmen eines Drogenabstinenzprogramms durchgeführt, die jeweils einen negativen Befund aufwiesen.

Das Ehe- und Familienleben des Angeklagten hat sich seit der Alkoholabstinenz verändert. Er geht gemeinsam mit seiner Ehefrau nunmehr ins Kino oder zu kulturellen Veranstaltungen, an denen er vorher nie teilgenommen hat. Zugleich besucht er zwei bis drei Mal die Woche ein Fitnessstudio.

Der Angeklagte wurde in hiesiger Sache durch das Amtsgericht Tiergarten am 5. Juli 2016, Az.: 311 Cs 97/16 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20,00 Euro verurteilt und eine Fahrerlaubnissperre von 9 Monaten verhängt. Auf die Revision des Angeklagten wurde das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und an die hiesige Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.

III.

Der Angeklagte hat sich damit wegen § 315c Abs. 1 Nr; 1 lit. a, Abs. 3 Nr. 2 StGB schuldig gemacht.

IV.

1. Im Rahmen der Strafzumessung war zunächst der konkrete Strafrahmen festzulegen.

Das Gericht ist bezüglich der Taten vom - nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten - Strafrahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 3 Nr. 2 StGB ausgegangen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Steuerungsfähigkeit während der Tat des unter dem Einfluss von Alkohol stehenden Angeklagten eingeschränkt war.

2. Bei der Beantwortung der Frage, welche konkrete Strafe dem Angeklagten treffen musste, hatte das Gericht die für und gegen ihn sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte abzuwägen. Zugunsten des Angeklagten hat das Gericht gewürdigt, dass er sich hinsichtlich der Tat umfänglich eingelassen und die Beweggründe für seine Handlungen dargelegt hat. Auch war strafmildernd zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und jetzt erstmals im schon fortgeschrittenen Alter straffällig geworden ist. Zudem war positiv zu berücksichtigen, dass er selbständig das Trinken aufgegeben hat und seit April 2016 eine Alkoholtherapie besucht. Gegen den Angeklagten sprechende Gesichtspunkte waren nicht ersichtlich.

Für den Angeklagten hält das Gericht unter Abwägung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände eine Geldstrafe von 30 (dreißig) Tagessätzen für tat- und schuldangemessen.

Unter Berücksichtigung der Einkünfte des Angeklagten war die Tagessatzhöhe mit 20,00 (zwanzig) Euro festzusetzen. Berücksichtigt worden dabei sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten, insbesondere, dass er ein monatlichen Einkommen von 940,00 Euro hat.

3. Dem Angeklagten, ist neben der Strafe die Fahrerlaubnis nicht zu entziehen. Zwar liegt in der vom Angeklagten begangenen Tat ein Regelfall des §§ 69 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, der nach Auffassung des Gesetzgebers regelmäßig zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt. Der Angeklagte weist jedoch in seiner Person als auch in dem Nachtatverhalten wesentliche Besonderheiten auf, durch die die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels zum jetzigen Zeitpunkt kompensiert wird.

Der Angeklagte hat selbständig, ohne dass es äußeren sozialen Druckes bedurfte, seit dem 3. April 2016, also mehr als 1 Jahr, keinen Alkohol mehr zu sich genommen. Dabei hat er sich bewusst — entgegen dem Rat seiner Frau und Familie — dafür entschieden, dass das in der Wohnung des Angeklagten befindliche Weinregal und die Hausbar nicht entfernt werden sollen, um den Umgang mit der Abstinenz zu erlernen.

In der Zeit vom 3. April 2016 bis zum 4. April 2017 hat der Angeklagte erfolgreich eine verkehrspsychologische Einzeltherapie bei Dipl-Psych. R. absolviert, bei der er in 18 Einzelsitzungen (ä 50 Minuten) sich intensiv mit dem Umgang mit Alkohol und seiner Tat auseinandergesetzt hat. Daneben hat er bislang vier spontan stattfindende Urin-Screenings im Rahmen eines Drogenabstinenzprogramms durchgeführt, die jeweils einen negativen Befund aufwiesen,

Die Ehe- und Familiensituation hat sich nach den glaubhaften Angaben der Ehefrau des Angeklagten dahingehend geändert, dass der Angeklagte offener und zugänglicher geworden ist, indem sie gemeinsam kulturelle Veranstaltungen wahrnehmen und der Angeklagte zwei bis drei Mal in der Woche Sport treibt, welches vor dem Unfall undenkbar gewesen sei. Der Angeklagte geht mit seinem Alkoholismus offen in der Familie und dem Freundeskreis um und erfährt zahlreiche Unterstützung. Selbst einen tragischen Zwischenfall in seiner Familie, bei dem der Angeklagte Ende des vergangenen Jahres um das Leben seines Sohnes bangen musste, hat er ohne „zur Flasche zu greifen" überstanden und auch diese für das Gericht nachvollziehbar schwere Situation gemeistert.

Nach alledem ist das Gericht - auch vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte seit dem Tattag am 11. Februar 2016 und damit mehr als 14 Monate ohne Führerschein ist und das Verfahren rund 10 Monate andauert - überzeugt, dass dem Angeklagten eine günstige soziale Prognose gestellt werden kann. Es besteht für das Gericht kein Zweifel, dass der Angeklagte (wieder) geeignet ist am Straßenverkehr als Fahrzeugführer teilzunehmen.

4. Entgegen der Auffassung des Verteidigers konnte auch von einem deklaratorischen Fahrverbot abgesehen werden, welches in der Regel zu verhängen ist, wenn in den Fällen einer Verurteilung wegen (fahrlässiger) Trunkenheit die Entziehung der Fahrerlaubnis unterblieben ist, § 44 Abs. 1 S. 2 StGB. Dabei ist das Gericht davon ausgegangen, dass zwischen der Hauptstrafe (hier der Geldstrafe) und der Nebenstrafe des Fahrverbots eine Wechselwirkung besteht. Die Nebenstrafe darf nur verhängt werden, wenn die Hauptstrafe allein den mit der Nebenstrafe verfolgten spezialpräventiven Zweck nicht erreichen kann, und beide zusammen die Tatschuld nicht überschreiten (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 10. Januar 2007 — (3) 1 Ss 389/06 (125/06) —, juris). Dies vorangestellt, ist das Gericht überzeugt, dass die Geldstrafe ausreicht, dem Angeklagten sein Fehlverhalten vor Augen zu halten. Die unter Ziffer 3 aufgezeigten besonderen Umstände, gebieten es von der Regelvermutung des § 44 Abs. 1 S. 2 StGB abzuweichen. Hinzu kommt, dass seit der Tat rund 14 Monate vergangen sind, sodass der Sinn und Zweck eines Fahrverbots als Warnungs- und Besinnungsstrafe durch Einwirken in angemessenem zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter nicht mehr erfüllt werden kann.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 465 Abs. 1 und 473 Abs. 1 StPO.