VG Köln - Urteil vom 20.05.15

Drucken

Zum Inhalt der Entscheidung: Die Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss von Cannabis rechtfertigt es grundsätzlich, auf eine mehr als einmalige, gleichsam experimentelle Cannabisaufnahme zu schließen, wenn der auffällig gewordene Fahrerlaubnisinhaber einen solchen Vorgang zwar geltend macht, die Umstände des behaupteten Erstkonsums aber nicht konkret und glaubhaft darlegt.

 

Verwaltungsgericht Köln

Urteil vom 20.05.2015

23 K 5534/14

Tatbestand

Der Beklagte erteilte dem 1989 geborenen Kläger am 6. April 2011 die Fahrerlaubnis der Klasse „B“.

Am 20. Mai 2014 wurde der Kläger gegen 13.15 Uhr im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle kontrolliert. Ein durchgeführter Drogenschnelltest verlief positiv auf THC. Im Rahmen der Verkehrskontrolle gab der Kläger gegenüber den Polizeibeamten an, in den Abendstunden des 19. Mai 2014 habe er mit mehreren Personen in einem Raum gesessen. Drei der Personen hätten einen Joint geraucht; er selbst allerdings nicht. Eine um 13.55 Uhr entnommene Blutprobe ergab nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität N. vom 29. Juli 2014 einen THC-Wert von 2,3 ng/ml und einen THC-Carbonsäure-Wert von 40 ng/ml.

Nach Anhörung entzog der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19. September 2014 – zugestellt am 24. September 2014 – die Fahrerlaubnis und ordnete sogleich die sofortige Vollziehung der Entziehungsverfügung an. Zur Begründung führte er im Kern aus, aufgrund des Analyseergebnisses der Universitätsklinik N. stehe fest, dass der Kläger gegen das Gebot der Trennung von Führen eines Kraftfahrzeuges und Cannabiskonsum verstoßen habe. Zudem könne aus dem festgestellten THC-Carbonsäure-Wert von 40 ng/ml geschlossen werden, dass der Kläger gelegentlich Cannabis konsumiere.

Am 9. Oktober 2014 hat der Kläger Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (23 L 1909/14) gestellt. Mit Beschluss vom 19. November 2014 lehnte die Kammer den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Klage ab

Zur Begründung der Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, vor dem fraglichen Vorfall habe er kein Cannabis konsumiert, vielmehr habe es sich um erstmaligen und experimentellen Konsum gehandelt. Ab dem Abend des 19. Mai 2014 habe er mit Freunden gefeiert. In den frühen Morgenstunden des 20. Mai habe er sich von den Freunden, die schon vorher Cannabis konsumiert hätten, dazu überreden lassen, auch am Joint zu ziehen. Danach sei er sehr müde geworden und habe geschlafen. Nachdem er wieder wach geworden sei, habe er sich völlig normal gefühlt und keinerlei Wirkung des Cannabis verspürt.

Der Kläger beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 19. September 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf den Ausgangsbescheid und auf die Gründe des Beschlusses im Verfahren 23 L 1909/14.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 23 L 1909/14 sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.

 

Aus den Entscheidungsgründen:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Ordnungsverfügung vom 19. September 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zur Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung hat die Kammer im Beschluss vom 19. November 2014 – 23 L 1909/14 – bereits ausgeführt:

„Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 und Abs. 5 FeV. Nach dieser Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Davon ist auszugehen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 (zu den §§ 11, 13 und 14 FeV) vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ist ein Kraftfahrer, der gelegentlich Cannabis einnimmt und die Einnahme dieses Betäubungsmittels nicht vom Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen vermag, im Regelfall zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Antragsteller hat gegen das Trennungsgebot im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV verstoßen. Ausweislich des im Verwaltungsvorgang des Antragsgegners enthaltenen Polizeiberichts vom 21. Mai 2014 sind beim Antragsteller im Rahmen einer Verkehrskontrolle am Dienstag, dem 20. Mai 2014 um 13.15 Uhr von den kontrollierenden Polizeibeamten drogentypische Beweisanzeichen festgestellt worden. Daraufhin unterzog sich der Antragsteller freiwillig einer Blutprobe; die Blutentnahme erfolgte um 13.55 Uhr. Ausweislich des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität N. vom 29. Juli 2014 ergaben sich ein THC-Wert von 2,3 ng/ml Serum und ein THC-COOH Wert von 40 ng/ml Serum. Damit steht fest, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat.

Zudem geht die Kammer für das vorläufige Rechtsschutzverfahren davon aus, dass der Antragsteller auch mindestens in zwei selbstständigen Konsumakten und damit gelegentlich im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV Cannabis konsumiert hat. Die Nachweisbarkeitsdauer von THC im Blutserum wird im Fachschrifttum nach einem Einzelkonsum mit höchstens 6 Stunden angegeben und nur in Fällen wiederholten oder regelmäßigen Konsums kann sich diese Zeitspanne erhöhen, gelegentlich auf über 24 Stunden.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2012 – 16 B 277/12 –; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. November 2011 – 10 S 3174/11 –; Bay. VGH, Beschlüsse vom 13. Dezember 2010 – 11 CS 10.2873 – und vom 23. Januar 2007, 11 CS 06.2228 –; Schubert/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 2. Aufl., S. 178; Geiger, Aktuelle Rechtsprechung zum Fahrerlaubnisrecht, DAR 2009, 61, 65, jeweils mit Hinweis bzw. Erläuterungen zu den zugrunde liegenden wissenschaftlichen Studien.

Geht man – mit dem Antragsteller – davon aus, dass er nicht regelmäßig Cannabis konsumiert, so kann der Cannabiskonsum des Antragstellers, der durch die Blutuntersuchung bestätigt wurde, bei einem Blutentnahmezeitpunkt von 13.55 Uhr nicht vor 07.55 Uhr am 20. Mai 2014 gelegen haben. Nach seinen eigenen Angaben im vorliegenden Verfahren, hat er am Abend des 19. Mai 2014 gemeinsam mit Bekannten gefeiert, die Joints geraucht haben. In den frühen Morgenstunden des 20. Mai habe er sich schließlich überreden lassen und erstmals quasi experimentell einen Joint geraucht. Da ihn dies sehr müde gemacht habe, habe er seit dem kein Cannabis mehr geraucht. Mit dem allgemeinen Verständnis der Formulierung „Feier am Abend ... Konsum in den frühen Morgenstunden“ lässt sich ein gegen 08.00 Uhr morgens erfolgter Konsum nicht mehr vereinbaren. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Antragsteller sowohl im Rahmen des Feierns als auch am Morgen des 20. Mai 2014 und damit in zwei Konsumakten Cannabis konsumiert hat.

Zudem schließt sich die Kammer ausdrücklich der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zur gesteigerten Mitwirkungspflicht im Falle der Behauptung erstmaligen Cannabiskonsums an. Danach rechtfertigt die Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss des Betäubungsmittels es grundsätzlich, auf eine mehr als einmalige, gleichsam experimentelle Cannabisaufnahme zu schließen, wenn der auffällig gewordene Fahrerlaubnisinhaber einen solchen Vorgang zwar geltend macht, die Umstände des behaupteten Erstkonsums aber nicht konkret und glaubhaft darlegt.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Mai 2012 – 16 B 536/12 –, vom 25. Juli 2011 – 16 B 784/11 –, vom 30. März 2011 – 16 B 238/11 – und vom 29. Juli 2009 – 16 B 895/09 –; so auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. März 2011, - 10 B 11400/10 -

Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass es ausgesprochen unwahrscheinlich ist, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument zum einen bereits wenige Stunden nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug führt und er zum anderen dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät. Dies wiederum berechtigt zu der Erwartung, dass er sich ausdrücklich auf einen - für ihn günstigen - Erstkonsum beruft und zu den Einzelheiten der fraglichen Drogeneinnahme glaubhaft erklärt. Tut er es wider Erwarten nicht, erscheint es daher zulässig, hieraus für ihn nachteilige Schlüsse zu ziehen.

Den behaupteten Erstkonsum hat der Antragsteller nicht glaubhaft dargelegt. Dies ergibt sich schon daraus, dass er im Rahmen der Verkehrskontrolle einen aktiven Konsum gänzlich abgestritten und einen Passivkonsum behauptet hat. Der nunmehr behauptete erstmalige Konsum wird nicht ansatzweise konkret geschildert, etwa durch Angabe der Namen der Personen, mit denen er gefeiert hat und die ihn zum Cannabiskonsum überredet haben sollen. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller gegen 13.00 Uhr schon wieder ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er aufgrund des angeblichen erstmaligen Konsums sehr müde war.“

An dieser Bewertung hält das Gericht auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und Anhörung des Klägers fest. Gemessen an der zuvor zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung hat der Kläger den behaupteten Erstkonsum nicht hinreichend glaubhaft und konkret dargelegt. Ein glaubhaftes Vorbringen setzt einen schlüssigen und in sich widerspruchsfreien Vortrag voraus. Dem genügen die Erklärungen des Klägers im Verwaltungs- und Klageverfahren nicht. Im Verwaltungsverfahren hat der Kläger zunächst gegenüber den ihn kontrollierenden Polizeibeamten jeden eigenen Konsum abgestritten. Vielmehr hat er nur angegeben, er habe sich in einem Raum aufgehalten, in dem andere Personen Cannabis konsumiert hätte. Abweichend hiervon hat er im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vortragen lassen, er räume nunmehr ein, dass er am Vortag der Kontrolle experimentell Cannabis zu sich genommen habe. Hiervon erneut abweichend hat er im vorliegenden Verfahren vorgetragen, er habe am Abend zuvor mit seinen Freunden gefeiert und sich in den frühen Morgenstunden des 20. Mai überreden lassen an dem Joint zu ziehen. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung dahingehend konkretisiert, dass er etwa um 9.00 Uhr morgens eingeschlafen sei und dass er unmittelbar zuvor an dem Joint gezogen habe.

Nimmt man diese unterschiedlichen Erklärungen in den Blick, so treten nicht auflösbare Widersprüche auf und das Vorbringen ist letztlich verfahrensangepasst. Die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe den Polizisten nicht gesagt, dass er selbst Cannabis konsumiert habe, weil er gedacht habe, er könne sich „da rausreden“, überzeugt nicht. Nachdem schon der Drogenschnelltest ein positives Ergebnis erbracht hatte, bestand keine Veranlassung, einen Drogenkonsum abzustreiten. Hinsichtlich der Angabe in der Antragsschrift des Verfahrens 23 L 1909/14, der Kläger habe am Vortag (also am 19. Mai 2015) Cannabis konsumiert, ist die Erklärung der Prozessbevollmächtigten, dies beruhe auf ihrem Versehen, nicht nachvollziehbar.

Vor allem aber sind die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung klar verfahrensangepasst. Erst nachdem die Kammer im Beschluss vom 19. November 2014 ausgeführt hat, dass der Cannabiskonsum des Klägers nicht vor 7.55 Uhr am 20. Mai 2014 stattgefunden haben konnte, hat der Kläger nunmehr erstmals konkret angegeben, er habe kurz vor 9.00 Uhr morgens am Joint gezogen. Wäre dies tatsächlich der Fall gewesen, hätte einer entsprechenden klaren Erklärung zu einem früheren Zeitpunkt nichts im Wege gestanden. So kann dem Kläger dies alles jedoch nicht mehr abgenommen werden.

Bedenken gegen die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins und gegen die Zwangsmittelandrohung bestehen – wie schon im Beschluss im Verfahren 23 L 1909/14 nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO.