Augenblicksversagen

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Ein Augenblicksversagen kann vorliegen, wenn ein ansonsten aufmerksamer Verkehrsteilnehmer sich kurzzeitig unaufmerksam verhält. Im Verkehrsrecht ist dieser Begriff vor allem bei der Entscheidung der Frage, ob ein Fahrverbot zu verhängen ist, von Bedeutung.  Wird ein Tatbestand einer Verkehrsordnungswidrigkeit erfüllt, so geht das Gesetz zumindest von einem fahrlässigen Verhalten aus. Die Bußgeldkatalogverordnung sieht für bestimmte Ordnungswidrigkeiten auch bei fahrlässiger Begehungsweise die Verhängung eines Fahrverbots vor. Damit soll auf den Verkehrsteilnehmer eingewirkt werden, sich künftig verkehrsgerecht zu verhalten (Besinnungsfunktion des Fahrverbots). 

Gleichwohl kann auch dem aufmerksamsten Verkehrsteilnehmer gelegentlich ein Fehler unterlaufen. In solchen Fällen erkennt die Rechtsprechung an, dass das Fehlverhalten des Verkehrsteilnehmers nicht auf eine verantwortungslose Fahrweise, sondern auf eine lediglich momentane Unaufmerksamkeit zurückzuführen ist. Die Rechtsprechung zum Augenblicksversagen geht auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 11.09.1997 zurück. Das Gericht führt in dieser Entscheidung aus:

"Auch wenn es keine genauen, durch wissenschaftliche Erhebungen gesicherte Erkenntnisse geben mag, darf davon ausgegangen werden, daß (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftszeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden. Nur deswegen ist der heutige Massenverkehr überhaupt möglich. Allerdings ist nicht zu leugnen, daß in Einzelfällen Verkehrszeichen übersehen werden können und tatsächlich auch immer wieder übersehen werden. Das ändert aber nichts daran, daß die Wahrnehmung der Zeichen die Regel und ihr Übersehen die Ausnahme ist. Einen Erfahrungssatz, daß dies in den Fällen anders ist, in denen die Anordnung eines Verkehrszeichens nicht beachtet wird, gibt es nicht."

Ein Augenblicksversagen muss jedoch nicht ohne weiteres von Amts wegen unterstellt werden. Das Gericht führt weiter aus:

"Von dem Regelfall, daß der Betroffene die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung wahrgenommen hat - mit der Folge, daß die qualifizierte Überschreitung den Vorwurf grober Pflichtwidrigkeit begründet -, dürfen die Bußgeldstellen und Gerichte bei der Entscheidung über die Verhängung eines Fahrverbots grundsätzlich ausgehen. Die Möglichkeit, daß der beschuldigte Verkehrsteilnehmer das die Beschränkung anordnende Vorschriftszeichen übersehen hat, brauchen sie nur dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder - praktisch wichtiger -  wenn der Betroffene dies im Verfahren einwendet."

Wenn der Betroffene also ein Verkehrzeichen übersehen hat, kann es sinnvoll sein, das Gericht darauf ausdrücklich hinzuweisen, damit es die Möglichkeit eines Augenblicksversagens in Rechnung stellen kann. Der BGH weist in seiner Entscheidung aber ausdrücklich darauf hin, dass nicht jedes Augenblicksversagen zu einem Absehen vom Fahrverbot führen kann. Wenn z.B. das Verkehrszeichen bereits mehrfach wiederholt wurde oder ein sogenannte Geschwindigkeitstrichter eingerichtet ist oder wenn sich das Vorliegen einer Geschwindigkeitsbeschränkung bereits durch eine sichtbare Autobahnbaustelle oder eine an der Bebauung erkennbaren geschlossenen Ortschaft aufdrängt,  kann auch dann ein Fahrverbot verhängt werden, wenn das maßgebliche geschwindigkeitsregelnde Verkehrszeichen übersehen wurde.

Will der Betroffene sich also auf ein Augenblicksversagen berufen, kommt es auf eine ausführliche Darlegung der Umstände des Einzelfalls an. Das Gericht muss sich mit dieser Einlassung auseinandersetzen. Wenn es der Einlassung nicht folgen will, muss es - sofern Rechtsbeschwerde eingelegt wird - in seinem Urteil die Gründe hierfür darlegen.


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